In den vergangenen Wochen wird wieder einmal deutlich: Die Ergebnisse und Ziele der deutschen Klimapolitik sind hinten und vorne ungenügend. Nicht nur, dass die Vorgaben aus dem aktuellen Klimaschutzgesetz bisher nicht für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels ausreichen. Bei der Vorstellung der Klimaschutzprogramms 2023 verkündete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck darüber hinaus, dass die Maßnahmen des Programms auch das zu schwache eigene Zwischenziel bis 2030 um 200 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verfehlen werden. Der derzeitige Fahrplan ist also doppelt defizitär.
Die Missstände in der Klimaschutzpolitik hat auch der Expertenrat für Klimafragen in seinem neuesten Bericht unterstrichen. Die drei wesentlichen Kritikpunkte lauten: Erstens, die Datengrundlage, auf der die Regierung ihr Programm basiert, ist unzureichend. Zweitens, das Programm sieht, wie bereits erwähnt, noch nicht einmal genügend Einsparungen vor, um die eigenen nicht 1,5-Grad-konformen Minderungsziele zu erreichen. Drittens, das Programm lässt ein schlüssiges Gesamtkonzept vermissen.
Heute den gesellschaftlichen Frieden von morgen sichern
Die Einschätzung des Expertenrats schließt sich unmittelbar an die andauernde Debatte um die geplante Klimaschutzgesetz-Novelle an. Sie sieht vor, dass die Sofortprogramme, die das Erreichen der jährlichen Emissionsvorgaben sichern sollten, entfallen. Außerdem sollen verbindliche Sektorziele durch eine Gesamtbilanz ersetzt werden. Und schließlich soll erst dann zwingend nachjustiert werden, wenn Emissionsziele in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht eingehalten werden konnten.
Der Verkehrssektor verfehlt die Ziele Jahr um Jahr besonders deutlich. Einer der größten Nutznießer der Novelle dürfte damit Verkehrsminister Volker Wissing sein, der noch immer kein Sofortprogramm vorgelegt hat. Er verteidigte die Novelle kurz vor der Sommerpause im Morgenmagazin mit der Erklärung, dass es am Ende auf die Gesamtbilanz der Klimaschutzbemühungen ankomme, nicht auf die einzelner Sektoren.
Das ist insoweit zu kurz gegriffen, als dass es einerseits auch in den anderen Sektoren wenig Einsparungen über das Ziel hinaus gibt, sodass es praktisch schwierig werden dürfte, Verfehlungen mit anderen Ressorts zu verrechnen. Zudem bedeuten weniger klare Verantwortlichkeiten und eine mögliche Verlagerung der Probleme in die Zukunft, dass die Einhaltung der Klimaziele noch schlechter überprüfbar ist. Die Möglichkeit, dass Bürger:innen gegen Verfehlungen klagen, wird also deutlich abgeschwächt. Und schließlich sollte es keine Anreize dafür geben, sich in einem Sektor ausruhen zu können, nur weil andere es schaffen, mehr einzusparen. Unabhängig von den Zwischenzielen bringt uns jede eingesparte Tonne CO2 dem globalen Ziel, zivilisatorische Freiheiten zu sichern, entscheidend näher. Je schneller, desto besser.
Die Novelle ebnet, um es prägnant und deutlich zu sagen, also den Weg dafür, dass zunächst mehr emittiert werden kann, als klimapolitisch notwendig und durch den Vertrag von Paris vorgegeben ist. Um dies auszugleichen, müssten zu einem späteren Zeitpunkt dann drastische und radikale Maßnahmen zur Einsparung ergriffen werden.
Die gesellschaftspolitischen Spannungen, die ein zukünftig alternativloser ultra-radikaler Klimaschutz mit sich bringen würde, gilt es durch politische Entscheidungen im Jetzt zu verhindern. Maßgeblich ist dabei, dass die Politik anfängt, mit nachvollziehbaren und transparenten Zahlen zu arbeiten und sich nach einem verbindlichen Restbudget richtet.
Verlässlicher Klimaschutz braucht verlässliche Zahlen
Möchte man bewerten, wie wirksam die durch die Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion einzeln und insgesamt sind, tut sich eines der größten Makel der aktuellen Klimapolitik auf. Denn weder gibt es zu den Maßnahmen eine quantitative Einordnung ihrer Emissionsreduktion, noch werden Ziele formuliert, die mit den einzelnen Maßnahmen erreicht werden sollen.
Verlässlicher Klimaschutz lässt sich nur betreiben, wenn geplante Maßnahmen und ihre Folgen antizipiert und in CO2-Äquivalenten bilanziert werden. Die Zeiten, in der man sich in der Klimaschutzpolitik mit reinen Folgenabschätzungen begnügen kann, sind vorbei. Es bedarf der Überprüfbarkeit und Planbarkeit, die nachvollziehbare Maßgrößen mit sich bringen.
Ohne Restbudget keine Freiheitssicherung
Alle Maßnahmen müssen sich an einem verbindlichen Treibhausgas-Restbudget, das als Berechnungsgrundlage dient, messen lassen. Auch ein solches lässt die Arbeit der Bundesregierung vermissen. Das Deutschland zur Verfügung stehende Restbudget läge aktuell bei 2,3 Gigatonnen CO2, wie Berechnungen auch von GermanZero zeigen.
Aus rechtlicher Sicht würden ein Restbudget und daraus abgeleitete Minderungsvorgaben für die vom Bundesverfassungsgericht 2021 geforderte intertemporale Freiheitssicherung sorgen: Auch zukünftigen Generationen muss es möglich sein, in Freiheit zu leben. Sie dürfen nicht alle oder auch nur unverhältnismäßig viel Minderungslast in Form der dann notwendigen radikalen Klimaschutzmaßnahmen tragen, weil jetzt versäumt wird, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. So rapide und dramatisch, wie das verbleibende Budget gerade schrumpft, verengen sich auch mögliche Handlungsspielräume, der Entscheidung des Gerichts Rechnung zu tragen.
Statt die Mechanismen des Klimaschutzgesetzes aufzuweichen, wäre es also vielmehr an der Zeit, das Klimaschutzgesetz so zu gestalten, dass es eine zukunftsweisende Klimapolitik ermöglicht. Ein verbindliches Restbudget ist der wichtigste Schlüssel, um das Ziel der Klimaneutralität entsprechend unserer Pariser Verpflichtungen zu erreichen. Damit verbunden muss jede Maßnahme in CO2 bilanziert und an ebendiesem Restbudget gemessen werden.
Juliane Willert ist Juristin und klimapolitische
Referentin der NGO GermanZero. Baro Vicenta Ra Gabbert arbeitet in gleicher
Funktion und ebenfalls als Juristin dort. Sie ist zudem Sachverständige der
Bundesregierung im Bundesjugendkuratorium.