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Energie & Klima

Standpunkte Klimaschutz im Gebäudesektor ist unverhandelbar

Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin Deutsche Umwelthilfe
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin Deutsche Umwelthilfe Foto: Stefan Wieland / DUH

Die Deutsche Umwelthilfe erwartet heute ein wegweisendes Urteil zu den Sektorverpflichtungen durch das Klimaschutzgesetz. Statt ihren Verpflichtungen nachzukommen, bewege sich die Bundesregierung genau in die falsche Richtung, meint Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz in ihrem Standpunkt. Sie fordert unter anderem die Unterstützung der Bestandssanierung, statt die europäischen Vorgaben zu schleifen.

von Barbara Metz

veröffentlicht am 30.11.2023

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Am heutigen Vormittag wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein richtungsweisendes Urteil für die politische Auslegung des Klimaschutzgesetzes (KSG) der Bundesregierung sprechen. Entscheidend ist es vor allem für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Konkret geht es in den Klagen der Deutschen Umwelthilfe und des BUND Deutschland um die Klärung der Frage, ob die bisher vorgelegten Sektorprogramme den gesetzlichen Vorgaben des KSG gerecht werden.

Beobachter des Prozesses rechnen fest mit einem Erfolg der Umweltverbände. Das wäre eine erneute Klatsche für die wankelmütige Klimapolitik der Ampel-Regierung. Es ist Zufall, dass das Urteil am ersten Tag der Weltklimakonferenz COP28 verkündet wird. Aber ein Urteil im Sinne der Umweltverbände wäre ein starkes Zeichen für den Klimaschutz und zwänge die Ampelregierung die politischen Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Konkret könnte die heutige Entscheidung der Richterinnen und Richter des Oberverwaltungsgerichts eine Neuvorlage der Klimaschutz-Sofortprogramme für die Sektoren Verkehr und Gebäude einfordern und damit ein Ehrlichmachen zu den enormen Defiziten und Rückschlägen in der Verkehrs- und Wärmewende in Deutschland.

Sofortprogramm laut KSG – alles eine Frage der Interpretation?

Da der Begriff Sofortprogramm dieser Tage sehr häufig durch die Öffentlichkeit geistert, ist eine kurze Einordnung der Begrifflichkeit im Sinne des Klimaschutzgesetzes notwendig. Bekannterweise legt das Gesetz jahresscharfe Grenzwerte für klimaschädliche Emissionen für jeden einzelnen Wirtschaftssektor fest. Werden diese Ziele gerissen, muss das verantwortliche Ressort innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, das die Schließung der darauf entstandenen Ziellücke innerhalb der nächsten Jahre erreicht und eine Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zukünftig sicherstellt.

Für den Sektor Gebäude ist dieser Sicherheitsmechanismus jedes Jahr seit Inkrafttreten des KSG wirksam geworden, auch die Emissionen im Verkehrssektor liefen in den letzten beiden Jahren komplett am Ziel vorbei. Die vorgelegten Programme zeichneten sich durch sehr unterschiedliche Qualität aus: Während das Verkehrsministerium unter Leitung von Volker Wissing die gesetzlich verbindliche Pflicht komplett ignorierte, versuchte es das gemeinsame Programm von Wirtschafts- und Bauministerium im letzten Jahr zumindest mit optimistischen Zahlenspielereien das Problem im Gebäudesektor kleinzurechnen.

Unterm Strich war jedoch klar: Keines der vorgelegten Programme wurde auch nur im Ansatz den gesetzlich festgelegten Anforderungen gerecht. Sie sind dementsprechend nicht dazu geeignet, einen klimazielkompatiblen Kurs in den Sektoren Verkehr und Gebäude zu erreichen. In beiden Sektoren verweist der Projektionsbericht der Bundesregierung auf eine erhebliche Ziellücke bis zum Jahr 2030, die Bundesregierung bricht ihre eigenen Gesetzesvorgaben. Genau dieser Erkenntnis wird der heutige Richterspruch Nachdruck verleihen und einfordern, wozu die Bundesregierung in den letzten Jahren nicht bereit war: ins Handeln kommen!

Klimapolitische Ambition im Gebäudesektor aufgegeben

Oft wird angenommen, dass die schnell wirksamen Maßnahmen nicht im Gebäudesektor, sondern im Verkehrssektor lägen. Dieser könnte beispielsweise mit der Einführung eines Tempolimits von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und Tempo 30 für die Stadt jährlich über elf Millionen Tonnen CO2 und damit ein Drittel des Fehlbetrages im Verkehrssektor einsparen.

Schnell wirksame Maßnahmen gibt es aber genauso im Gebäudesektor. Die Bundesregierung hat jedoch in den letzten Monaten mit bewussten politischen Entscheidungen deutlich gemacht, den Klimaschutz im Gebäudesektor in den kommenden Jahren erstmal schleifen lassen zu können. Prominentestes Beispiel dafür etwa die Kehrtwende, die Deutschland im Rahmen der Verhandlungen zur europäischen Gebäude-Richtlinie (EPBD) vollzogen hat.

