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Standpunkte Kostenwahrheit im Netz – hin zu dynamischen Netzentgelten

Anke Weidlich, Andreas Jahn
Andreas Jahn (Regulatory Assistance Project), Anke Weidlich (Universität Freiburg) Foto: Uni Freiburg, RAP

Für ein effizientes Stromsystem sind Änderungen an der undifferenzierten Entgelt-Logik unumgänglich, schreiben Anke Weidlich von der Uni Freiburg und Andreas Jahn vom RAP. Die logische Weiterentwicklung sind aus ihrer Sicht Netzentgelte, die die tatsächlichen Grenzkosten der Netznutzung widerspiegeln und damit effiziente Preissignale senden.

von Anke Weidlich, Andreas Jahn

veröffentlicht am 05.05.2025

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Die allgemeine Netzentgeltsystematik ist in etwa so alt wie das EEG oder die Leipziger Strombörse. Während das EEG sich in einer Vielzahl von Novellen ständig weiterentwickelt hat und die Welt der europäischen Strombörsen von heute nur entfernt an ihre Anfangsjahre erinnert, verharrt die Art und Weise, wie die Netzkosten auf Verbraucher umgelegt werden, im Gestern. Kein Wunder also, dass diese Systematik kaum noch zur heutigen Stromwelt passt, geschweige denn zu einer Welt, in der das Stromsystem weitestgehend CO2-frei sein soll.

Ein Schlüsselelement des Stromsystems von morgen (und auch schon heute) ist Flexibilität. Die zentrale Herausforderung eines Marktdesigns für dieses Stromsystem ist es somit, die richtigen Anreize für die Nutzung dieser Flexibilität zu setzen – und gleichzeitig die Systemkosten verursachungsgerecht auf die Stromverbraucher aufzuteilen. Effiziente Netzentgelte, die die tatsächliche Kostenstruktur der Netze gut reflektieren, sind hierfür zentral. Heute leisten Netzentgelte jedoch eher das Gegenteil: sie belohnen den gleichmäßigen Verbrauch, setzen keine Anreize, auf die räumlich und zeitlich variierende Einspeisung zu reagieren, und schaffen Möglichkeiten, sich durch Eigenstromversorgung der Netzfinanzierung zu entziehen.

Orientierung an Grenzkosten der Netznutzung und Knappheiten

Für ein effizientes Stromsystem sind Änderungen an dieser undifferenzierten Entgelt-Logik unumgänglich. Die logische Weiterentwicklung sind Netzentgelte, die die tatsächlichen Grenzkosten der Netznutzung – abhängig von Ort und Zeit – widerspiegeln und dadurch effiziente Preissignale an Verbraucher senden, die Netzbewirtschaftung und Ausbaukosten einbeziehen.

Wenn Engpässe auftreten, sollten Knappheitspreise gelten, die sich an Zahlungsbereitschaften oder den Kosten des Engpassmanagements beziehungsweise Netzausbaus orientieren. Bei normaler oder geringer Last hingegen entsprechen die Grenzkosten der Netznutzung im Wesentlichen den Kosten der Netzverluste, welche unter anderem von den jeweiligen Marktpreisen abhängen. In diesen Zeiten unterstützen dynamische Netzentgelte das Marktsignal und schränken den Verbrauch nicht durch unnötig hohe Arbeitspreise ein.

Dies ist insbesondere für neue elektrische Verbraucher attraktiv. Bei lokalen Einspeiseüberschüssen könnten sogar negative Entgelte eingesetzt werden, da zusätzlicher Verbrauch in diesen Zeitpunkten den Netzausbau oder die Abregelung reduziert. All dies reduziert die Kosten des Netzbetriebs und ermöglicht eine bessere Auslastung der Netze, was die Ausbaukosten im Zaum hält.

Kostenreflexive dynamische Komponente und Kapazitäts- und Grundentgelte

Dynamische Netzentgelte als Abbild der Grenzkosten des Netzes können nicht die gesamten Erlösobergrenzen der Netze decken. Hierfür braucht es weitere, möglichst nicht-verzerrende Komponenten wie Grund- oder Kapazitätsentgelte deren Größenordnung entsprechend der gewählten Methode der Grenzkostenbepreisung variiert. Soziale Abfederung, regionale Anpassungen, Industrieförderung oder gezielte Zuschüsse sollte über diese verbrauchsunabhängigen Komponenten erfolgen, damit die wichtigen Effizienzanreize der dynamischen Netzentgelte nicht verwässert werden. Dieses Gesamtsystem ist deutlich verursachungsgerechter: Es verbessert die Kostenreflexivität und beteiligt auch Eigenverbraucher stärker an den Kosten der Infrastruktur, die sie in relevanten Spitzenlastzeiten ebenso nutzen wie andere Netznutzer.

Die erfolgreiche Einführung von dynamischen Netzentgelten erfordert allerdings wichtige Begleitmaßnahmen: Eine grundlegende Reform der vertikalen Kostenwälzung ist unabdingbar, damit die Preissignale der Übertragungs- und vorgelagerten Verteilnetze auch tatsächlich bei den Endverbrauchern in allen Spannungsebenen ankommen. Nur so kann das Flexibilitätspotenzial auf allen Ebenen gehoben werden. Ebenso braucht es den zügigen Smart Meter-Rollout als technische Basis, die flächendeckende Datenerfassung und Transparenz zur Auslastung der Netze und eine Reform der §19-StromNEV-Regelungen, die heute Flexibilität massiv behindern. Diese Schritte sind jedoch ohnehin überfällig und derzeit in intensiver Diskussion.

Intelligentes, flexibles Energiesystem

Dynamische Netzentgelte sind ein wichtiger Schritt hin zu einer effizienten und bezahlbaren Energiewende. Die grundlegend neue Gewichtung der Entgeltkomponenten sowie die Reform der vertikalen Kostenwälzung sind „no regret“-Maßnahmen, die auch im Einklang mit europäischen Empfehlungen stehen. Die dann mögliche Einführung dynamischer, kostenreflexiver Signale ebnet den Weg für ein intelligentes, flexibles Energiesystem.

Die Einführung dynamischer Netzentgelte sollte der Startpunkt für ein lernendes System sein. Die kontinuierliche Analyse der Marktreaktionen und die Anpassung der Methodik werden entscheidend sein, um die Effizienzpotenziale voll auszuschöpfen. In dieser Form kann die Netzentgeltsystematik dann auch die nächsten 20 Jahre der Transformation unterstützen – mindestens.

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