Das letzte Kohlekraftwerk soll spätestens bis 2038 stillgelegt werden. Gleichzeitig wird der Ausbau regenerativer Energien forciert. Allerdings erfordert der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie auch die Bereitstellung gesicherter Leistung, die dann Strom liefert, wenn der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint. Durch die Abschaltung von Kern- und Kohlekraftwerken entsteht nach Meinung vieler Experten eine Lücke von rund 20 Gigawatt an gesicherter Leistung im Jahr 2030.
Im Februar hat die Bundesregierung folgerichtig die Eckpunkte für eine Kraftwerksstrategie vorgelegt, die das Vorgehen zur Schließung dieser Lücke beschreiben. Danach sollen bis 2028 in vier Runden zehn GW an neuer Kraftwerkskapazität ausgeschrieben werden. Beabsichtigt ist der Bau von Gaskraftwerken, die spätestens ab 2036 mit Wasserstoff betrieben werden sollen.
Wasserstoffkraftwerke noch Zukunftsmusik
Die Absicht der Bundesregierung ist grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch lassen sich in der Kraftwerksstrategie drei entscheidende Defizite erkennen.
Erstens: Die Technik für Wasserstoffkraftwerke ist noch nicht ausgereift.
Die jetzt zur Ausschreibung kommenden Gaskraftwerke werden voraussichtlich als Gas- und Dampfkraftwerke mit Nennleistungen zwischen 100 und 1000 Megawatt konzipiert werden. Die Technologie für 100 Prozent Wasserstoff ist hierfür bisher nicht verfügbar. Derzeit wird lediglich eine Mitverbrennung von bis zu 40 Prozent Wasserstoff getestet.
Wie lange es dauern wird, bis die erforderliche Technologie verfügbar sein wird, ist offen. Folglich fällt es Betreibern schwer, heute eine Kalkulation für ein Kraftwerk vorzulegen, das 2036 auf eine noch nicht kalkulierbare Technologie umgestellt werden soll. Bereits jetzt werden neue Gaskraftwerke der oben beschriebenen Kapazität mit einer Investitionssumme von rund einer Milliarde Euro kalkuliert. Durch den bislang nicht kalkulierbaren Umbau wird das Investitionsvolumen voraussichtlich deutlich größer. Das macht den zu fördernden Rahmen extrem groß. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die bislang angestrebten zehn GW nur die Hälfte der tatsächlich vorhandenen Kapazitätslücke schließen.
Konkurrenz um Wasserstoff absehbar
Zweitens: Die erforderliche Wasserstoffmenge ist nicht gesichert.
Die Bundesregierung betont stets, dass sie im Rahmen der Energiewende grünen Wasserstoff fördern will. Bislang sind nur zaghafte Versuche erkennbar, sich auch anderen Formen eines CO2-armen Wasserstoffs zu öffnen, zum Beispiel in Form von blauem Wasserstoff. Aufgrund der Vielzahl der in den kommenden Jahren um die Verwendung von Wasserstoff konkurrierenden Anwendungen und Industrien, ist davon auszugehen, dass es zu einer Verknappung des Angebots kommen wird. Dies führt nicht nur zu höheren Preisen, sondern wird voraussichtlich eine Kaskadierung des Einsatzes von Wasserstoff für verschiedene Anwendungen nötig machen.
Drittens: Der Zeitrahmen für die Bereitstellung der Kraftwerke ist zu kurz bemessen.
Zwar will die Bundesregierung noch vor Ende des Jahres mit der ersten Ausschreibungsrunde beginnen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungswerte für die Genehmigung und Errichtung von Neuanlagen ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die zehn GW im Jahr 2030, in dem sie benötigt werden, zur Verfügung stehen.
