Standpunkte PV in der neuen Legislaturperiode – Weichen stellen für Resilienz und Innovation

Die neue Bundesregierung kann maßgeblich dazu beitragen, dass Deutschland in der Solarindustrie künftig wieder eine größere Rolle spielt, ist Andreas Bett überzeugt. Der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme hat auch eine Empfehlung für den PV- und Netzausbau: Fehler in Kauf nehmen, um das Tempo zu halten.
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Jetzt kostenfrei testenDie aktuellen politischen Entwicklungen werfen die zentrale Frage auf: Wie wird sich die Photovoltaik-Branche in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln? Insbesondere in Deutschland und Europa stehen wir vor entscheidenden Weichenstellungen, um die Energiewende zu sichern, die technologische Souveränität zu bewahren und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Ein Blick auf die vergangenen 25 Jahre zeigt, was bereits erreicht wurde – und wo dringender Handlungsbedarf besteht.
Erfolge einerseits, Abhängigkeiten andererseits
Vor 25 Jahren waren die Investitionskosten für PV-Anlagen und die Stromgestehungskosten mindestens um den Faktor 15 höher als heute. Insbesondere durch die Einführung des EEG wurde eine starke Marktnachfrage erzeugt, die wiederum Forschung und Entwicklung sowie Skalierung ermöglichte und so zu den erheblichen Kostensenkungen führte. Heute ist die Photovoltaik die Technologie mit den geringsten Stromgestehungskosten.
Deutschland hatte damals die Führungsrolle inne und wurde international für seine Pionierarbeit gelobt. Doch ohne die chinesische Produktion, die den Markt mit immer günstigeren Modulen versorgt hat, wäre dieser Erfolg kaum möglich gewesen. China hat das Potenzial dieser Technologie früh erkannt und konsequent eine industrielle Basis aufgebaut, die heute zu einem Monopol in der PV-Wertschöpfungskette führt. Bei Wafern werden circa 99 Prozent, bei Solarzellen rund 90 Prozent des weltweiten Bedarfs von China gedeckt.
Technologische Souveränität: eine zentrale Herausforderung
Diese Abhängigkeit ist ein erhebliches Risiko für die Energiewende. Während die Diversifikation bei Gaslieferungen durch alternative Quellen möglich ist, ist die Abhängigkeit bei PV-Komponenten viel gravierender. Das Monopol in der Produktion von Wafern und Solarzellen bedeutet, dass Europa bei der Versorgungssicherheit stark auf China angewiesen ist.
Das ist problematisch, denn die Produktion eines Investitionsguts wie eines PV-Moduls erfordert erhebliches technologisches Know-how, das es zu sichern gilt. Denn im Falle eines Verlusts dieses Wissens bräuchte es Jahre, um dies wiederherzustellen, wenn ein Wiederaufbau von Produktionskapazität in Europa notwendig würde - eine Gefahr, die wir angesichts der herausragenden Rolle der Photovoltaik für die globale Energiewende nicht ignorieren dürfen.
Weichenstellung: Resilienz durch europäische Produktion
Die Europäische Kommission hat mit dem Net Zero Industry Act (NZIA) einen ersten Schritt gemacht, um technologische Souveränität bei Schlüsseltechnologien für eine sichere, klimaneutrale Energieversorgung zu sichern beziehungsweise zu erlangen. Formuliertes Ziel ist es, 40 Prozent des Bedarfs hierfür in Europa zu produzieren.
Doch das Gesetz greift aus Sicht vieler Experten zu kurz. Die Produktionskosten für Photovoltaik in Deutschland sind etwa 60 Prozent höher als in China, was einen Aufpreis von circa 0,35 Euro-Cent pro erzeugte Kilowattstunde bedeutet. Dieser Preis ist eine Investition in unsere Resilienz und Versorgungssicherheit. Die neue Bundesregierung sollte daher den Ausbau der PV-Produktion in Europa aktiv fördern, um technologische Souveränität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Deutschland verfügt über exzellente Forschungsinstitute und eine starke Maschinenbauindustrie. Ein strategischer Ausbau der Hightech-Produktion, die Nutzung unseres Know-hows im Maschinenbau und die Weiterentwicklung der Forschungsinfrastruktur sind essenziell. Unser kürzlich veröffentlichtes Positionspapier zeigt konkrete Empfehlungen auf: Ausbau innovativer Produkte, Nutzung des Technologie-Know-hows und Stärkung der Forschungsinfrastruktur.
Es ist noch nicht zu spät für Souveränität und Resilienz
Es ist spät, aber nicht zu spät, um die technologische Souveränität und die künftige Resilienz zu sichern. Große Chancen für Deutschland ergeben sich zudem, wenn gezielt der Markt für die integrierte Photovoltaik und damit eine Doppelnutzung von genutzten Flächen angereizt wird.
