2021 ist ein Superwahljahr. Auftakt waren die beiden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Dort wurden gestern die Kreuze auf den Wahlzetteln ausgezählt. Ohne beim Verfassen dieses Textes das Wahlergebnis zu kennen – der Ausgang der Landtagswahlen ist ein Indikator dafür, welche Kompetenzen die Wähler*innen den jeweiligen Parteien zuschreiben. Intensive Diskussionen über mögliche Kanzlerkandidat*innen und Parteiprogramme zeigen sehr deutlich, dass die Bundestagswahl bereits ihre Schatten voraus wirft.
Durch die Corona-Pandemie befindet sich Deutschland im Dauerkrisenmodus. Die Maßnahmen rund um die Pandemie bestimmen seit etwa einem Jahr unser Leben. Reichlich Zeit für die Regierenden, sich als Macher zu profilieren, während die Opposition die Finger in die Wunden legt und Missstände aufzeigt.
Folgen der Arten- und Klimakrise drohen dramatisch auszufallen
Die Coronakrise ist – obgleich akut – nur die Spitze des Eisbergs. Weitreichendere Folgen werden uns durch die Klima- und Artenkrise ereilen. Das Wissen darüber ist lange vorhanden, die Berichte des Weltklimarats IPCC und des Weltbiodiversitätsrats IPBES sind hinlänglich bekannt. Leider führt das noch nicht ausreichend zu politischen Handlungen.
Wir sind an diesem Wochenende in ein entscheidendes Wahljahr eingetreten. Regierungs- und Oppositionsparteien müssen sich daran messen lassen, wie sie die schlimmsten Folgen der Klima- und Artenkrise vermeiden wollen. Regierende müssen künftig sehr konkret beschreiben, wie die CO2-Emmissionen reduziert werden sollen – und dann auch liefern. Die Opposition muss sorgfältig darauf achten, dass das auch passiert und gegebenenfalls intervenieren. Denn die Umsetzungserfolge in Sachen Klimaschutz sind bislang durchwachsen – wohlwollend ausgedrückt.
Trippelschritte und Fehlentwicklungen statt großer Würfe
Das Agieren der Bundesregierung unter anderem bei GAP-Verhandlungen, Insektenschutzgesetz oder Klima- und Verkehrswende ist alles andere als rühmlich und reicht nicht aus. Das Klimapaket der großen Koalition – als Herzstück der Klimapolitik – ist ein Bündel unzureichender Maßnahmen. Selbst die ambitionslos formulierten Ziele des Klimaschutzgesetzes lassen sich damit kaum erreichen.
Wichtige Projekte wie der Ausbau der naturverträglichen erneuerbaren Energien sind nicht nur ins Stocken geraten, sondern werden durch Wirtschaftslobbyismus und aus den Ministerien heraus teilweise vorsätzlich behindert. Die EEG-Reform lässt wenig Verbesserungspotenzial erkennen. Dringend notwendige Veränderungen bei Verkehr und Landwirtschaft sind überhaupt noch nicht sichtbar.
CO2-Bilanz mit
trügerischer Aussagekraft
In dieser Lage stellt das Umweltbundesamt morgen die Treibhausgasbilanz Deutschlands für das Jahr 2020 vor – eine Bilanz,
die falsche Schlüsse zulässt. Dass
die 2019 im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Ziele für das Jahr 2020 erreicht
werden, ist leider kein Resultat
politischen Handelns. Vielmehr ist es das Resultat eines Lebens unter Pandemiebedingungen.
Homeoffice, ein Jahr ohne Reisen und monatelang geschlossene Angebote von Gastronomie, Bädern oder Handel haben uns letztendlich geholfen, die Klimaziele für 2020 zu erreichen. Wir erleben gerade, wie dramatisch eine Krise unsere Freiheit beschneidet, wenn sie voll zuschlägt. Das sollte uns ein zusätzlicher Anreiz sein, die ökologische Großkrise zu verhindern.
Noch haben wir es in der Hand, den globalen Artenschwund aufzuhalten, die Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und so unsere Freiheit auf Dauer zu bewahren. Aber die Ziele des Klimaschutzgesetzes reichen dabei vorne und hinten nicht. Sie reichen nicht, um Deutschland auf den richtigen Pfad für das 1,5-Grad-Ziel zu bringen. Sie reichen auch nicht, um einen angemessenen Beitrag zu den europäischen Klimazielen zu leisten.
Bereinigte CO2-Bilanz unterstreicht den Handlungsbedarf
Wir müssen also davon ausgehen, dass der CO2-wirksame positive „Coronaeffekt“ in Zukunft wieder wegfallen wird und sich vermutlich sogar ins Gegenteil verkehrt. Gleichzeitig sehen wir, dass die wichtigen natürlichen CO2-Speicher wie Moore und Wälder gefährdet sind – einerseits durch die vergangenen Dürresommer und sinkende Grundwasserspiegel, andererseits durch die mutwillige Naturzerstörung, beispielsweise für Kohleabbau, den Bau neuer Autobahnen und die enorm hohe Flächenversiegelung.
Die Lage ist dramatisch. Es besteht sogar die reale Gefahr, dass diese biogenen Senken aufgrund ihres schlechten Zustands künftig als CO2-Quelle in der Klimabilanz auftauchen – was den Bedarf an CO2-senkenden Maßnahmen zusätzlich verschärft.
Je länger wir brauchen, um wirksame politische Veränderungen einzuläuten, desto drastischer fallen die Veränderungen für die Menschen aus. Damit wird es immer schwieriger, für die Akzeptanz solcher Maßnahmen zu werben.
Schauen wir auf die noch laufende Legislaturperiode. Die Uhr tickt, spätestens nach der Bundestagswahl sind alle Parteien dringend gefordert, ernsthafte Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Wir brauchen ein 100-Tage-Klimaschutz- Sofortmaßnahmenpaket zum Kohleausstieg, dem Ausbau der erneuerbaren Energien, Maßnahmen für Energie- und Ressourceneffizienz sowie nachhaltige Mobilität und ein erweitertes, ambitioniertes Klimaschutzgesetz.
Uns muss bewusst sein: Jede der vor uns liegende Wahlen ist eine Klima- und Umweltwahl.
Jörg-Andreas Krüger ist seit November 2019
Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), dem mitgliedsstärksten
Umweltverband Deutschlands.