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Energie & Klima

Standpunkte Gebotszonensplit verschärft systemische Probleme

Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie
Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie Foto: BEE

Der deutsche Strommarkt und seine Netze befinden sich mitten in der Transformation. Hierbei entstehen Probleme, die systemisch gelöst werden müssen, nicht rechnerisch auf dem Papier. Denn bei einer Gebotszonenteilung würden die negativen Folgen gegenüber den vermeintlichen Vorteilen überwiegen. 

von Simone Peter

veröffentlicht am 29.07.2024

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Verbrauch und Erzeugung von Strom, der zunehmend aus erneuerbaren Energien stammt, sind in Deutschland ungleich verteilt: Ein großer Teil des erneuerbaren Stroms kommt aus dem Norden und Osten, die stärksten Verbraucher sind allerdings im Süden und Westen. Dieser räumliche Unterschied stellt das Netz trotz Anstrengungen beim Netzausbau vor Herausforderungen. Noch immer reicht seine Kapazität nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Deshalb müssen im Zuge von Redispatch-Maßnahmen Kraftwerke vor einem Netzengpass abgeregelt und andere dahinter hochgefahren werden.

Verfechter einer Gebotszonenteilung wollen dieses Problem verringern, indem Preise regionalisiert werden, um damit besser das tatsächliche Verhältnis von Angebot und Nachfrage abzudecken. Denn innerhalb einer Gebotszone kostet der Strom am Spotmarkt überall gleich viel, selbst wenn im Süden Mangel herrscht und im Norden ein Überangebot. Von solchen Preissignalen erhoffen sich die Befürworter Anreize für die Flexibilisierung der Produktion und des Verbrauchs, einen stärkeren Zubau von Erneuerbaren in Regionen mit höheren Strompreisen sowie Stimuli für die Industrie, in die Regionen mit niedrigeren Strompreisen zu ziehen. Doch wie sieht es in der Realität aus?

Die Netzphysik bliebe unverändert

Schon die These, dass eine Aufteilung der einheitlichen Preiszone Kosten senken würde, ist nicht zu halten. Denn an der Netzphysik ändert sich auch nach einer Teilung nichts. Die gleiche Anzahl an Anlagen müsste abgeregelt und an anderer Stelle die Stromproduktion hochgefahren werden – dann allerdings marktlich und nicht durch den Netzbetreiber getrieben. Anlagenbetreiber erhalten dann allerdings keine Entschädigungen für den Produktionsausfall mehr, was Bestandsanlagen wirtschaftliche Risiken bereitet.

Der hochliquide Terminmarkt in Deutschland war zudem einer der Gründe, warum wir die fossile Energiepreiskrise 2022 vergleichsweise gut überstanden haben. Mit einer Gebotszonenteilung würde der Terminmarkt jedoch geschwächt. Sowohl Österreich als auch die skandinavischen Länder sichern sich heute über den stabilen Terminmarkthandel in Deutschland langfristig ab. Diese Solidarität dürfen wir nicht kündigen.

Wettbewerbsnachteile würden verstärkt

Die erhofften Entlastungen für Endkundenpreise in Regionen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien würden bei einer Gebotszonenteilung auch nur gering ausfallen, wie Studien zeigen. Die hohen Strompreise in Deutschland sind schon jetzt ein Wettbewerbsnachteil. Eine Teilung würde diese Situation ausgerechnet im wirtschaftlich starken Süden verschärfen. Die meisten Produktionsstandorte lassen sich nicht verlagern. Die Folge wären weitere Probleme in ohnehin vom Strukturwandel stark betroffenen Regionen, verbunden mit dem Risiko von Abwanderungen ins Ausland.

Ein weiteres Problem: Nach der Teilung ist vor der Teilung. Vor fünf Jahren wäre ein Schnitt wahrscheinlich entlang der Mainlinie vollzogen worden, heute ist dies deutlich weiter im Norden angedacht, in Zukunft voraussichtlich entlang einer Ost-West-Linie. Eine Teilung schafft also keine Planungssicherheit, sie verschärft Unsicherheiten.

