Erweiterte Suche

Energie & Klima

Standpunkte Mit Off-Grid-Strom gegen Corona

Catherina Cader, Reiner Lemoine Institut
Catherina Cader, Reiner Lemoine Institut

Während der Coronapandemie sind Menschen auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen, das gilt für Deutschland genauso wie für Nigeria und die Philippinen. Doch selbst wenn Gesundheitseinrichtungen da sind, fehlt in diesen Ländern oft eine zuverlässige Energieversorgung. Solarbasierte Off-Grid-Systeme könnten dies sofort ändern, argumentiert Catherina Cader vom Reiner Lemoine Institut in ihrem Standpunkt.

von Catherina Cader

veröffentlicht am 21.10.2020

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Knapp 800 Millionen Menschen auf der Welt haben im Jahr 2020 keinen oder nicht ausreichenden Zugang zu Elektrizität – das sind zehnmal mehr Menschen, als in ganz Deutschland leben. Diese Zahl nennen meine Kolleginnen und ich oft als Einstieg bei Vorträgen und Workshops, um zu verdeutlichen warum wir am Thema „ländliche Elektrifizierung“ forschen und unser Forschungsfeld so relevant ist. Die Menschen, die ohne Zugang zu Strom sind, leben meist in abgelegenen Orten in Ländern des afrikanischen Kontinents oder in Südostasien. Der Strom fehlt dort, um zuhause Licht zu haben und das Handy zu laden – besonders fatal wirkt sich eine mangelhafte Stromversorgung allerdings auf Gesundheitseinrichtungen aus.

In diesem Jahr wurde im Zuge der Coronapandemie überdeutlich, welchen Stellenwert der Energiezugang für Gesundheitseinrichtungen im ländlichen Raum hat. Krankenhäuser benötigen Energie – also Strom und Wärme – um Behandlungsräume und Operationssäle angemessen zu beleuchten und zu temperieren. Beatmungsgeräte, EKG, Röntgen und Ultraschall benötigen Strom. Kühlketten für Impfstoffe und Proben müssen eingehalten, medizinische Geräte desinfiziert werden. Nicht zuletzt ist die digitale Kommunikation essenziell, um Infektionskrankheiten zu melden und Ansteckungsketten nachvollziehen zu können. Doch schätzungsweise jede vierte Gesundheitseinrichtung in Subsahara-Afrika hat gar keinen Zugang zu Elektrizität und drei von vier Einrichtungen verfügen über keine zuverlässige Stromversorgung.

Mangelnder Energiezugang hat Folgekosten

Das Problem der unterfinanzierten und unterversorgten Gesundheitseinrichtungen bestand bereits lange vor Corona. Dass Millionen von Menschen gesundheitlich nur mangelhaft versorgt werden, ist dabei nicht nur menschlich inakzeptabel, es verursacht auch immer wieder ganz reale Kosten. Hohe Krankheitsraten und ein schlechter Allgemeinzustand der der Bevölkerung reduzieren die Lebenserwartung und schwächen die volkswirtschaftliche Leistung eines Landes. Corona wirkt auch hier als Brennglas für die bestehenden Probleme und so rückt die Pandemie das Thema Energiezugang für Gesundheitseinrichtungen massiv in den Fokus der ländlichen Elektrifizierungsforschung. Wir erleben, dass insbesondere in der Pandemiesituation, Lösungen die auf erneuerbaren Energien basieren, erhebliche Vorteile haben.

Eine dezentrale, auf erneuerbaren Energiequellen basierende Stromversorgung stellt in netzfernen Regionen eine schnell umsetzbare und nachhaltige Lösung dar. Der sogenannte Off-Grid-Ansatz verfolgt die Idee, dass in jeder Siedlung und jedem Zentrum Solaranlagen und Speicher errichtet werden, die die Siedlung unabhängig vom nationalen Energiesystem versorgen können. Es entstehen viele kleine, voneinander unabhängige Energiesysteme anstatt eines großen.

