Viel wird geunkt, es sei in Deutschland nicht möglich, neue Stromleitungen zu bauen. Umso erfreulicher sind die neuesten Zahlen zu den Kosten der Netzengpässe: Sie sind in 2018 im Vergleich zum Vorjahr von 1510 Millionen Euro auf 1438 Millionen Euro gesunken – trotz einer höheren Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Der Löwenanteil an erneuerbarem Strom wird von den Stromnetzen aufgenommen. In 2018 waren es 97,4 Prozent. Lediglich 2,6 Prozent wurden im Rahmen von Netzeingriffen abgeregelt. Und die Zahl könnte sogar deutlich niedriger ausfallen, wenn die Nutzung von Strom vor einem Netzengpass endlich wirtschaftlich gemacht würde.
Seit Jahren müssen die Stromnetze als Ausrede dafür herhalten, dass die Bundesregierung jegliche Anstrengung beim Ausbau der Erneuerbaren verweigert. Die neuen Zahlen entlarven diese Ausrede als das, was sie ist: Eine politische Nebelkerze, die immer dann gezündet wird, wenn CDU/CSU energiepolitisch ohne Antwort dastehen.
Die Zahlen zum Zustand des Stromnetzes machen Mut. Deutschland ist kein „failed state“, wenn es um die Planung von Infrastruktur geht. Wenn die notwendigen Investitionen in Stahl und Beton tatsächlich sinnvoll sind und die Bürger ehrlich eingebunden werden, kann deutsche Politik natürlich auch Neubau gestalten. Es wäre brandgefährlich für die Demokratie, diesen Anspruch aufzugeben.
Außerdem kommen die neuen Zahlen zur rechten Zeit. Das Thema Klimakrise ist aus der Nische in die Mitte des gesellschaftlichen Interesses gerückt. Und für Deutschland sind die erneuerbaren Energien eine Riesenchance. Sie erbringen nicht nur den bisher größten Beitrag zur Klimarettung, sie schaffen auch Jobs und Wertschöpfung bis in die entlegensten Ecken unserer Republik. Bei den großen Internetkonzernen schauen wir Europäer nur noch auf die Rücklichter des abgefahrenen Zuges der Industriepolitik – mit der Erneuerbaren-Branche existiert in Deutschland ein Wirtschaftszweig mit enormen Zukunfts- und Wachstumschancen.
Für diese Chancen sind die deutschen Stromkunden vor über 20 Jahren in Vorleistung gegangen. Angeschoben durch das EEG wurden die Erneuerbaren ambitioniert ausgebaut, als sie noch vergleichsweise teuer waren. Mittlerweile produzieren Ökostromanlagen deutlich günstiger als neue fossile Kraftwerke.
Einbruch bei der Windkraft ist politisch verantwortet
Die Melange aus gesellschaftlichem Anspruch an Klimarettung und niedrigen Kosten für sauberen Strom müsste eigentlich zu Hochkonjunktur in der Erneuerbaren-Branche führen. Ein Blick auf die Zahlen sorgt jedoch für blanke Ernüchterung: Erneuerbare Energien in Deutschland stecken in einer tiefen Krise. Die zweite Ausschreibung des Jahres für Wind an Land fiel mit einer Unterzeichnung von 55 Prozent so schwach aus wie noch nie. Zum vierten Mal in Folge konnte die gewünschte Menge nicht vergeben werden. Dabei reichen die geplanten Ausschreibungsmengen bei weitem nicht aus, um das Erneuerbaren-Ziel der Bundesregierung von 65 Prozent bis 2030 zu erreichen.
Der Einbruch bei der Windkraft ist politisch verantwortet. Dabei müsste die Bundesregierung wenigstens ihre eigenen Ziele ernst nehmen, wenn sie von den Menschen Respekt für unsere demokratische Ordnung erhofft. Schließlich hängen nahezu alle zentralen Entscheidungen der aktuellen Energiepolitik auch vom 65-Prozent-Ziel für erneuerbaren Strom ab: Die Kohlekommission hat ihre Beschlussempfehlungen auf dieser Grundlage getroffen. Der aktuelle Netzentwicklungsplan rechnet damit. Das Erreichen des Klimaziels hängt an dieser Annahme.
Es gibt schlichtweg keinen belastbaren Grund, den Ökostromausbau mit Verweis auf die Netze zu bremsen. Und trotzdem verharrt die Bundesregierung in einem Zustand des Nichtstuns und setzt damit die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel. Es ist allerhöchste Zeit, endlich klimaverantwortlich zu handeln.