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Standpunkte Zeit für einen Gebäudeenergie-Konsens

Martin Pehnt
Martin Pehnt, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Vorstand, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg Foto: ifeu

Schafft der künftige Koalitionsvertrag ein Ende der Unsicherheit im Gebäudesektor – und ebnet er den Weg für Klimaschutz und bezahlbares Wohnen? Statt unklarer Bekundungen zur Emissionseffizienz braucht es eine zügige Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie und eine zielgerichtete Förderung. Nur so entsteht Verlässlichkeit und Raum für innovative Lösungen. Das bietet die Chance, die Risse zu kitten, die durch die aufgepeitschte Debatte der Heizungsparagraphen entstanden sind.

von Martin Pehnt

veröffentlicht am 03.04.2025

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Die gebäudepolitischen Streitlinien bilden sich entlang verschiedener Themen: Heizen mit Elektronen (Strom) oder Molekülen (Gase). Wärmenetze oder dezentrale Heizungen. Ordnungsrecht oder Beratung. Bestandserhalt oder Abriss und Neubau. Und ein Dauerläufer unter den Grabenkämpfen: Energieeinsparung oder erneuerbare Energien.

Die einen argumentieren, man müsse dem „Efficiency First“-Prinzip entkommen und eine Gebäudepolitik auf Emissionseinsparung fokussieren. Schließlich habe die vergangene Politik keine CO2-Einsparungen produziert. Andere halten entgegen, die CO2-Emissionen des Gebäudebereichs hätten sich doch seit 1990 halbiert und außerdem könne von „Efficiency First“ keine Rede sein. In den Bundesförderungen beispielsweise würden im Gegenteil Heizungen und Wärmenetze dreimal so hoch gefördert wie Maßnahmen an der Gebäudehülle. Die Anforderungen an die Gebäudehülle für Neubauten stammen aus dem Jahr 2009.

Der Koalitionsvertragsentwurf in seiner Fassung von der letzten Woche formuliert hierzu: Anvisiert werde ein „Paradigmenwechsel weg von einer kurzfristigen Energieeffizienzbetrachtung beim Einzelgebäude hin zu einer langfristigen Betrachtung der Emissionseffizienz“.

Nun ist der Begriff der Emissionseffizienz erklärungsbedürftig. Auf der Suche nach Definitionen stößt man unmittelbar auf das Positionspapier des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen und den ehemaligen bau- und wohnungspolitischen Sprecher der FDP, Dominik Föst. Gemeint ist dort zum einen die Bewertung der Gebäude auf Basis der Treibhausgas-Emissionen, aber auch der Einbezug der „grauen Emissionen“, also der Emissionen, die bei der Herstellung von Gebäuden, Instandhaltung und dem Abriss der Gebäude auftreten.

Es ist ja richtig, auch die klimaintensive Baustoffindustrie und den Treibhausgas-Fußabdruck des Baus von Gebäuden in den Blick zu nehmen. Die europäische Gebäuderichtlinie EPBD kennt diese Lebenszyklus-Betrachtung und fordert sie ab 2030.

Dazu ist aber eine Ökobilanz des Einzelgebäudes über seine Lebenszeit erforderlich. Das ist ein durchaus aufwändiges Unterfangen und erfordert mehr Berechnungen und mehr Bürokratie. Daher wundert es, dass gerade die neue Koalition in spe jetzt schon darauf abhebt.

Das Nullemissionsgebäude: ein pfiffiges Konzept

Die Väter und Mütter der EPBD haben basierend auf einem langen Stakeholder-Dialog für die Definition des neuen Nullemissionsgebäude-Standards, der für alle Neubauten ab spätestens 2030 gelten soll, bewusst zwei andere Hauptkriterien definiert: Dass diese Gebäude keine fossilen CO2-Emissionen am Standort des Gebäudes verursachen – ein sehr einleuchtendes Kriterium! –, und dass sie eine gute Gesamtenergieeffizienz aufweisen.

Dass die EPBD dies zusätzlich zur Emissionseffizienz fordert, ist kein Zufall. Denn drei gewichtige Gründe sorgen dafür, dass die Lebenszyklus-Emissionen zwar eine wichtige, aber nicht die alleinige Steuerungsgröße sein können.

Erstens sind emissionsfreie Energieträger wie Strom aus erneuerbaren Energien, Biomasse oder grüne Gase weder ökonomisch noch ökologisch umsonst. In einer reinen Treibhausgas-Bewertung schneidet beispielsweise ein Haus mit Nachtspeicherheizung künftig ähnlich gut ab wie ein Gebäude mit Wärmepumpe, obwohl es den dreifachen Strombedarf und damit Energiekosten hat. Es ist also auch eine soziale Frage, dass mit grüner Energie nicht verschwenderisch umgegangen wird.

Zweitens sind die Potenziale der erneuerbaren Energien nicht unerschöpflich. Gekämpft wird um jede Fläche für Wind- und Solaranlagen und um die begrenzt verfügbaren Biomasse-Ressourcen. Eine ifeu-Abschätzung zeigt: Wenn die schlechtesten Gebäude saniert werden, könnten wir auf 6.000 Windkraftanlagen verzichten, die wir sonst zusätzlich zur Wärmeversorgung benötigen würden.

