Die Uhr tickt. Am 20. September entscheidet
das Klimakabinett über das Instrument zur Bepreisung von CO2 in jenen Sektoren,
die nicht vom EU-Emissionshandelssystem erfasst sind. Ein Preis auf Kohlenstoff
ist neben weiteren Maßnahmen nötig, um den bislang kaum sinkenden deutschen
Treibhausgasausstoß im Gebäude- und Verkehrssektor mit europäischen und
internationalen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Während
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) eine Steuerlösung im Rahmen des
bestehenden Energiesteuerregimes vorgeschlagen hat, scheint sich in der Union
eine Präferenz für ein nationales Emissionshandelssystem herauszubilden.
Als Vertreterin eines internationalen Regierungsnetzwerks zum Thema Emissionshandel habe ich grundsätzlich eine hohe Affinität zu diesem Instrument. Mit Blick auf den deutschen Verkehrs- und Gebäudesektor wäre dies allerdings der bürokratischere, intransparentere und vermutlich ineffizientere Weg. Aus den Erfahrungen der mittlerweile 20 weltweit eingeführten Systeme wissen wir: Ihre Wirksamkeit hängt sehr stark von der konkreten Ausgestaltung ab, bis hinunter in einzelne Details. Insofern lohnt sich ein Blick darauf, wie ein solches Instrument in Deutschland umgesetzt würde.
Mengensicherheit versus Preissicherheit
Als wesentlicher Vorteil eines Emissionshandelssystems gegenüber einer Steuer wird neben der größeren Flexibilität für die beteiligten Akteure oft die Sicherheit der Zielerreichung genannt. Deutschland hat im Rahmen der europäischen Klimaschutzverordnung (Effort Sharing Regulation) ein striktes nationales Minderungsziel in den Sektoren Gebäude, Kleingewerbe, Landwirtschaft und Verkehr zu erfüllen. Wird dieses Ziel verfehlt, drohen massive Strafzahlungen.
Bei einer CO2-Steuer wäre vorab nicht klar, in welchem Ausmaß die Emissionen infolge des von der Politik gesetzten Preissignals sinken. Im Gegensatz dazu gewährt der Emissionshandel durch die Festlegung einer Emissionsobergrenze (des „Caps“) prinzipiell Mengensicherheit für die regulierten Sektoren.
Erkauft wird diese
Mengensicherheit mit einer Preisunsicherheit: Der Preis für Kohlenstoff ergibt
sich am Markt aus dem Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage nach
Emissionszertifikaten. Um das Risiko von extremen Preisänderungen infolge von
starken Schwankungen in der Nachfrage zu begrenzen, haben mittlerweile alle
Systeme weltweit Schutzmechanismen. Im EU- Emissionshandelssystem ist dies die
Marktstabilitätsreserve. In allen anderen Systemen gibt es Interventionspreise,
bei deren Über- oder Unterschreiten die Angebotsmengen angepasst werden – sogenannte Mindest- beziehungsweise
Höchstpreise.
Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass auch der Vorschlag des Sachverständigenrats für ein nationales Emissionshandelssystem für Wärme und Verkehr einen Preiskorridor mit Mindest- und Höchstpreisen vorsieht. In Deutschland hätte ein Höchstpreis angesichts der unklaren und kurzfristig geringen Nachfrageelastizität im Gebäude- und Verkehrsbereich durchaus seine Rechtfertigung. Niemand möchte, dass exzessive Preisschwankungen oder eine mögliche Preiseskalation ärmere Haushalte oder kleine Unternehmen in den Ruin stürzen.
Vermeidungskosten im dreistelligen Euro-Bereich
Allerdings würde ein Höchstpreis vermutlich mehr mit Blick auf dessen erwartete sozial- und wirtschaftspolitische Folgen als auf die geschätzten CO2-Vermeidungskosten gesetzt. Für die im Rahmen der europäischen Klimaschutzverordnung nötigen Emissionsminderungen dürften diese Kosten im dreistelligen Euro-Bereich je Tonne CO2 liegen, wie die Studie „Klimapfade für Deutschland“ von Boston Consulting Group und Prognos ergab. Zwar gibt es auch geringinvestive Maßnahmen, bei denen die Vermeidungskosten sogar negativ sind. Aber um auf die EU-rechtlich vorgeschriebenen Minderungsmengen zu kommen, müssen auch die deutlich kostenintensiveren Minderungsoptionen voll ausgeschöpft werden. Ob das in Deutschland als Einstieg in die CO2-Bepreisung vermittelbar wäre, ist zu bezweifeln.
Ein deutlich niedriger angesetzter Höchstpreis aber würde emissionshandelspolitisches Neuland betreten: Bislang gibt es weltweit kein einziges System, bei dem der Höchstpreis unterhalb der erwarteten Vermeidungskosten liegt. So haben zum Beispiel die nordamerikanischen Emissionshandelssysteme ihre Höchstpreise deutlich über den geschätzten CO2-Vermeidungskosten in den teilnehmenden Sektoren festgelegt. In Kalifornien ist der Höchstpreis bisher noch nie erreicht worden. Im System der Regional Greenhouse Gas Initiative an der US-Ostküste war dies während seiner mehr als zehnjährigen Laufzeit nur zweimal der Fall, wie der ICAP Status Report 2019 zeigt.
Höchstpreis würde de facto wie eine Steuer wirken
Wenn der Höchstpreis signifikant unter den zu erwartenden Vermeidungskosten liegt, würde ein wesentliches Argument für ein nationales Emissionshandelssystem wegfallen: das garantierte Erreichen des Klimaziels. Denn wenn jeder Teilnehmer am Emissionshandel einen geringeren Preis zahlt als zur Emissionsminderung notwendig ist, dann kann die Lücke nur dadurch kompensiert werden, dass Zertifikate über das Cap hinaus „nachgedruckt“ und in den Markt gegeben werden. Damit würde dieses Emissionshandelssystem letztendlich wie eine CO2-Steuer wirken – das Mengenziel wäre Makulatur, der Höchstpreis würde den Marktpreis setzen.
Am Ende der Entwicklung stünde ein schlechter Kompromiss: ein nationales Emissionshandelssystem, dessen Höchstpreis de facto wie eine Steuer wirkt und dessen Aufbau administrativ und zeitlich aufwendig ist. Das aber weniger Transparenz über zukünftige CO2-Kosten schafft als eine anwachsende CO2-Steuer, die der Endverbraucher beim Autokauf oder beim Ersatz der Ölheizung berücksichtigen kann und deren Pfad bei Bedarf nachjustiert werden kann. Die Folge wäre eine Verzögerung des Einstiegs in die dringend nötige systematischere Bepreisung von CO2 in Deutschland. Ehrlicher, schneller und billiger wäre eine „echte“ CO2 Steuer.