Wissenschaft und Politik sind sich endlich einig. Klimaneutralität ist ohne negative Emissionen, auch bekannt als Carbon Dioxide Removal (CDR), zur Kompensation unvermeidbarer Restemissionen nicht erreichbar. Neben der prioritären Vermeidung von Emissionen stehen mittlerweile auch Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU) oben auf der Agenda. Dies zeigt vor allem auch die kürzlich veröffentliche Carbon Management Strategie. Dass parallel nun auch die Anstrengungen rund um das Thema Negativemissionen auf die Tagesordnung rücken, ist überfällig und muss im Diskurs eine deutlich größere Rolle spielen. Denn hier geht es um Klimaschutz, um Innovationen und um eine fortschrittliche Industriepolitik.
Lange wurden CDR-Methoden politisch vernachlässigt, oft mit dem Argument, dass sie als Feigenblatt für große Emittenten dienen würden und Anstrengungen zur Emissions-Vermeidung untergraben. Doch eine Regulierungslogik ohne CDR geht nicht auf, denn auch wenn es in den absoluten Zahlen noch Abweichungen gibt, so sind sich Wissenschaft, Ministerien und auch das IPCC einig: Bis 2030 und darüber hinaus muss CO2 in der Größenordnung von bis zu zehn Gigatonnen pro Jahr aus der Atmosphäre entnommen werden.
Die Integration von negativen Emissionen in die nationale Klimastrategie ist somit von entscheidender Bedeutung, um die Klimaziele zu erreichen. Durch den verengten politischen Diskurs der letzten Jahre auf die Vermeidung und Abscheidung von CO2 stehen negative Emissionen und die CDR-Industrie in Deutschland jedoch erst am Anfang. Gleichzeitig haben sie beachtliches Potenzial und bieten Wachstumsmärkte und -chancen, die Deutschland mit technologieoffenen Ansätzen zum Vorreiter in der globalen CDR-Industrie machen könnten. Wie vielfältig die hierfür infrage kommenden Technologien und Ansätze sind, zeigt ein Blick auf die Mitgliedsliste des neu gegründeten Deutschen Verband für negative Emissionen (DVNE). Höchste Zeit, denn auch andere Staaten haben längst das Wachstumspotenzial der Branche entdeckt und investieren in großem Maßstab in die Förderung der Technologien. Ein Beispiel sind die USA. Neben klaren regulatorischen Rahmenbedingungen für CDR, haben einige Bundesstaaten dort bereits konkrete Entnahme-Ziele verabschiedet. Kalifornien zum Beispiel definiert mit einem 15-Prozent-Ziel, das 75 Megatonnen pro Jahr ab 2045 entspricht, einen klaren Ausbaukorridor.
Technologieoffenheit als Wachstumschance
Längst ist eine Diskussion entbrannt, welche Methoden relevante Beiträge leisten können und welche Rolle technische Senken, wie Direct Air Capture (DAC) in Zukunft einnehmen werden.
Zur Erreichung der genannten Zielmarke können wir uns aktuell jedoch keine Festlegung auf einzelne Methoden zur Kohlenstoffentfernung leisten. Vielmehr ist es wichtig, ein vielfältiges Lösungsportfolio zu verfolgen, in dem jede Methode das unter Einbeziehung strenger Qualitätskriterien sowie ressourcen-, umwelt- und wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen mögliche Potenzial beisteuern kann. Zum Beispiel ist Pflanzenkohle heute verfügbar und geht mit großen Co-Benefits einher, während Direct Air Capture aufgrund des geringen Flächenbedarfs sehr großes Skalierungspotenzial hat. Nur mit der Nutzung der ganzen Spannbreite können die Unternehmen in Deutschland und der EU in die Lage versetzt werden, auf Grundlage spezifischer Merkmale wie Geologie, Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, Landnutzung und Küstenlinie den jeweils besten Beitrag für negative Emissionen zu leisten.
Eine gute Auswahl an Beispielen gibt es schon. Was es jetzt braucht, ist eine massive Skalierung der größtenteils bereits verfügbaren Technologien für negative Emissionen, darunter Pflanzenkohle, Aufforstung, Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung, sowie direkte Luftabscheidung. Unnötige technologische Einschränkungen können Deutschlands wirtschafts- und klimapolitische Erfolge massiv gefährden.
Laut einer IPCC-Studie von 2022 sind selbst bei einer schnellen Skalierung aller heute bekannten CDR-Ansätze, die Entnahme-Ziele bis 2030 kaum erreichbar.
Um die Entwicklung und Implementierung von CDR-Methoden zu unterstützen, braucht es gezielte staatliche Fördermaßnahmen. Diese Maßnahmen sollten sich auf praxisorientierte Innovationen konzentrieren, um Kosten zu senken und eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen. Welche Technik eingesetzt wird, sollte anhand der Bedingungen vor Ort entschieden werden, nicht durch eine einseitige Förderpolitik.
Klare Ziele für die CO2-Entnahme
Um gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen und einen gemeinsamen Ausbaukorridor zu definieren, sind ambitionierte Entnahme-Ziele erforderlich. Hierzu sollten rasch konkrete und zukunftsorientierte Zielvorgaben für die Jahre 2030, 2035, 2040 und 2045 geschaffen werden, die im Einklang mit dem Koalitionsvertrag stehen. Ein eigenständiges Netto-Negativziel sollte ebenfalls etabliert werden, um sicherzustellen, dass die CDR-Ziele separat zu den Emissionsminderungszielen stehen und die Anreize zur Emissionsvermeidung nicht abschwächen.
Transparenz und Qualitätsstandards sind entscheidend, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von CDR-Methoden sicherzustellen. In der Langfriststrategie Negativemissionen bedarf es der Entwicklung von transparenten Qualitätsstandards und der Implementierung eines Zertifizierungsrahmens, der die verschiedenen Methoden basierend auf diesen Standards unterscheidet.
Langfristige CO2-Speicherung braucht langfristige Geschäftsmodelle
Die Entwicklung von technologiebasierten Geschäftsmodellen benötigt einen planbaren und langfristigen Handlungsrahmen und einen stabilen Markt für Entnahme-Zertifikate. Im heutigen europäischen Emissionshandel (EU-ETS) sind Zertifikate für die Kohlenstoff-Entnahme jedoch nicht enthalten, wohl auch, um eine direkte Verrechenbarkeit zwischen Entnahme und Vermeidung zu verhindern. Ein möglicher Ansatz wäre hier ein zentral geführtes Register als Intermediär, ähnlich wie es beispielsweise im dena-geführten Biogasregister praktiziert wird. Dieses fungiert als zentrale Plattform, um im standardisierten Verfahren Nachweise für Biogasmengen im Erdgasnetz zu dokumentieren und ließe sich im Ansatz auf die CO2-Entnahme übertragen.
Die Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern aus Politik, Industrie, Zivilgesellschaft, Finanzindustrie und Wissenschaft ist unerlässlich, um eine effektive Implementierung von CDR-Methoden zu gewährleisten. Durch die Schaffung von Rahmenbedingungen, Innovationen, Investitionen und breiter gesellschaftlicher Akzeptanz, können wir den Weg für eine nachhaltige Zukunft ebnen. Hier spielen auch Öffentlichkeitsarbeit und Information eine wichtige Rolle, um das Bewusstsein für die Bedeutung und das Potenzial von CDR-Methoden zu stärken. Wissenschaftliche Forschung und Kommunikation, wie durch die vom BMBF geförderten Projekte CDRterra und CDRmare helfen, eine einheitliche und klare Terminologie zu schaffen und eine breite gesellschaftliche Unterstützung aufzubauen. Die nun vorgelegten Eckpunkte für die Langfriststrategie sollten für einen weiteren starken Impuls sorgen.
Die Europäische Union spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung von CDR-Methoden. Deutschland sollte seine Position als führende Wirtschaftsnation und Innovationsmotor nutzen, um den Diskurs und die Gesetzgebung im Bereich der CDR auf EU-Ebene voranzutreiben. Ohne gezielte Förderprogramme, politisches Engagement und den Aufbau von Partnerschaften für negative Emissionen, wird das Erreichen der Klimaziele in Deutschland und der EU nicht möglich sein. Deutschland hat das Potenzial und die Technologien. Vieles davon kann man sich heute schon konkret anschauen. Es lohnt sich, das Thema mit Schwung anzugehen. Für den Klimaschutz und auch den Industriestandort Deutschland.
Stefan Schlosser ist seit März 2024 Geschäftsführer des Deutschen Verbands für negative Emissionen (DVNE). Der studierte Maschinenbauer war zuvor im Bundeskanzleramt tätig, wo er Angela Merkel, Olaf Scholz und andere zu Digitalthemen sowie in Fragen des Staatsaufbaus beraten hat.
Ziel des 2023 gegründeten DVNE ist es, die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre sowie die dauerhafte Speicherung voranzubringen. Die Interessenvereinigung wird von rund 40 Unternehmen, darunter Großkonzerne wie Siemens und Eon sowie zahlreichen Start-ups getragen.