Die aktuellen Hitzewellen, Dürren und Waldbrände verdeutlichen wieder einmal, dass die Zeit drängt: Die Bundesregierung darf die Klimakrise nicht aus den Augen verlieren, denn diese verschärft auch die vielfachen Belastungen, denen die Menschen derzeit durch Pandemie, Krieg und Energiekrise ohnehin ausgesetzt sind.
Kein Energieträger ist so schädlich für das Klima wie die Kohle. Sie gefährdet die Gesundheit, führt zu Vertreibungen von Menschen aus ihren Heimatorten, dezimiert Wasservorkommen und kostet Steuerzahlende jede Menge Geld, ob es sich um Folgekosten, den überteuerten Ausstieg oder andere Subventionen handelt. Die derzeitig kritische Versorgungssituation ist zu keinem geringen Anteil auch die Konsequenz von politischen Fehlentscheidungen wie dem Festhalten an fossilen Energieträgern.
Von diesem Kurs muss die Bundesregierung sich lösen und jetzt den Prozess aufgleisen, um den Kohleausstieg in Deutschland zu beschleunigen. In einer diese Woche veröffentlichten Kurzstudie hat ClientEarth dafür die rechtlichen Möglichkeiten aufgezeigt.
Laut Koalitionsvertrag soll der Ausstieg aus Kohle „idealerweise“ bis 2030 gelingen. Derzeit ist er bis 2038 gesetzlich wie folgt geregelt: Betreiber von Steinkohlekraftwerken können in Ausschreibungen Gebote abgeben, um für die Stilllegung eine Entschädigung zu erhalten. Ab 2027 – unter bestimmten Umständen auch schon ab 2024 – sind ordnungsrechtliche Stilllegungen vorgesehen. Der Ausstieg aus der Braunkohle erfolgt hingegen nach einer gesetzlich festgelegten Stilllegungsreihenfolge und gegen eine Zahlung von insgesamt 4,35 Milliarden Euro an die Betreiber. Außerdem hat die Bundesregierung mit Braunkohlebetreibern einen Vertrag geschlossen, der ihnen besondere Rechte einräumt.
Vorziehen des Ausstiegs bis 2035, wie im Gesetz vorgesehen
Dem Koalitionsvertrag zufolge soll die Bundesregierung dieses Jahr prüfen, ob Stilllegungen der Kohlekraftwerke nach 2030 um drei Jahre, also bis Ende 2035, vorgezogen werden können. Im Vertrag mit Braunkohlebetreibern heißt es weiter, dass das Vorziehen des Braunkohleausstiegs entschädigungslos möglich ist, wenn die Stilllegung fünf Jahre vor dem neuen Stilllegungszeitpunkt beschlossen wird.
Daraus ergibt sich, dass Entscheidungen über das Vorziehen spätestens acht Jahre vor den jeweiligen Stilllegungsdaten der Kraftwerke getroffen werden müssen. Eine Vorausplanung verringert die Gefahr, dass diese Fristen verstreichen und vermeidbare Entschädigungsansprüche entstehen. Bei einem beschleunigten Kohleausstieg müssten zudem Mittel für die Rekultivierung der Tagebauflächen früher zur Verfügung stehen und die Finanzierungsplanung entsprechend angepasst werden. Rund um den Tagebau Welzow-Süd hat ClientEarth ein Verfahren unterstützt, weil jetzt schon Zweifel daran bestehen, dass der Braunkohlebetreiber Leag die Wiedernutzbarmachung finanzieren kann. Rechtsunsicherheit über Stilllegungsdaten und weitere Verzögerungen dieser Entscheidung verschärfen dieses Risiko.
Änderung von Gesetz und Vertrag für Ausstieg bis 2030
Die rechtliche Verankerung eines Kohleausstiegs bis 2030 würde eine gesetzliche Änderung und unter Umständen die Anpassung des Vertrags mit Braunkohlebetreibern nach sich ziehen. Für Steinkohlebetreiber wäre eine derartige Änderung ohne zusätzliche Entschädigungen möglich.
Braunkohlebetreiber könnten sich auf ihre vertraglichen Rechte berufen. Wenn die Stilllegungen mehr als drei Jahre vorgezogen werden sollen, wie es für die Änderung des Ausstiegsdatums von 2038 auf 2030 erforderlich wäre, könnten die Betreiber einen Anspruch auf Anpassung des Vertrags haben. In der Folge müsste die Bundesregierung erneut mit ihnen verhandeln.
Weil der öffentlich-rechtliche Vertrag als Instrument unerprobt ist und die Bundesregierung nie nachvollziehbar dargelegt hat, wie sich die Entschädigungszahlungen als Hauptleistung des Vertrages zusammensetzen, wäre der Ausgang ungewiss. So besteht das Risiko, dass sich die Parteien auf zusätzliche Entschädigungen einigen könnten. Politisch wäre dies mit Blick auf die bereits festgelegten und überhöhten Beträge, die damit verbundenen beihilferechtlichen Bedenken und die Regelung dazu im Koalitionsvertrag nur schwer vertretbar.
Für die Verhandlungsposition der Bundesregierung würde dann von Bedeutung sein, inwieweit die gesetzlichen Fristen für das entschädigungslose Vorziehen bereits verstrichen sind, wie die demnächst anstehende Entscheidung der Europäischen Kommission über die Entschädigungen ausfällt, aber auch wie sich die Energiekrise und der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland entwickeln.
Marktgetriebene Verdrängung von Kohle schwerer
Freiwilligen Stilllegungen durch die Betreiber zu einem früheren Zeitpunkt stehen rechtlich weiterhin nichts im Wege, insbesondere würden Braunkohlebetreiber ihren Anspruch auf Entschädigungen auch dann beibehalten. Angesichts hoher Strompreise und der womöglich dauerhaften Knappheit von Gas in Deutschland – was bislang als Ersatz für die vom Netz gehenden Kohlekapazitäten galt – erscheint es fahrlässig, sich auf eine rein marktgetriebene Verdrängung von Kohle zu verlassen. Zumal Kohlekraftwerke mit dem neuen Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz verstärkt zum Einsatz kommen sollen.
Die Bundesregierung muss daher jetzt das Ruder in
die Hand nehmen und den längerfristigen Planungshorizont im Einklang mit
den Klimazielen gestalten, auch, um eine verlässliche Grundlage für
Investitionen zu schaffen sowie Wirtschaft und Haushalte vor zukünftigen erheblichen Strompreiserhöhungen zu schützen. Konkret heißt das, dass sie
die im Kohlegesetz vorgesehenen Möglichkeiten für die vorzeitige Stilllegung
bis 2035 voll ausschöpfen und darüberhinausgehende Maßnahmen für die
gesetzliche sowie vertragliche Verankerung eines Kohleausstiegs bis 2030 ernsthaft
in Erwägung ziehen sollte.