Und drittens: Der hohe Strombedarf zum Heizen in nicht effizienten Gebäuden tritt insbesondere im Winter auf. Um hohe Spitzenlasten zu vermeiden und das Stromnetz und den Kraftwerkspark zu entlasten, ist ein vernünftiges Maß an Effizienz erforderlich. Dann kann auch das Gebäude als Speicher dienen.

Dazu kommen: mehr inländische Wertschöpfung und Resilienz statt Energieimporte, höhere Immobilienwerte modernisierter Gebäude, Robustheit bei Defekten der Heizung oder des Energiesystems, behaglicheres und gesünderes Raumklima.

Weg vom Streit um Effizienzhaus-Prozente

Es geht hier nicht um übertriebene Effizienzmaßnahmen. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis aus Energieeinsparung und einer Versorgung mit erneuerbaren Energien.

Das neue Konzept des Nullemissionsgebäudes, das nun mit einer angemessenen Vorankündigungszeit eingeführt werden soll, könnte die auf Jahrzehnte hinaus letzte erforderliche Veränderung des Neubaustandards sein. Mit der Festlegung eines neuen „baubaren Referenzgebäudes“ könnte ein Neubau sogar ohne Gebäudeberechnung errichtet werden, wenn er die Einzelanforderungen des Referenzgebäudes einhält: ein großer Beitrag zur Entbürokratisierung des GEG.

Auch auf Bestandsgebäude kann der Ansatz des Nullemissionsgebäudes übertragen werden. Man könnte die Förderung noch pragmatischer ausgestalten, indem man die Einzelmaßnahmenförderung für Hülle und Heizung angleicht und damit ein sehr einfaches Förderkonstrukt erhält. Auch der Umbau von Gebäuden zur Verbesserung von Barrierefreiheit und Quadratmeter-Effizienz sollte im gleichen Programm mitgefördert werden.

Mit einem solchen Förderansatz setzt man den Hebel gerade bei den schlechtesten Gebäuden an, mit denen besonders viel Klimaschutz zu geringeren Kosten erreicht werden kann. Gestaltet man diese Förderung langfristig mit einer leichten Degression schon vor 2028, kurbelt man auch die Dynamik des Sanierungsmarktes an, denn je früher modernisiert wird, desto mehr Förderung gibt es.

Ergänzt um einen einfachen Kredit für schutzbedürftige Haushalte, ein wiedereingeführtes Programm für energetische Quartierssanierung, flächendeckende „One Stop Shops“ für Modernisierung, die Beratungssuchende entlang der „Sanierungsreise“ an die Hand nehmen, einem besseren Rechtsrahmen für Wärmenetze und abgesenkte Strompreise für Wärmepumpen wird daraus ein funktionsfähiger systemischer Ansatz. All diese Punkte gehören in den Koalitionsvertrag!

Was käme an die Stelle der Heizungsparagraphen?

Zündstoff enthält der Koalitionsvertrag auch beim „Heizungsparagraphen“ §71 des GEG, landläufig „Heizungsgesetz“ genannt. „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen“, sagt der Entwurf und stellt sich damit gegen die Empfehlungen der Handwerksverbände, der Heizungshersteller, der Umwelt- und Verbraucherverbände, des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft und anderer.

Statt eines eleganten Baumschnitts – einer Verschlankung und Vereinfachung der Regelung – droht einer der dicken Äste des GEG einfach abgesägt zu werden. Übrig bleibt abermals: Verunsicherung und Verzögerung. Unklar bleibt, wie die beträchtliche Einsparung, die diese Regelung bis 2030 auf die Waagschale legt, ersetzt werden soll. Der Projektionsbericht schätzt, dass im Jahr 2030 die Heizungsregelung im GEG 13 Millionen Tonnen Treibhausgase einspart.

Bei einer Suche auf eine Antwort im Text des Koalitionsvertrags stößt man auf den Begriff „Grüngasquote“, allerdings versehen mit einem polit-vorsichtigen „z. B.“. Das Problem an diesem Ersatzinstrument: Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer investieren heute in eine neue Gasheizung, stehen dann aber in fünf oder zehn Jahren vor unerwartet hohen Gaskosten, entweder durch die deutlich teureren Grüngase oder den CO2-Preis für fossiles Erdgas. Ein klassischer Lock-In-Effekt.

Lösungen entwickeln statt über Paragraphen debattieren

Ich rate dringend zu einem Gebäudeenergiekonsens, der die europäische Gebäuderichtlinie 1:1 umsetzt; die Heizungsregelung vereinfacht, aber beibehält; die Förderung fortentwickelt; und innovativen Modernisierungsansätzen für Gebäude den Weg bereitet, wie dem Sanierungssprint für Einfamilienhäuser, der seriellen Sanierung oder nachbarschaftlichen Wärmelösungen. Wir müssen wegkommen von einer Diskussion über Paragraphen und Probleme und hin zu einer Entwicklung von pragmatischen Lösungen.

Martin Pehnt ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Vorstand des ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg.

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