Energie-Klima icon Energie & Klima

Standpunkte Klimaneutraler Zement braucht ein europäisches CO2-Pipeline-Netz

Thorsten Hahn
Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland Foto: Holcim

Grüne Produkte und Prozesse müssen wettbewerbsfähig werden – so das Konzept von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für grüne Leitmärkte. Das gilt insbesondere für die Transformation extrem CO2-intensiver Branchen. Holcim-Deutschland-Chef Thorsten Hahn sieht die Politik bei der Infrastruktur für CO2 in der Pflicht.

von Thorsten Hahn

veröffentlicht am 04.07.2024

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Zementindustrie. Weil das kein kleines Stück vom Kuchen ist, ist eine schnelle und radikale Transformation der Branche, beispielsweise durch den Bau klimaneutraler Zementwerke, höchste Eisenbahn. Doch die Anstrengungen dürfen nicht am Werkstor enden, vielmehr braucht es ein gemeinsames europäisches Pipeline-Netz für CO2, um CO2-intensive Produzenten wie Stahl- und Zementwerke mit Nutzern – beispielsweise aus der chemischen Industrie – und Lagerstätten verbinden zu können.

Nur so kann das bei der Herstellung unvermeidlich entstehende Kohlenstoffdioxid – nachdem es mittels CCU (Carbon Capture and Utilization) abgeschieden und aufbereitet wurde – effektiv weitertransportiert werden und an anderer Stelle als wertvoller Rohstoff dienen. Ein Transport per Lkw oder Bahn ist dafür keine Option: Die schiere Menge an abgeschiedenem CO2 übersteigt die Kapazitäten dieser Verkehrsträger bei Weitem, eine Beförderung per Schiff ist erst ab Entfernungen über 1000 Kilometern eine ernsthafte Alternative. Pipelines sind deshalb mit Abstand die kostengünstigste und praktikabelste Lösung für einen Transport im großen Stil: Je nach Durchmesser der Pipeline könnten jährlich drei bis 35 Millionen Tonnen CO2 transportiert werden.

Koordinationsbedarf auf europäischer Ebene

Der Aufbau eines grenzüberschreitenden Pipeline-Netzes erfordert dabei eine enge Abstimmung und Kooperation zwischen den EU-Ländern. Einheitliche Regeln und Vereinbarungen auf EU-Ebene sind notwendig, zum Beispiel in Bezug auf:

  • Genehmigungsverfahren für den Bau der Pipelines
  • Haftungsfragen bei möglichen Zwischenfällen
  • Finanzierung und Kostenverteilung des Infrastrukturprojekts
  • Technische Standards und Sicherheitsanforderungen

Die Pipelines müssen reibungslos über Ländergrenzen hinweg verlaufen können, ohne an jedem Grenzübergang auf unterschiedliche Regularien zu stoßen.

Eine koordinierte europäische Herangehensweise ist daher der Schlüssel, um die Infrastruktur für den Transport des abgeschiedenen CO2 aus der Zementindustrie und anderen Sektoren aufzubauen. Nur so kann das CO2 effizient von den Emissionsquellen zu geeigneten Nutzungs- oder Speicherorten gebracht werden.

Klare Vorgaben wie bei Strom und Wasserstoff

Die Behörden müssen bei der Genehmigung der CO2-Infrastruktur klare und verbindliche Vorgaben anwenden, ähnlich wie bei Strom- und Wasserstoffnetzen. Nur so können Rechtsunsicherheiten und Klageverfahren minimiert werden. Denn eine zügige Umsetzung ist entscheidend, damit die deutschen und europäischen Klimaziele erreicht werden können.

Um die erforderliche Beschleunigung der Verfahren zu gewährleisten, schlage ich vor, bei potenziellen Klagen gegen Genehmigungsentscheidungen zügige und abschließende Urteile vorzusehen, beispielsweise durch abschließende Entscheidungen auf der Ebene der ersten Instanz.

Ein konkretes Beispiel: Das Zementwerk in Lägerdorf soll ab 2028 bis zu 1,2 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden. Das ist allerdings nur möglich, wenn die notwendige Infrastruktur für den CO2-Transport zur Verfügung steht. Jede weitere Verzögerung, zum Beispiel durch Klagen aus unteren Instanzen, würde bedeuten, dass jährlich 1,2 Millionen Tonnen CO2 unwiderruflich ausgestoßen werden – mit erheblich höheren Kosten, wenn diese später aus der Atmosphäre entfernt werden müssten.

Staatliche Unterstützung für CO2-Netzwerke

Daher ist es wichtig, jetzt zu handeln. Wir müssen die Dekarbonisierung CO2-intensiver Branchen als wirtschaftliche Notwendigkeit und moralische Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen begreifen. Um den Wohlstand nachhaltig zu sichern und gleichzeitig die Klimaziele zu erreichen, ist es unerlässlich, dass die Bundesregierung und die Europäische Union umfangreiche Garantien für die Finanzierung von CO2-Netzwerken bereitstellen.

Ja, der Aufbau dieser Infrastruktur ist eine gewaltige Aufgabe. Aber es ist eine unverzichtbare Investition in die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Nur mit einem leistungsfähigen CO2-Transportsystem können energieintensive Schlüsselindustrien wie die Zementbranche ihre Emissionen drastisch senken und wettbewerbsfähig bleiben.

Am Ende hängt die erfolgreiche Dekarbonisierung also maßgeblich davon ab, dass die politischen Entscheidungsträger jetzt die richtigen Weichen für den Aufbau eines europaweiten CO2-Pipelinenetzes stellen. Es ist eine unverzichtbare Investition in eine zukunftsfähige, europäische Wirtschaft.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen