Als die EU-Kommission gestern ihre Europäische Offshore-Strategie vorstellte, staunten viele nicht schlecht ob der zugedachten Dimension der Offshore-Windenergie: 300 Gigawatt (GW) sollen vor den Küsten Europas bis 2050 errichtet werden (Großbritannien nicht mitgezählt). Die Nord- und Ostsee werden so zu Garanten für Versorgungssicherheit sowie für kostengünstig und nachhaltig erzeugten grünen Strom. Keine Frage – die Klimaschutzziele sind ambitioniert, die Ausbauziele für Offshore-Windenergie angesichts von derzeit nur 22 GW installierter Leistung vielleicht sogar visionär.
Aber die eigentliche Frage ist doch, wie wir diese Vision verwirklichen können. Europa ist auch im Offshore-Bereich noch ein Flickenteppich nationaler Sonderregeln, der die grenzüberschreitende Kooperation massiv erschwert. Deutlich wird das auch am Raumordnungsplan, den das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) aktuell fortschreibt. Dieser regelt, welche Gebiete für die verschiedenen Nutzungsarten geeignet sind. Es geht im Prinzip darum, wie viele und welche Flächen auf dem Meer für die Energiewende zur Verfügung gestellt werden können. Für die Langfristentwicklung der Offshore-Windenergie ist die Raumordnung also ein entscheidendes Instrument.
Das Problem dabei: Der Platz in der Nord- und Ostsee ist sehr begrenzt und daher hart umkämpft. Während die Debatte um Flächen und Akzeptanz an Land bereits in vollem Gange ist, gibt es auch auf See zunehmende Interessenkonflikte zwischen Artenschützern, Fischern, Schifffahrt, Rohstoffgewinnung und Militär. Es ist zwar sehr positiv, dass im Entwurf des Raumordnungsplans ausreichend Gebiete zur Realisierung von 20 GW Windenergie auf See bis 2030 fixiert und darüber hinaus Gebiete zur Verwirklichung von 40 GW bis 2040 „reserviert“ werden. Diese Reservierung steht jedoch unter Vorbehalt und muss erst noch der Umweltprüfung Stand halten, bevor die Gebiete wirklich zum Bau freigegeben werden.
Es ist richtig, dass der Zubau möglichst naturverträglich erfolgen muss. Richtig ist aber auch, dass wir eine Verschiebung oder Verknappung der Lebensräume vieler Arten langfristig nur dann verhindern können, wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erfüllen. Klimaschutz und Naturschutz dürfen nicht als entweder/oder-Frage missverstanden werden. Letztlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel und genau aus diesem Grund besteht keine Alternative zum weiteren Ausbau der sicheren, kostengünstigen und grünen Windenergie auf See. Klimaschutz und Meeresschutz sind zwei Seiten einer Medaille und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Um die angesprochenen Nutzungskonflikte ein Stück weit zu entschärfen, entwickelte die EU-Kommission den Ko-Nutzungsansatz. Der knappe Meeresraum soll demnach – wenn möglich – von mehreren Akteuren gleichzeitig genutzt werden. Eine einfache, aber kluge Idee, deren Potential in der Praxis leider noch nicht vollständig ausgeschöpft wird.
Offshore-Windparks behindern das Militär nicht
Beispielsweise stammte die Festlegung militärischer Übungsgebiete der Bundeswehr in der Nordsee aus einer Zeit, zu der deutlich weniger Nutzungskonkurrenzen bestanden. Eine verstärkte Ko-Nutzung der Übungsgebiete durch Windparks, geschweige denn ihre Reduzierung, wird mit Verweis auf den verfassungsgemäßen Auftrag, unsere Grenzen zu schützen, strikt abgelehnt. Stattdessen fordert die Bundeswehr noch mehr Nutzungsrechte in den Windparks. Bei allem Verständnis für die Belange der Landesverteidigung ist es nicht nachvollziehbar, warum eine Ko-Nutzung hier kategorisch ausgeschlossen wird. Offshore-Windanlagen behindern keine militärischen Übungen. Im Gegenteil: Sie werden mittel- bis langfristig in allen Weltmeeren installiert sein. Hier kann bereits unter realen Bedingungen geübt werden.
Sicher, Nutzungskonflikte lassen sich nicht komplett auflösen. Nichtsdestotrotz muss im Raumordnungsplan zwischen den verschiedenen Nutzungsansprüchen abgewogen werden. Unsere Gesellschaft hat sich bereits klar für die Klimaneutralität bis 2050 positioniert. Die politischen Weichen zur Realisierung dieses Vorhabens werden durch mehrere Gesetze gestellt. Dank der kürzlich verabschiedeten Änderung des WindSeeG sind die Ausbauzahlen bis 2040 auf 40 GW erhöht worden.
Laut dem Entwurf der EEG-Novelle liegt die Errichtung von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im „öffentlichen Interesse“ und wird richtigerweise als Frage der „öffentlichen Sicherheit“ definiert. Auch in Brüssel wird die Offshore-Windenergie als „die Geschichte einer unangefochtenen technologischen und industriellen Führungsrolle Europas“ bezeichnet – so heißt es jedenfalls in der Offshore-Strategie. Diese Erfolgsgeschichte muss unbedingt fortgeführt werden.
Die Abwägungen bei der maritimen Raumordnungsplanung müssen vor dem Hintergrund dieser politischen Richtungsentscheidungen erfolgen und auch eine stärkere Ko-Nutzung mit anderen Nutzungsarten wie der Bundeswehr muss dabei erwogen werden. Der Ausbau der Offshore-Windenergie muss bis 2040 abgesichert und auch darüber hinaus gedacht sowie räumlich ermöglicht werden. Insbesondere die Ostsee bietet noch reichlich ungenutztes Potenzial, aktuell ist der Ausbau der Windenergie auf See dort de facto zum Erliegen gekommen.
Und noch ein weiterer Aspekt muss beachtet werden: Bisher kommt die in der Nationalen Wasserstoff-Strategie festgehaltene „besondere Rolle“ der Offshore-Windenergie bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff im Entwurf des Raumordnungsplans nicht zur Geltung. Gebiete für Wasserstoff-Erzeugungsanlagen sind Mangelware in dem Entwurf.
Fazit: Trotz einiger guter Ansätze – der aktuelle Entwurf des Raumordnungsplans verkennt ungehobenes Potenzial für Offshore-Windenergie und eine Vielzahl an Möglichkeiten der Ko-Nutzung in Nord- und Ostsee.