Selten klafften das internationale Medienecho und die tatsächlichen Ergebnisse einer Weltklimakonferenz so weit auseinander wie kürzlich in Glasgow. Diese Konferenz hat für den weltweiten Klimaschutz mehr erreicht als jede andere seit der Verabschiedung des Pariser Klimaschutzabkommens 2015. Ihr gelang es nämlich, das Regelwerk für den internationalen Kohlenstoffmarkt zu verabschieden, woran zwei Vorgängerkonferenzen gescheitert waren.
Ein funktionstüchtiger Kohlenstoffmarkt ist eine Grundvoraussetzung für effiziente Klimaschutzmassnahmen weltweit. Er erlaubt die Konzentration auf die kostengünstigsten Emissionsminderungsaktivitäten, beschleunigt die Verbreitung von Klimaschutztechnologien und erlaubt es somit den Regierungen, anspruchsvollere Klimaschutzziele zu setzen.
CDM ist besser als sein Ruf
Bereits unter dem Kyoto-Protokoll gab es mit dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) einen globalen Kohlenstoffmarkt. Über 8000 Projekte in fast 100 Entwicklungsländern haben innerhalb von 15 Jahren über zwei Milliarden Emissionsgutschriften erzeugt, die von den Industrieländern auf ihre nationalen Klimaschutzziele angerechnet werden konnten. Leider lag der CDM-Markt über fast zehn Jahre brach, da die Nachfrage nach Emissionsgutschriften in Folge der gescheiterten Kopenhagener Klimakonferenz einbrach und der Preis nahe Null verharrte.
Der CDM hatte auch eine schlechte Presse, da Umweltorganisationen kritisierten, die Projekte würden ohnehin stattfinden und seien daher nicht zusätzlich. Das traf in der anfänglichen „Wildwestphase“ des Mechanismus auch auf einige Projekte zu. Jedoch wurde das Regelwerk wesentlich strikter, schwarze Schafe unter den Prüffirmen wurden suspendiert und spätestens ab 2009 trug der CDM in erheblichem Maße zur Emissionsreduktion weltweit bei.
Doppelte Buchführung für Emissionsgutschriften
Die Einigung von Glasgow stellt sicher, dass alle internationalen Transfers von Emissionsgutschriften einer doppelten Buchführung unterliegen und somit keine Doppelanrechnung stattfindet. Das Verkäuferland muss somit die verkauften Emissionsgutschriften der heimischen Emissionsbilanz hinzufügen, während das Käuferland sie von seiner Emissionsbilanz abzieht. An diesem Punkt waren alle vorherigen Verhandlungen gescheitert, da Brasilien verlangt hatte, Emissionsreduktionen außerhalb nationaler Klimaschutzpläne von der Anrechnung auszunehmen.
Diese Regel gilt auch, wenn die Emissionsgutschriften nicht auf nationale Emissionsziele, sondern Ziele der Weltluftfahrt oder freiwillige Ziele von Unternehmen angerechnet werden.Die Berechnung der Emissionsreduktionen erfolgt auf Basis konservativer Referenzfälle. Es darf nicht mehr einfach das historische Emissionsniveau fortgeschrieben werden.
In Zukunft muss sich der Referenzfall an den Klimaschutzpolitiken des Landes orientieren, in dem die Aktivität stattfindet, und er muss mit dem langfristigen Temperaturziel des Pariser Abkommens kompatibel sein. Das kann beispielsweise bedeuten, dass das historische Emissionsniveau einer Technologie mit einem Koeffizienten multipliziert wird, der mit der Zeit sinkt, und zu dem Zeitpunkt Null erreicht, an dem das Land eine Netto-Null-Emission aufweisen sollte.
Ein solcher „Ambitionskoeffizient“ könnte die Weiterverwendung der über 200 Referenzfallmethodiken des CDM und somit eine rasche Umsetzung der neuen Marktmechanismen ermöglichen. Bei der nächsten Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh in Ägypten wird über solche Einzelheiten der Umsetzung von Artikel 6 noch beraten werden.
