In seiner „Eröffnungsbilanz“ Anfang des Jahres präsentierte der zuständige Minister Robert Habeck den Sachstand der deutschen Klimapolitik mit großen Schaubildern in der Bundespressekonferenz. Der eigene Kassensturz ist verheerend: Deutschland ist gemessen an den selbstgesteckten Zielen hin zur Klimaneutralität nicht mal annähernd auf dem richtigen Pfad. Wie groß ist die Umsetzungslücke und wo steht Deutschland jetzt mit seinen Klimaschutzbemühungen?
Für die Klimawirkung ist die gesamte künftig noch emittierte Menge entscheidend, das CO2-Budget. Das Klimaschutzgesetz definiert hier über seine im Zeitablauf gesetzten Minderungsziele für den langen Zeitraum bis 2050 implizit eine Menge von 6,2 Gigatonnen noch zulässiger deutscher CO2-Emissionen. Doch mit den derzeit implementierten Politikmaßnahmen kommt man nach unseren Berechnungen auf etwa zehn Gigatonnen.
Diese Zahl ergibt sich aus dem im vergangenen Jahr noch von der alten Bundesregierung vorgelegten, bis 2040 laufenden Projektionsbericht – und unter der Annahme, dass bei einem Weiter-so die Klimaneutralität erst 2050 erreicht wird. Die Umsetzunglücke, also die Diskrepanz zwischen den politischen Maßnahmen und den Zielen, beträgt somit fast vier Gigatonnen CO2. Zum Vergleich: der Gesamtausstoß in Deutschland lag im letzten Jahr bei 0,76 Gigatonnen CO2-Äquivalenten. Damit klafft eine riesige Lücke bis zum Ziel der Klimaneutralität.
Die Kluft zwischen Plan und Wirklichkeit will die Regierung in zwei Schritten schließen: mit dem Oster- und Sommerpaket, die zusammen das Klimaschutz-Sofortprogramm aus dem Koalitionsvertrag bilden. Damit soll Deutschland laut Habeck „so schnell wie möglich“ wieder auf den Zielpfad gemäß Klimaschutzgesetz kommen. Das Osterpaket liegt vor und befindet sich diese Woche im parlamentarischen Verfahren, hier geht es vor allem um den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren. Das Sommerpaket wird mit Spannung erwartet und soll noch diesen Sommer in seinen Grundzügen vorgelegt werden.
Sektor-Sofortprogramme mit Frist 13. Juli
Prinzipiell besteht für das Sommerpaket keine zeitliche Frist. Allerdings überlagert sich hier der politische Prozess mit Fristen, die sich aus dem Klimaschutzgesetz ergeben. Gemäß Paragraf 8 müssen die für den Verkehrs- und den Gebäudesektor zuständigen Ministerien bis zum 13. Juli jeweils ein Sofortprogramm vorlegen – weil drei Monate zuvor der Expertenrat für Klimafragen die Prüfung der 2021er-Emissionszahlen vorgelegt hat und die beiden Sektoren ihre Ziele verfehlt haben. Das Sofortprogramm muss laut Gesetz die Zielerreichung in dem jeweiligen Sektor für „die folgenden Jahre sicherstellen“, was vom Expertenrat geprüft wird.
Die Regierung plant, das Sommerpaket als Klimaschutzprogramm nach Paragraf 9 vorzulegen – und nach Möglichkeit beide Aufgaben in einem Zug abzuarbeiten, deshalb auch das Namens-Hybrid aus einem Klimaschutzprogramm nach Paragraf 9 und einem Sofortprogramm nach Paragraf 8, ein Klimaschutz-Sofortprogramm. Die Benchmark für das anstehende Maßnahmenprogramm ist also für den Gebäude- und Verkehrssektor doppelt klar formuliert. Die Herausforderung ist angesichts der großen Umsetzungslücke immens. Dennoch sollte die Regierung und das Maßnahmenprogramm genau daran gemessen werden: Ob plausibel dargelegt werden kann, dass mit den Maßnahmen Deutschland wieder auf den selbstgesteckten Zielpfad kommt.
Darüber hinaus stellt sich auch die Frage: Sind die Ziele überhaupt ambitioniert genug, besteht also neben der Umsetzungs- auch eine Ambitionslücke? Vergleicht man die die oben genannten 6,2 Gigatonnen noch zulässigen Emissionen mit einem hypothetischen, auf Basis eines Pro-Kopf-Ansatzes berechneten deutschen Anteil des globalen Restbudgets, wie es beispielsweise der Sachverständigenrat für Umweltfragen vorschlägt, so wird ersichtlich: Die Minderungsziele des Klimaschutzgesetzes wären demnach ungefähr konsistent mit einem 1,75-Grad-Restbudget (siehe Knopf und Geden 2022).
Minderungen im Ausland nur mit Erfolgskontrolle
Zum 1,5-Grad-Ziel bestünde noch eine Ambitionslücke von rund drei Gigatonnen. Je nach eigenem Anspruch müsste die Regierung auch hier noch mal nachlegen, um die Ambitionslücke zu schließen. Das könnte auch durch zusätzliche Emissionsminderungen im Ausland geschehen, wie sie beispielsweise im G7 Abschlussdokument mit den „Just Energy Transition Partnerships“ angedeutet werden. Allerdings bräuchte es hier mehr als nur Absichtserklärungen, sondern eine transparente und messbare Erfolgskontrolle.
Damit zeigt sich einmal mehr: Ziele sind wichtig, aber eben nur ein erster Schritt. Aktuell gilt es, den nächsten Schritt zu gehen und die Reduktionsziele des Klimaschutzgesetzes mit kraftvollen Maßnahmen zu unterlegen. Durch die Energiekrise ist aus dramatischem Anlass ein zusätzlicher Auslöser für hohe Einsparungen bei fossilen Brennstoffen und damit für Emissionsminderung gesetzt. Mit Spannung darf daher auf den 13. Juli geblickt werden, was die Bundesregierung hier als Paket vorlegen wird. Die Latte hat sie sich selbst gelegt. Nun muss sie zeigen, dass sie springen kann.
Brigitte Knopf ist Generalsekretärin des Klimaforschungsinstituts MCC und ist stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung. Marie Zeller arbeitet als Politik-Analystin am MCC und ist wissenschaftliche Referentin des Expertenrats für Klimafragen.