Das Strommarktdesign als „Betriebssystem“ der Energiewende benötigt dringend ein Update. Im aktuellen Rahmen ist kaum Investitionsbereitschaft bei steuerbaren Kraftwerken zu erwarten: Zu groß sind die Unsicherheiten für Investoren, beispielsweise beim geplanten Übergang zu Wasserstoff. Auch die schon lange im Raum stehende Ankündigung einer Reform des deutschen Marktdesigns lässt Investoren abwarten.
Die Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums, neue Investitionssignale und Refinanzierungsoptionen im Strommarkt zu schaffen, ist insofern wichtig und notwendig. Das BMWK hat dabei die geeigneten Handlungsfelder identifiziert und mit dem Bekenntnis zur einheitlichen Strompreiszone eine wichtige Bedingung gesetzt. In meiner Betrachtung konzentriere ich mich auf die Diskussion über den für steuerbare Kraftwerksleistung avisierten Kapazitätsmarkt.
BMWK präferiert mit Kombi-Kapazitätsmarkt die komplexeste Option
Erfahrungen in anderen Ländern (UK, Frankreich, Belgien) belegen die Komplexität des Designs und der Kalibrierung eines Kapazitätsmarktes. Für Deutschland sollte es darauf ankommen, an Erfahrungen anderer Staaten bei der EU-Notifizierung anzuknüpfen, um so bei den beihilferechtlichen Genehmigungen Zeit zu sparen. Zudem sollte eine möglichst transparente, wettbewerbsorientierte und vor allem machbare Implementierung angestrebt werden. Das zentrale Modell, das auch die EnBW bevorzugt, entspricht diesen Anforderungen.
Das BMWK lässt in seinem Optionenpapier jedoch erkennen, dass es einen „kombinierten Kapazitätsmarkt“ (KKM), einen Hybrid aus zentralem und dezentralem Kapazitätsmarkt, als bevorzugte Option ansieht. Aus unserer Sicht ist dieses das komplexeste der diskutierten Modelle, da es mit dem zentralen und dezentralen Kapazitätsmarkt bereits auf zwei umfangreichen Ansätzen basiert und die entsprechende Interaktion noch zusätzlich geregelt werden müsste.
Die Präferenz für den kombinierten Ansatz wird mit Argumenten wie geringeren Kosten im Vergleich zu einem zentralen Modell mit Einheitspreis begründet. Ebenso mit der Kombinierbarkeit von Vorteilen von zentralem und dezentralem Modell (zentral ausgeschriebene Verträge für längerfristige, planbare Erlösströme bei gleichzeitiger Technologieoffenheit des dezentralen Ansatzes und starke Anreize zur Lastflexibilität, Einbindung von Speichern et cetera). Außerdem mit einem geringeren Risiko einer Überdimensionierung des KKM im Vergleich mit einem zentralen Kapazitätsmarkt.
Die Kosten für die Kunden verschwinden nicht
Wie sind diese Argumente zu bewerten? In Bezug auf die Kosten wäre die Umlage im zentralen Element des KKM für die Stromkunden tatsächlich niedriger, da nur die Kapazitätsvergütung für Neuanlagen, nicht die Kosten für den Bestand enthalten sind. Allerdings sind die anderen Kosten ja nicht verschwunden. So würden die Kosten für die Kapazitätszertifikate für den Bestand im dezentralen Teil von den Vertrieben/Bilanzkreisverantwortlichen an die Verbraucher über ihre Stromrechnung weitergereicht. Die EnBW hält es für wahrscheinlich, dass sich die Kosten auf Kundenseite im Endeffekt auf sehr ähnlichem Niveau bewegen werden, sofern im zentralen Modell eine realistische Preisobergrenze für den Bestand eingeführt wird, wie dies zum Beispiel in Belgien der Fall ist.
