Blühende Rapsfelder und summende Bienen prägen die deutsche Landschaft im April. Ist das bereits klima- und naturverträgliche Energieversorgung oder trügt der Schein? Hier ein paar Fakten: Auf der dreifachen Fläche des Saarlandes wächst in Deutschland Raps für die Energiegewinnung (8800 Quadratkilometer).
Daraus können pro Einwohner etwa 16 Liter Biodiesel pro Jahr gewonnen werden, womit ein Diesel-Pkw 300 Kilometer weit fahren kann. Photovoltaikanlagen wären wesentlich effizienter: Sie könnten auf derselben Fläche ungefähr das 50-fache an Energie erzeugen, und damit mehr als den gesamten heutigen Stromverbrauch Deutschlands abdecken.
Flächen sind reichlich vorhanden
Diese Zahlen machen deutlich: Flächen sind reichlich vorhanden für eine klimaverträgliche Energieversorgung. Sie werden nur nicht effizient und nachhaltig genutzt. Für eine klimaverträgliche Energieversorgung Deutschlands haben Photovoltaik und Windkraft die größten Potenziale. Es müssen nur ausreichend Anlagen gebaut werden. Wenn dies jetzt richtig angepackt wird, erfährt die Energieversorgung in Deutschland einen grundlegenden Paradigmenwechsel: Denn Wind und Sonne erzeugen elektrische Energie direkt.
So wird elektrische Energie von einer – aus Kohle oder Gas erzeugten – Sekundärenergie zu einer Primärenergie. Damit wird die direkte Nutzung elektrischer Energie in vielen Bereichen zum Standard, flüssige Energieträger oder Gase werden zum Auslaufmodell: Gasherde werden ersetzt durch Induktionsherde, Öl- oder Gas-Heizungen durch Wärmepumpen und Benzin- oder Diesel-Autos durch Elektroautos.
Doch das Festhalten an ineffizienten Technologien und überholten Regelwerken hindert uns daran, diese möglichen, längst überfälligen Modernisierungen unseres Energiesystems schnell umzusetzen.
Photovoltaik und Windkraft haben die größten Potenziale
Auch wenn Wind- und Solarstrom dominieren, sind Stabilität und Versorgungssicherheit weiterhin gesichert. Häufig vorgebrachte Bedenken zu „Dunkelflauten“ – also Zeiträumen, in denen nur wenig Wind die Windräder antreibt und nur wenig Sonne für Photovoltaikstrom sorgt – verfangen schon längst nicht mehr. Dieses Problem ist gelöst: Gaskraftwerke können in Zukunft zusammen mit heute schon verfügbaren Gasspeichern erwartbare Phasen von Dunkelflauten problemlos absichern.
Mit mehr Wind- und Solarstrom laufen diese Kraftwerke immer weniger Stunden im Jahr und werden in Zukunft zunehmend mit erneuerbar hergestellten Gasen befeuert. Eine kostenoptimierte Infrastruktur nutzt zusätzlich Batterien, flexible Verbraucher sowie weiter ausgebaute nationale und internationale Stromnetze.
Zusätzlich hilft es, Energie einzusparen und effizienter zu nutzen, weil der Ausbau dadurch schneller ans Ziel kommt und weniger Ressourcen erfordert. Im Wärmebereich ist es sinnvoll, zum Beispiel auf Gebäudesanierung, Wärmepumpen, Wärmenetze und Wärmespeicher zu setzen.
85 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen sind energiebedingt. Daher kann Deutschland durch den Aufbau einer klimaverträglichen Energieversorgung bis etwa 2035 einen wichtigen Beitrag zum Ziel des Pariser Klimaabkommens leisten, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.
Dafür wären in den nächsten zehn Jahren rund zehn Gigawatt Windkraft und bis zu 30 Gigawatt Photovoltaik pro Jahr neu aufzubauen. Wir können heute beginnen, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich möglichst viele Akteure beteiligen. Es geht zum Beispiel darum, Photovoltaik auf Dächern und an Fassaden attraktiv zu machen, mehr Freiflächen-Nutzung zuzulassen und Photovoltaik in Kombination mit landwirtschaftlicher Nutzung (Agri-Photovoltaik) sowie schwimmende Photovoltaik zu fördern.