Erstmals wird deutlich formuliert, dass der Erlös aus dem Verkauf der Emissionsgutschriften ein entscheidender Faktor für die Durchführung der Projekte sein muss und somit deren Zusätzlichkeit sicherstellt. Diese Regel ist extrem wichtig, wenn das nationale Klimaschutzziel des Gastlandes lax ausfällt. Leider trifft das noch für viele Lände zu.
Erleichterter Übergang vom alten zum neuen Markt
Das strenge Regelwerk für die neuen Märkte des Pariser Abkommens geht damit einher, dass alle noch laufenden CDM-Projekte einen Antrag auf Übergang stellen können. Das war heftig umstritten; vor allem die EU hatte sich dafür stark gemacht, dass es keinen solchen Übergang gibt. Auch die Emissionsgutschriften aus den seit 2013 registrierten Projekten können übertragen werden. Um wie viele Zertifikate es hier geht, ist umstritten. Unsere Schätzungen belaufen sich auf rund 120 Millionen Emissionsgutschriften, andere liegen dreimal so hoch.
Beide Entscheidungen schaffen Vertrauen in die langfristige Stabilität der Kohlenstoffmärkte. Somit wird es einfacher, den Privatsektor zu einer Teilnahme an den neuen Märkten zu bewegen. Vor dem Hintergrund der Unsicherheit über die Regeln für die internationalen Kohlenstoffmärkte hat sich in den letzten Jahren eine schwungvolle Nachfrage nach Emissionsgutschriften des freiwilligen Marktes entwickelt. Wie sein Name sagt, unterliegt er keinerlei offiziellen Regeln. Es haben sich konkurrierende Regelsysteme unter privater Regie herausgebildet.
Jetzt stellt sich die Frage, welche Rolle der freiwillige Markt in Zukunft spielen kann. Das hängt entscheidend davon ab, ob die Emissionsgutschriften glaubwürdig sind. Derzeit befehden sich zwei Denkschulen: Eine verlangt doppelte Buchführung für die Emissionsgutschriften, die andere lehnt sie ab. Aus unserer Sicht ist nur der erste Ansatz zukunftsfähig; beim zweiten handelt es sich um Luftbuchungen. Die Glasgower Beschlüsse zu Artikel 6 ermöglichen es den Teilnehmern am freiwilligen Markt, eine formale Bewilligung des Gastlandes einzuholen, die die doppelte Buchführung bestätigt. Es bleibt zu hoffen, dass öffentlicher Druck dazu führt, dass nur Zertifikate mit einer solchen Bewilligung Nachfrager finden, und der derzeitige »Wildwestmarkt» ein Auslaufmodell wird.
Die neue Bundesregierung als Katalysator für den globalen Kohlenstoffmarkt
Im Koalitionsvertrag spricht sich die neue Bundesregierung für einen globalen Kohlenstoffmarkt mit einem einheitlichen Preis aus. Im Rahmen der anstehenden G7-Präsidentschaft sollte sie daher die EU dazu drängen, ihre grundsätzliche Ablehnung der internationalen Kohlenstoffmärkte ad acta zu legen. Die kleine Schweiz hat bereits durch bilaterale Verträge mit einem halben Dutzend Entwicklungsländern die Grundlage für eine Nachfrage nach internationalen Emissionsgutschriften gelegt. Deutschland muss aufholen und in den nächsten zwölf Monaten entscheidend dazu beitragen, dass der Kohlenstoffmarkt sein Potenzial zur Ambitionssteigerung ausspielt.
Der Beitrag der internationalen Kohlenstoffmärkte zur Schießung der Ambitionslücke
Nur durch enge Kooperation der Privatwirtschaft und der Regierungen kann die anspruchsvolle Emissionsreduktion erreicht werden, die eine Begrenzung der globalen Erwärmung unterhalb von zwei oder gar 1,5 Grad ermöglicht. Noch ist die Lücke gross, wie die Analyse des UN-Klimasekretariats zeigt – im Jahr 2030 beträgt sie über 25 Milliarden Tonnen CO2. Alle müssen an einem Strang ziehen, um sie zu schliessen, und die internationalen Kohlenstoffmärkte können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.
Axel Michaelowa ist Forscher an der Universität Zürich und Mitbegründer von Perspectives Climate Group, einem Beratungsunternehmen und Think-tank für internationale Klimaschutzpolitik.