Auch die Sicht, dass in Zonen mit höheren Strompreisen der Ausbau der Erneuerbaren unter Umständen angereizt würde, greift zu kurz. Deren Zubau würde zwar attraktiver, nicht aber die Sektorenkopplung, also die Verbindung von Erzeugungspotenzialen mit flexiblen Speicher- und Verbrauchsmöglichkeiten – von E-Mobilität bis Wärmepumpen. Dem gegenüber ständen Regionen, in denen sich der Ausbau der Sektorenkopplung lohnt, aber der Ausbau der Erneuerbaren nicht mehr. Damit wir unsere Klimaziele einhalten und wirtschaftliche Prosperität befördern, muss jedoch beides gleichzeitig geschehen – und zwar im gesamten Bundesgebiet.

Eine Gebotszonenteilung bedingt auch weniger liquide Märkte mit größeren Marktpreisschwankungen: Ein neuer Windpark mit 50 Megawatt Leistung hat in einer bundesweiten Zone kaum Einfluss auf Strompreise, in einer kleinen Gebotszone schon. Für Anlagenbetreiber wird es dann zu einem Glücksspiel, ob sie in ihrer Region langfristig mit ihren geplanten Marktwerten bestehen können.

Erneuerbare Vorreiter würden bestraft

Die Hauptlast trügen die Regionen, die bis jetzt Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien waren. Ausgerechnet dort geriete die Wirtschaftlichkeit der Bestandsanlagen in Gefahr und würde die Planung neuer Anlagen unattraktiver – bei geringfügig niedrigeren Strompreisen und ohne zusätzlichen Anreiz für Industrieansiedlungen. Hier würde auch Paragraf 51 EEG am stärksten zuschlagen: Während heute bereits 15 Prozent der PV-Anlagen und 5 Prozent der Windenergie-Anlagen aufgrund negativer Preise keine Förderung mehr erhalten, würde das in Regionen mit hohen Erneuerbaren-Anteilen noch verstärkt. Das käme einem rückwirkenden Eingriff gleich, denn die Betreiber hätten mit dieser Veränderung nicht rechnen können.

Netze ausbauen, Flexibilitäten entfesseln

Die Herausforderungen im Netz und in den Energiemärkten müssen nachhaltig angepackt werden, um die Energiewende und günstige Preise zu sichern. Besser als ein Gebotszonensplit ist die konsequente Förderung von Flexibilitäten, Speichern und Sektorenkopplung, parallel zum zügigen Ausbau der Netzinfrastruktur und der Reform des Strommarktes. Der BEE hat bereits vor drei Jahren mit seiner Studie “Klimaneutrales Stromsystem” gezeigt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Bei flexibel steuerbaren erneuerbaren Erzeugern ist deren Flexibilitätspotential umfänglich zu nutzen und auskömmlich anzureizen. Das ist heute nicht der Fall. Allein Biomasse- und Wasserkraftwerke machen heute einen Anteil von rund 13 Prozent an der Brutto-Stromerzeugung aus. Verbrauchsseitig sind die Möglichkeiten zur Direktbelieferung der Industrie, flexible Stromtarife sowie Anreize zur netzdienlichen Fahrweise von Heimspeichern zu nutzen.

Im Bereich der schnell wachsenden Stromspeicherkapazitäten würde die Absenkung der Stromnebenkosten sowie die Abschaffung von Baukostenzuschüssen neue Anreize setzen. Speicher, die markt- und netzdienliches Verhalten vereinfachen, sind zudem anzureizen. Das gilt auch für die markt- und netzdienliche Fahrweise von Elektrolyseuren, die heimischen grünen Wasserstoff liefern sollen.

Absicherung reformieren

Parallel dazu ist die Umstellung von einer zeit- auf eine mengenbasierte Absicherung im EEG zentral, kombiniert mit einer effizienten Nutzung der Netzinfrastruktur, wie sie durch eine Überbauung der Netzverknüpfungspunkte einfach und günstig erreicht werden könnte. Auch dadurch würden negative Strompreise vermieden, Redispatchbedarfe gesenkt und die Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien gesichert.

Keine dieser Maßnahmen kann für sich allein stehen; ein komplexes und vielfältiges Energiesystem braucht vielfältige und komplexe Lösungen. Das ist weniger spektakulär wie die Forderung nach einer Teilung der Gebotszone, schützt aber Industrie, Wirtschaft und Haushalte nachhaltig vor Verwerfungen und sichert kostengünstig den Ausbau der erneuerbaren Energien.

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