Es geht auch darum, den Ausbau der Offshore-Windkraft weiter voranzutreiben und den Neubau und das Repowering von Windanlagen an Land zu erleichtern, also den Austausch von älteren Anlagen durch größere, leisere und weniger Windräder bei einer deutlichen Erhöhung des Energieertrags. Beides wird derzeit unter anderem durch Bürokratie und restriktive Vorgaben behindert, man denke etwa an die pauschalen Abstandsregeln bei der Windkraft, die Planungen selbst in Gegenden verhindern, wo es eine hohe Akzeptanz für Windkraftanlagen gibt.
Wer auf neue Technologien wartet, verzögert den Umstieg
Wer die Energiewende ernst nimmt, wartet nicht auf die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und daraus synthetisierten Kraftstoffen (erzeugt durch erneuerbare Energien). Diese – sekundären – Energieträger werden in naher Zukunft keine wesentliche Rolle spielen und sind für Pkw oder die Gebäudewärme-Versorgung zu wenig effizient. Ihre zukünftige Rolle liegt in Bereichen, in denen die direkte Nutzung elektrischer Energie nicht einfach möglich ist, etwa interkontinentale Flugreisen und die oben genannte Absicherung von Dunkelflauten.
Wir sollten auch nicht auf hohe Potenziale von Negativ-Emissionstechnologien hoffen, die CO2 aus der Luft oder aus CO2-intensiven Prozessen binden. Diese können keinen großen Beitrag leisten, Emissionen aus der Energieerzeugung zu neutralisieren. Sie können höchstens unvermeidbare Rest-Emissionen (zum Beispiel bei der Zementherstellung) kompensieren.
Wer auf solche Technologien wartet, verzögert den Umstieg auf erneuerbare Energien und verlängert den Ausstoß von Treibhausgasen ohne Not. Die Physik des Systems Erde und unsere Alltagserfahrungen in den letzten Sommern zeigen uns längst: Der Umbau ist nötig, ob wir wollen oder nicht.
Hindernisse aus dem Weg räumen, den Rahmen gestalten
Die Politik setzt Rahmenbedingungen: in der EU, im Bund, in den Ländern und Kommunen. Von ihnen hängt es ab, ob Deutschland den Umbau in der notwendigen Zeit schafft. Die Zukunftstauglichkeit der Parteien misst sich an ihren Konzepten für Wärme und Verkehr, für Energieerzeugung und Energieeinsparung. Eine Arbeitsgruppe der Scientists for Future in Deutschland hat hierzu „16 Orientierungspunkte für eine klimaverträgliche Energieversorgung Deutschlands“ formuliert und veröffentlicht sie heute, der Link wird im Laufe des Vormittags freigeschaltet.
Wie schnell der Ausbau gelingen kann, zeigen die Jahre 2010 bis 2012, in denen jeweils schon fast acht Gigawatt Photovoltaik zugebaut wurden. Nicht zuletzt Landwirte haben hier in großem Stil investiert und wurden so zu Energiewirten.
Und was ist dann zum Beispiel mit den Bienen, wenn wir im großen Stil Rapsfelder stilllegen, um Flächen für Photovoltaik zu ermöglichen? Studien belegen, dass eine naturverträgliche Gestaltung von Photovoltaikanlagen einfach möglich und auch wirtschaftlich ist, sie ist auch vielfach bereits Standard. Aufgrund der abwechslungsreichen Vegetation in solchen Anlagen siedeln sich dort vielfältige Wildbienen an, im Gegensatz zu eintönigen und mit Pestiziden belasteten Rapsfeldern. Die Energiewende – richtig angepackt – wirkt so auch dem rapiden Verlust an Wildbienen entgegen, die für intakte Ökosysteme unverzichtbar sind.
Es gibt keine Ausrede mehr: Wir können und müssen die Weichen endlich richtig stellen und Deutschland mit einem klimaverträglichen Energiesystem ausstatten.
Urban Weber ist Professor für Physik und angewandte
Materialwissenschaften an der Technischen Hochschule Bingen (TH Bingen) und hat
in der Glas- sowie der Solarindustrie gearbeitet. Er ist Gründungsmitglied der
Scientists for Future Bingen.