Nach aktuellem Stand benötigt ein neues Gaskraftwerk etwa sechs Jahre, bis es ans Netz gehen kann. Demnach ist davon auszugehen, dass die Kraftwerke unter optimalen Bedingungen erst im Laufe der 30er Jahre verfügbar sein werden. Dabei sei darauf hingewiesen, dass wesentliche Details der Förderung beziehungsweise der zukünftigen Vermarktung der Anlagen noch erarbeitet werden müssen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Kraftwerksstrategie mit Fokus auf neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke zwar eine begrüßenswerte Entwicklung darstellt. Sie löst aber nicht das Problem der fehlenden gesicherten Leistung im Jahr 2030. Es wäre daher wichtig, sich heute auch über andere Optionen der Bereitstellung von gesicherter Leistung Gedanken zu machen. Hierzu gehört aus Sicht der Industrie insbesondere die Umrüstung bestehender Kohlekraftwerke.
Umrüstung von Kohlekraftwerken auf alternative Energieträger spart Zeit
Vor dem Hintergrund knapper Kassen und hoher Strompreise sowie des zeitlichen Drucks wäre das absolut sinnvoll. In Deutschland sind heute noch rund 130 Kohlekraftwerke in Betrieb. Ein großer Teil davon ist am Ende des Lebenszyklus angelangt. Es gibt aber auch eine Reihe neuerer Anlagen. Die Jüngste davon, Datteln 4, ist vor gerade einmal vier Jahren in Betrieb gegangen. Diese Generation von jüngeren und hochmodernen Kraftwerken würde sich für einen Weiterbetrieb mit alternativen Energieträgern hervorragend eignen. Durch eine entsprechende Modernisierung und Umrüstung könnten die vorhandenen Standorte, die vorhandene Infrastruktur und der Netzanschluss weiterhin genutzt werden.
Im Vergleich zum Neubau von Kraftwerken entsteht so eine kostengünstige, ressourcenschonende und schnell realisierbare Alternative. Ein Beispiel: Die Umrüstung eines Kraftwerks von Kohle auf Biomasse kostet je nach Anlagengröße rund 200 Millionen Euro. Im Vergleich zum Neubau eines Gaskraftwerks mit vergleichbarer Leistung, wie ihn die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung vorsieht, kostet die Umrüstung eines Kohlekraftwerks lediglich ein Fünftel. Weiterhin dauert die Umrüstung eines Kohlekraftwerks auf Biomasse lediglich ein Drittel der Zeit für einen Gaskraftwerksneubau, nämlich rund zwei Jahre. Neben der Biomasse gibt es mit der Umrüstung von Kohle auf Gas eine weitere Option für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken.
Somit könnte gesicherte Leistung zeitnah zum Zieldatum 2030 erhalten bleiben beziehungsweise verfügbar gemacht werden. Andere Länder innerhalb der Europäischen Union nutzen diese Umrüstungsoption bereits erfolgreich.
Alleiniger Fokus auf neue H2-ready Kraftwerke wird teuer
Deutschland gehört bereits heute zu den Ländern mit den höchsten Stromkosten weltweit. Dies schadet der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes und schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie. Die alleinige Fokussierung auf den kostenintensiven Neubau von Gaskraftwerken und die nochmalige spätere Umrüstung auf Wasserstoff wird die ohnehin hohen Systemkosten weiter steigen lassen.
Es ist dringend geboten, die vorhandenen Potenziale auszuschöpfen und alle technologischen Pfade zu nutzen. Es stellt sich die drängende Frage, warum die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung nicht auf die Potenziale der Umrüstung eingeht. Neben dem Neubau von Kraftwerken muss mit Blick auf die Kosten und unter Risikogesichtspunkten die Umrüstung von Kraftwerken eine Rolle spielen. Anderenfalls schlagen wir einen unsicheren und unnötig teuren Kurs bei der Energiewende ein.
Onyx ist ein Stromerzeuger mit Kraftwerken in Zolling, Bremen, Wilhelmshaven und Rotterdam. Hinter dem Unternehmen steht die US-amerikanische Energie-Investmentgesellschaft Riverstone. Onyx erprobt auch H2-ready-Gasanlagen und die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Biomasse. Umweltschützer argumentieren gegen eine Verfeuerung von Holz-Biomasse in Kraftwerken.