Die Stärke des dezentralen Ansatzes hinsichtlich des Einbezugs von kreativen Lösungen wie Lastflexibilitäten und Innovationen ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings müssten diese in der Realität auch im dezentralen System in gewissem Umfang reguliert werden, damit sich im Markt nicht eine Fülle von Scheinlösungen etabliert, die im „Fall der Fälle“ die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten können. Dazu zählen unter anderem Kraftwerke, die in Wirklichkeit nicht einsatzbereit sind oder Lastflexibilitäten, die in der Realität gar nicht zur Verfügung stehen. Das (zentrale) System in Großbritannien belegt zudem, dass innovative Lösungen und Lastflexibilitäten sehr wohl auch in ein zentrales System integriert werden können und dort sehr wettbewerbsfähig sind.
Die mögliche Ausschreibung von Überkapazitäten in einem zentralen Modell ist eine klassische Schwäche dieses Systems. Zahlreiche EU-Regularien belegen allerdings, dass und wie dies zu vermeiden ist. Zudem sendet der weiterhin existierende Energy-Only-Markt weiterhin Marktsignale, die bei der Aussteuerung der zentral ausgeschriebenen Kapazitätsmengen berücksichtigt werden können. Dadurch wird das Risiko von Überkapazitäten im zentralen Kapazitätsmarkt deutlich reduziert. Im kombinierten Kapazitätsmarkt existiert außerdem ebenfalls eine zentrale Komponente.
Der Zeitplan für den Kapazitätsmarkt wäre nicht zu halten
In der Realität dürften – bei geeigneter Ausgestaltung – der zentrale und der kombinierte Kapazitätsmarkt performance- und kostenseitig nicht allzu weit auseinanderliegen – mit dem wesentlichen Unterschied, dass der KKM ungleich komplexer ist. Damit erfordert das Modell permanente Nachjustierungen, was die regulatorische Unsicherheit aus Investorensicht erhöht.
Es besteht zudem ein hohes Risiko, dass mit dem kombinierten Modell der Zielkorridor 2028 für den Kapazitätsmarkt deutlich verfehlt wird und sich erneut jahrelange Abstimmungs-Warteschleifen mit der EU-Kommission und innerhalb der nationalen Gesetzgebung anschließen.
Ein nicht nachahmenswertes Beispiel ist die immer weiter verzögerte Umsetzung der Kraftwerksstrategie und des inzwischen angekündigten Kraftwerkssicherheitsgesetzes. Eine Konkretisierung der Pläne hat das Optionenpapier zur Zukunft des Strommarktes leider erneut nicht geliefert. Die geplanten Ausschreibungen benötigen auf Investorenseite genügend Vorbereitungszeit. Ohne Kenntnis etwa der Präqualifikationsbedingungen und der Anreizsystematik ist eine spätere Wirtschaftlichkeit der Anlagen derzeit noch nicht seriös zu prognostizieren. Zur Erinnerung: Wir sprechen hier von einem System, das im Vergleich zum Design und zur Kalibrierung eines Kapazitätsmarktes deutlich weniger anspruchsvoll ist. Bereits hier ist aber der Zeitverzug immens.
Rechtsunsicherheit untergräbt Investitionsbereitschaft
Für die Marktteilnehmer bedeutet die Situation eine weitere dauerhafte Rechtsunsicherheit, die sich äußerst negativ auf die gewünschte Investitionsbereitschaft im Markt auswirkt. In der Folge droht eine unnötige Verschleppung der klimafreundlichen Transformation des Energiesektors und eine Gefährdung des Kohleausstiegs.
Statt einen komplexen KKM auszubauen (der auch genehmigungsrechtlich ohne Vorbild ist), sollte im Rahmen eines zentralen Kapazitätsmarktes eine Ausgestaltung entwickelt werden, die – natürlich bei Einhaltung des Versorgungssicherheitsziels – Innovationen und Flexibilitäten so wenig wie möglich behindert. Sie sollte Kosten minimieren und relativ zeitnah umzusetzen sein. Stichwort „Minimierung der Kosten“: Eine angemessene systemdienliche regionale Steuerung des Ausbaus regelbarer Kraftwerkskapazitäten sollte in jedem Fall Bestandteil eines Kapazitätsmarktes sein. Eine solche Steuerung wäre im Rahmen eines zentrales Kapazitätsmarktes ohne weiteres möglich.