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Energie & Klima

Standpunkte Ein Kartenhaus, das zusammenzubrechen droht

Ida Westphal, Energiewendejuristin bei Client Earth
Ida Westphal, Energiewendejuristin bei Client Earth Foto: Frederick Vidal

Mit dem Kohleausstiegsgesetz wird kein Ausgleich der Interessen beim Kohleausstieg geschaffen, obwohl die Kohlekommission dafür eine gute Basis geschaffen hat. Ida Westphal (Client Earth), Karsten Smid (Greenpeace) und die Rechtsanwältin Roda Verheyen summieren in ihrem Standpunkt auf, was aus ihrer Sicht alles falsch läuft.

von Ida Westphal

veröffentlicht am 08.05.2020

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Ein ganzes Jahr ist bereits vergangen, seit Greenpeace und Client Earth einen Gesetzentwurf für den Kohleausstieg vorgelegt haben. Der Entwurf hätte der Bundesregierung als Vorlage für eine schnelle, effektive und rechtssichere Umsetzung des Kohleausstiegs dienen können. Stattdessen ähnelt der derzeitige Stand des Kohleausstiegsgesetzes einem fragilen Kartenhaus, das beim geringsten Luftzug zusammenzufallen droht: Ohne Kohleausstieg keine Strukturhilfen. Ohne Ausbau der erneuerbaren Energien kein Kohleausstieg. Und ohne öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Braunkohleunternehmen kein planungssicherer Kohleausstieg. 

In diese Situation hat sich die Regierung selbst hineinmanövriert. Industrielobbyisten haben die letzten Monate genutzt, um den Ausstiegsfahrplan zu verkomplizieren. Jetzt ist noch immer unklar, wie der Kohleausstieg aussehen wird. Eigeninteressen bestimmen das Bild, Klimaschutz droht auf der Strecke zu bleiben. Ob dieses Problemknäuel noch bis vor der Sommerpause aufgelöst werden kann, ist völlig offen. Gleichzeitig droht der Kohleausstieg im Schatten der COVID-19 - Pandemie weiter verzögert zu werden.

Konfliktlinien bleiben trotz Kohleausstiegsgesetz

Derzeit entscheidet sich, ob Verträge mit den Braunkohlebetreibern erfolgreich ausgehandelt werden. Ausschlaggebend wird sein, wie viel Handlungsspielraum in der Klimapolitik sich die Bundesregierung zugunsten eines nur scheinbar planungssicheren Kohleausstiegs abhandeln lässt. Eine Stellungnahme des Bundesrats zeigt auf, dass trotz eines einvernehmlichen Braunkohleausstiegs auch in Zukunft Konfliktlinien bestehen werden, etwa wenn es um die Frage geht, welche Grenzwerte Kraftwerke künftig für ihren Schadstoffausstoß einhalten müssen. Auch Betreiber von Steinkohlekraftwerken bauen bereits eine Drohkulisse auf, indem sie in Einzelfällen Klagen ankündigen. Ihr Vorwurf: vermeintliche Ungleichbehandlung gegenüber der Braunkohle. Auch sie wollen höhere Entschädigungen und spätere Stilllegungen. Die Bundesregierung hatte diesen Forderungen bereits im April eine Absage erteilt. Ein planungssicherer Kohleausstieg sieht anders aus.

Für den 25. Mai ist nun immerhin die Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss angekündigt. Wie aber sollen sich Öffentlichkeit und Bundestag überhaupt eine Meinung zu den wesentlichen Eckpunkten des Kohleausstiegs –  Entschädigungen, Abschaltzeitpunkte, Klimaschutz und Versorgungssicherheit –  bilden?

Die wichtigen Details, zum Beispiel, wie die Entschädigungssummen berechnet wurden oder welche verfassungsrechtlichen oder energiewirtschaftlichen Erwägungen bei den Verträgen mit Braunkohlebetreibern eine Rolle spielen, werden vom Wirtschaftsministerium unter Verschluss gehalten. Zur Frage, ob der vorgeschlagene Braunkohleausstieg mit dem Verfassungsrecht vereinbar ist, enthält das Gesetz einen Platzhalter. Zwischenzeitlich bekannt gewordene Informationen haben Zweifel gesät, ob bei der ostdeutsche Braunkohlebetreiber LEAG signifikant frühere Abschaltungen erreicht werden.

Viele gute Gründe für ordnungsrechtlichen Ausstiegsplan

Die Ergebnisse einer unabhängigen Überprüfung stehen aus. All dies ist problematisch in einer Demokratie:  Wie soll der Gesetzgeber entscheiden, wenn das Fundament, auf dem die von der Regierung vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung basieren, nicht bekannt ist? Diese Intransparenz geht vor allem zulasten des Klimaschutzes, der Gesundheit und der Menschen, die von der Kohleverstromung betroffen sind. Dass die wichtigen ersten Abschaltungen im Jahr 2020 realisiert werden, wird von Woche zu Woche unwahrscheinlicher. 

Mit der Blaupause von Client Earth und Greenpeace hätten die Empfehlungen der Kohlekommission schon vor einem Jahr umgesetzt werden können – mit transparenten Kriterien zum Ausstiegspfad, der Gleichbehandlung von Stein- und Braunkohle und ohne personalintensives Ausschreibungsmodell für Steinkohle, das schon beim EEG umstritten war. Beihilferechtlich wäre der Vorschlag von Greenpeace und Client Earth unproblematisch gewesen.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Politik zumindest beim Braunkohleausstieg doch noch ein Einsehen hat und auf eine ordnungsrechtliche Lösung mit klarer Abschaltliste ab Ende Juni umschwenkt – so wie von der Kohlekommission empfohlen. Soziale Härten würde das Strukturförderungsgesetz abmildern, und Entschädigung würden nur die bekommen, die rechtlich wirklich Anspruch haben. Und das dürften gar nicht so viele sein: Das Geschäft mit der Kohle wird immer unrentabler und die Verluste der Unternehmen durch einen Kohleausstieg fallen kaum ins Gewicht. Deshalb wäre die ordnungsrechtliche Lösung nicht nur eine vorteilhafte Position für die Bundesregierung, sondern würde vor allem auch den Steuerzahler*innen zugute kommen. In jedem Fall müssen weitere Verzögerungen vermieden werden. Sie sind in COVID-19-Zeiten vielleicht vermittelbar, nehmen dem Staat jedoch immer weiter die Handlungsmöglichkeiten, die er für eine weitere schwelende Krise braucht: den Klimawandel. 


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