Die Bundesregierung sollte Rahmenbedingungen schaffen, dass Anwendungen und Technologien wie die Agri-PV, Fahrzeug-integrierte PV, Gebäude-integrierte PV, PV auf Gewässern et cetera, sich entwickeln können – ein Anreizprogramm wie ehemals das EEG sollte geschaffen werden. Bei diesen Technologien werden spezielle Module benötigt, die in Deutschland kundenspezifisch hergestellt werden. Ebenso möchte ich auf die Chancen durch die rasante Entwicklung von Tandemsolarzellen in den Forschungslaboren in Deutschland hinweisen. Diese F&E-Richtung sollte verstärkt gefördert werden, um international weiter an der Spitze der Entwicklung zu stehen.
Installation von PV-Anlagen: Keine Zeit verlieren
Neben dem Thema der Produktion ist der zügige Ausbau der PV-Installationen entscheidend, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bei der Installation von PV-Anlagen müssen wir die Integration von Speichersystemen vorantreiben. Batterien ermöglichen es, die tagsüber erzeugte Energie zu speichern und nachts zu nutzen.
Aktuell werden bei Hausdach-Installationen bereits mehr als 80 Prozent der Anlagen mit Batteriespeichern und häufig auch mit einer Wallbox ausgestattet. Dies trägt dazu bei, dass im Jahresmittel weniger Energie im Netz benötigt wird. Abschätzungen zeigen, dass heute bereits 18 Prozent des PV-erzeugten Stroms, rund 13 Terawattstunden, eigengenutzt und damit nicht ins Netz eingespeist werden.
Dennoch benötigen wir ausreichend Netzkapazitäten, um beispielsweise. auch bei Dunkelflauten eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Daher sollte der Netzausbau nicht gestoppt werden. Eine Überprüfung der aktuellen Situation, wie sie jüngst ins Spiel gebracht wurden, ist sicherlich sinnvoll, aber es gilt die langen Planungszeiten zu beachten.
Derzeit haben wir steigende Redispatch-Kosten, weil der Ausbau des Netzes nicht rechtzeitig vorangetrieben wurde. Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine ganzheitliche Optimierung des Energiesystems notwendig. Verzögerungen beim Hochlauf der E-Mobilität oder bei der Implementierung von Wärmepumpen sind zwar wahrscheinlich, doch das sollte eine Priorisierung unserer Investitionen in die Strominfrastruktur nicht in Frage stellen.
Fehler tolerieren, um Planungssicherheit und Tempo zu wahren
Beim Blick in die Zukunft des Netzausbaus können Fehler in der Prognose nicht komplett ausgeschlossen werden. Ich plädiere daher dafür, bei langfristigen Infrastrukturplanungen eine Fehlertoleranz zu akzeptieren. Selbst wenn es aufgrund sich verändernder Annahmen zu einzelnen Fehlinvestitionen kommt, ist die Geschwindigkeit des Ausbaus von entscheidender Bedeutung. Eine kontinuierliche, kritische Überprüfung ist unerlässlich, aber gleichzeitig benötigen wir Verlässlichkeit und Planbarkeit. Ein ständiges Hin und Her muss vermieden werden, denn es belastet die wirtschaftliche Entwicklung und schafft Unsicherheit auf den Märkten.
Um den notwendigen Ausbau der PV auch im System optimal zu nutzen, ist es wichtig, dass die neue Bundesregierung den rechtlichen Rahmen schafft, der Geschäftsmodelle für die Nutzung von Flexibilitätsoptionen ermöglicht und einen netz- und systemdienlichen Betrieb anreizt. Ein Beispiel hierfür ist die Rückspeisung von Strom aus E-Autobatterien, die eine wertvolle Rolle bei der Stabilisierung des Netzes spielen kann. Auch die beschleunigte Installation von Smart Metern wird helfen, den PV-Strom besser zu vermarkten und systemdienlicher zu nutzen.
Eine Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland
Die Herausforderungen sind vielfältig, aber ich bin zuversichtlich, dass die neue Bundesregierung die Notwendigkeit einer konsequenten Energiewende als Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland begreifen und entsprechend handeln wird. Die Photovoltaik kann eine Schlüsselrolle in der positiven wirtschaftlichen Entwicklung spielen, wenn wir mutig und entschlossen die richtigen Weichen stellen. Es gibt viele gute Gründe, weiter gemeinsam entschlossen an einer resilienten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Energieversorgung zu arbeiten.
Andreas Bett ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme.
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