Erfolgreicher Einsatz in Afrika statt Dieselgeneratoren

In vielen ländlichen Regionen gibt es bereits Off-Grid-Systeme, die allerdings meistens einen Dieselgenerator als Energiequelle nutzen. Durch solarbasierte Systeme könnte man den Einsatz von Diesel auf ein Minimum reduzieren, indem man vorhandene lokale Ressourcen nutzt und so auch unabhängiger von Zulieferungen wird. Solarsysteme sind durch ihre kleine Größe schnell und unabhängig geplant und zeitnah implementiert. Sie sind nachhaltig, da sie wartungsarm sind, keine Emissionen verursachen und nicht-endliche Energiequellen nutzen. Zwar sind die Kosten für den Aufbau überschaubar – insbesondere verglichen mit den Kosten, die ein Anschluss ans nationale Stromnetz mit sich bringen würde – doch ganz ohne Kosten geht es leider nicht. Diese Anfangsinvestition stellt die Gesundheitseinrichtungen vor große Herausforderungen.

Industrieländer müssen ihrer Verantwortung gerecht werden

Dass Solarsysteme nicht aufgebaut werden, obwohl ihre Vorteile insbesondere in Off-Grid-Lagen und für den priorisierten Betrieb von Gesundheitseinrichtungen auf der Hand liegen, ist eine riesige vergebene Chance! Was können wir aus Perspektive Deutschlands tun? Unsere Politik sollte verstärkt die gesamte Wertschöpfungskette von importierten Gütern in den Blick nehmen. Wir müssen beispielsweise Sozialstandards einfordern, die die Produktionsländer verpflichten, stärker in ihre Gesundheitssysteme zu investieren. Außerdem sollte durch gemeinsame Bildung- und Forschungsprojekte lokales Wissen um den Zusammenhang von Energie, Gesundheit und Wirtschaft aufgebaut werden. Solarenergie sollte als Chance begriffen werden, hier nachhaltige Entwicklung langfristig zu unterstützten. 

Als Grundvoraussetzungen für nachhaltige Entwicklung haben die Vereinten Nationen daher neben dem dritten Ziel, ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten, einen ausreichenden, bezahlbaren, und verlässlichen Zugang zu sauberer Energie als siebtes Ziel in ihren Katalog der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs) aufgenommen

Pandemiebekämpfung geht nur global

Im speziellen Kontext der Pandemie wird klar, dass es nicht reicht, im eigenen Land Virusbekämpfungsmaßnahmen anzuordnen und die Grenzen zu schließen, denn die Pandemie flammt sofort nach Ende der Maßnahmen wieder auf, solange es keinen Impfstoff gibt. Bis dahin muss sie global und gleichzeitig eingedämmt werden, andernfalls wird der Austausch von Waren, das Reisen und das internationale Geschäftemachen noch auf lange Zeit eingeschränkt bleiben. Länder des Globalen Südens müssen dabei unterstützt werden, ihren Gesundheitssektor zu stabilisieren, damit auch sie Infektionen verhindern und verfolgen können.

Sowohl die Internationale Energieagentur (IEA) als auch die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) haben bereits mit Hinblick auf die Corona-Pandemie darauf gedrängt, Investitionen in erneuerbare Energien nicht zu kürzen. Insbesondere mit dem Wissen über die fallenden Öl- und Gaspreise während der Krise sollten die exportierenden Länder dies als Chance begreifen, ihre Märkte hin zur erneuerbaren Energie zu diversifizieren, was in Zeitalter des anthropogenen Klimawandels von immenser Wichtigkeit ist. Bezogen auf den Gesundheitssektor würde eine bessere Ausstattung mit Erneuerbare-Energie-Anlagen nicht nur lokal die Versorgungssituation verbessern, sondern dabei helfen, Infektionsgeschehen weit über lokale Grenzen hinaus einzudämmen. Pandemiebekämpfung muss global gedacht werden und sie beschränkt sich nicht auf Europa.

Dr. Catherina Cader ist Stellvertretende Bereichsleiterin Off-Grid Systems am Reiner Lemoine Institut in Berlin. Sie und ihr Team entwickeln Lösungen zur ländlichen Elektrifizierungsplanung in Ländern des Globalen Südens unter Berücksichtigung erneuerbarer Energien. 

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen