Letzte Woche machten zwei große Klimanachrichten Schlagzeilen in Europa. Deutschland, Belgien, aber auch Frankreich und die Niederlande erlebten verheerende Überschwemmungen. Gleichzeitig präsentierte die Europäische Kommission unter dem Titel „Fit for 55“ eine Reihe von Gesetzesvorschlägen mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken. Ersteres verdeutlicht die Realität und die Dringlichkeit der Klimakrise. Letzteres beweist, dass der europäischen Führung zwar die Dringlichkeit bewusst ist. Sie ist aber noch immer in der Frage, wie die Kosten für den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft aufgeteilt werden sollen, tief gespalten.
Die Spannungen, die beim Treffen der EU-Kommissare vor der Präsentation des Pakets am 14. Juli hochkochten, zeigen, wie schwierig es sein wird, in den kommenden Monaten eine Einigung zwischen den nationalen Regierungen im Europäischen Rat, und zwischen den politischen Gruppierungen im Europäischen Parlament zu erzielen.
Die Kommission schlägt vor, das bestehende Emissionshandelssystem auch auf Straßenverkehr und Haushalte auszuweiten – was letzten Endes steigende Kosten für Privathaushalte und Unternehmen in den kommenden Jahrzehnten bedeutet. Die Angst vor daraus resultierenden möglichen sozialen Protesten in vielen Mitgliedsstaaten führte zu einer angespannten Debatte, nachdem Kommissionspräsidentin von der Leyen die Vorschläge mit ihren Kolleg*innen erläuterte.
Auch wenn es wichtig ist, dass die Kosten des Klimaschutzes auf die europäischen Gesellschaften und Volkswirtschaften verteilt werden, so ist auch klar, dass Fairness im Mittelpunkt der EU-Strategie stehen muss. Die ECFR-Studie „Europe's Green Moment: How to address the climate challenge“ fand heraus, dass in 19 von 27 Mitgliedsstaaten die Abschwächung sozio-ökonomischer Folgen ganz oben auf der Liste der Herausforderungen bei der Umsetzung des Europäischen Green Deals steht.
Positive Narrative sind entscheidend
Eine vom ECFR in Auftrag gegebene Umfrage in zwölf EU-Mitgliedsstaaten im November 2020 ergab zudem, dass die populärsten politischen Maßnahmen im Rahmen des Green Deals Investitionen in öffentliche Güter sind. Besonders viel Anklang fand die Idee, mehr Geld für grüne Verkehrssysteme auszugeben, die europäische Städte miteinander verbinden. Die Narrative rund um das „Fit for 55“-Paket sind deshalb entscheidend; der Klima-Sozialfonds sollte im Mittelpunkt der gesamten Kommunikation und öffentlichen Debatte rund um den Green Deal stehen.
Die außenpolitische Dimension des Green Deal offenbart außerdem einige ungelöste Konflikte: Welche Art von Führungsrolle möchte die EU beim Klimaschutz überhaupt einnehmen? EU-Beamt*innen haben klar gemacht, dass die Ambition der EU, der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden, zum Teil auch darin besteht, andere Länder dazu zu bringen, ebenfalls einen Schritt weiter und schneller zu gehen.
Der Vorschlag für einen CO2-Grenzausgleich (CBAM) ist jedoch weniger ehrgeizig was die sektorale Abdeckung angeht als von Klimaschützenden erhofft. In der ersten Phase ab 2026 werden lediglich Aluminium, Beton, Elektrizität, Düngemittel sowie Eisen und Stahl abgedeckt – wahrscheinlich zum Teil aufgrund von Bedenken, die von Handelspartnern wie China und den USA hinsichtlich der WTO-Kompatibilität geäußert wurden. Da eines der expliziten Ziele des CBAM aber darin besteht, Anreize für Unternehmen außerhalb der EU zu schaffen, den Kohlenstoffeinsatz in ihrer Produktion zu begrenzen, um den Handel mit den europäischen Märkten nicht zu beeinträchtigen, bot die Zustimmung der G20 zur Einführung von Kohlenstoffpreisen Anfang Juli einen willkommenen Anlass für die EU, nun einen umfassenderen Vorschlag zu unterbreiten.
Die ersten sechs Amtsmonate von US-Präsident Joe Biden lassen erkennen, dass Amerikas klimapolitischer Einsatz vor allem von diplomatischer Natur sein wird. Um dies zu ergänzen, sollte die EU stattdessen die Führungsrolle beim aktiven Klimaschutz anstreben. Jetzt, da das Gesetzespaket auf dem Tisch liegt, muss die EU die oben erwähnten internen Spaltungen überwinden – und der Welt zeigen, dass der Green Deal nicht nur ein Plan, sondern Realität ist.
Die EU muss mit Nachbarn wie der Türkei, Nordafrika, dem Westbalkan und den Ländern der Östlichen Partnerschaft den Dialog aufnehmen – und die Gespräche entschieden, aber dennoch auf solidarischer Basis führen. Es muss klar sein, dass es keine Alternative zum Green Deal gibt – doch dass die EU als engagierter Partner bereit ist, zu investieren und die Länder beim Aufbau ihrer Kapazitäten insbesondere im Bereich erneuerbare Energien zu unterstützen und sie in Richtung kohlenstofffreie Produktion zu bewegen.
Die Führungsrolle der EU beim Klimaschutz darf nicht durch monatelange Uneinigkeit gefährdet werden, während sich das Gesetzpaket seinen Weg durch den institutionellen Genehmigungsprozess bahnt. Die Europäische Union kann nach außen nicht glaubwürdig sein, wenn sie sich offensichtlich nicht intern einig sein kann – Drittländer werden stattdessen darauf bauen, dass die Vorschläge mit der Zeit verwässern.
Susi Dennison ist Senior Policy Fellow und
Leiterin des „European
Power”-Programms des European Council on Foreign Relations. Übersetzung:
Marlene Riedel, ECFR