Während sich die Bundesregierung im letzten Jahr noch öffentlich für verbindliche energetische Mindeststandards (die sogenannten minimum energy performance standards – MEPS) stark gemacht hat, will sie dieser Tage in der entscheidenden Verhandlungsphase für die EU-Richtlinie von ihren alten Aussagen nichts mehr wissen. Einen „gebäudescharfenMindeststandard wird es sicherlich nicht geben, versprechen parteiübergreifend Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung.

Im Klartext bedeutet dies, dass viele Menschen einen Anspruch auf ein Mindestmaß an Wohnkomfort verlieren, während gleichzeitig eine gewaltige Chance verspielt wird, zielgenau die Gebäude mit den höchsten CO2-Emissionen zu adressieren. Die Bundesregierung macht sich inzwischen in den Verhandlungen stark für unverbindliche Durchschnittswerte und maximale Verantwortungsdiffusion in den Gebäudevorgaben.

Das wird am Ende bedeuten, dass Sanierungen da passieren, wo es sich am meisten lohnt. In angespannten Wohnungsmärkten etwa, um Mieten weiter nach oben zu treiben, und natürlich im einkommensstarken Wohnsegment. Ohne eine gebäudegenaue Betrachtung geht der Bundesregierung ein zentraler Hebel verloren, um dieser potenziellen Verschärfung von sozialen Ungerechtigkeiten und Energiearmut entgegenzusteuern. Bemerkenswert, dass sich gerade ein SPD-geführtes Bauministerium Hand in Hand mit dem Kanzleramt für eine Aufweichung der geplanten Mindestenergiestandards starkgemacht hat.

Bauen, Bauen, Bauen als Kampfansage an den Klimaschutz

Doch die europäischen Gebäudevorgaben sind bei weitem nicht der einzige Punkt, in dem die Bundesregierung eine schützende Hand über den Profitansprüchen der Wohnungswirtschaft hält. Im September wurde mit den Beschlüssen aus dem sogenannten Baugipfel wie mit der Abrissbirne durch die klima- und umweltpolitischen Ziele im Gebäudesektor gefegt. Unter dem Deckmantel der Planungsbeschleunigung und Bezahlbarkeit wurden zentrale Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag einkassiert und mit den nachfolgenden Beschlüssen zur Baubeschleunigung eine neue Ära des bedingungslosen Bauens auf der grünen Wiese ausgerufen. Wie weit wäre das Thema Klimaschutz und sozialverträgliches Wohnen in den letzten Jahren vorangekommen, wenn der gleiche Durchsetzungswille Gebäudesanierung, Nachverdichtung und Reaktivierung von öffentlichen Wohnungsbeständen vorangetrieben hätte! Stattdessen werden knappe öffentliche Gelder lieber in (umweltschädliche) Subventionen für die Bau- und Immobilienbranche gesteckt, deren absurde Profitmargen der letzten Jahre sogar als einer der Hauptinflationstreiber genannt werden.

Und das führt zur berechtigten Frage, woher die finanziellen Mittel kommen sollen angesichts der aktuellen Haushaltssituation in Deutschland. Aber auch darauf gibt es eine Antwort. Durch den Abbau von zahlreichen klimaschädlichen Subventionen insbesondere im Verkehr. Diese Subventionen kosten die Gesellschaft jedes Jahr über 30 Milliarden Euro. Allein mit der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs spart die Ampel-Koalition auf einen Schlag bis zu sechs Millionen Tonnen CO2 und viele Milliarden Euro. Die Maßnahmen liegen seit Jahren auf dem Tisch. Die Regierung wollte bisher einfach nicht.

Im Fazit liegt die Verantwortung wieder einmal bei den Gerichten, sich für den Schutz der Rechte von Menschen einzusetzen, die in der klimapolitischen „Verschnaufpause“ der Bundesregierung nur den Kürzeren ziehen können. Diese Gerichte wiederum basieren ihre Urteile auf Gesetzen, die die Parlamente zur politischen Selbstbindung vor langer Zeit verabschiedet haben, auch auf Basis internationaler Abkommen und des europäischen Rahmens. Sie sind selbstverständlich voll legitimiert.

Für jüngere Generationen, die zusammen mit den 20 neuen Stadtteilen auf der grünen Wiese vor allem die Sanierungsfälle im Bestand von morgen erben werden, ist das Aufschieben durch die Politik ein Debakel. Es geht um Menschen, die mit einer staatlich finanzierten Sanierungsoffensive nicht mehr um die Verlängerung von Energiepreisbremsen bangen müssten.

Das heutige Urteil des Gerichts könnte eine echte Aufbruchswirkung in der Gebäudepolitik dieses Landes erzeugen. Ein Weiter So mit etwas grün angestrichener Wärmeversorgung macht die notwendige Transformation unseres Gebäudebestandes nur jeden Tag kostspieliger, aufwendiger und risikoreicher. Klimaschutz im Gebäudesektor darf nicht länger der tagespolitischen Konjunktur zum Opfer fallen, sondern muss endlich als integraler Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge verstanden und umgesetzt werden.

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