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Energie & Klima

Standpunkte Neu bewerten – für eine Renaissance der PV-Produktion in Deutschland

Andreas Bett, Direktor des Fraunhofer ISE
Andreas Bett, Direktor des Fraunhofer ISE Foto: Fraunhofer ISE

Photovoltaikanlagen können aus Sicht von Andreas Bett auch in Europa wettbewerbsfähig hergestellt werden. Für den Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme sind die Folgen der Coronapandemie ein Beleg dafür, wie wichtig eine europäische PV-Wertschöpfungskette ist.

von Andreas Bett

veröffentlicht am 28.05.2020

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Die Bundesregierung hat im Dezember 2019 das Klimaschutzgesetz verabschiedet, mit dem verbindlichen Ziel, bis 2030 den CO2-Ausstoß um 55 Prozent zum Referenzjahr 1990 zu verringern. Das erfordert einen verstärkten Ausbau der Strombereitstellung in Deutschland. Wind und Photovoltaik (PV) sind die zentralen Säulen.

Die jüngste Studie unseres Instituts zeigt, dass in Deutschland bis 2050 mindestens eine Kapazität von 500 Gigawatt (GW) PV installiert sein sollte. Bei heute circa 50 GW müssen wir also in 30 Jahren noch 450 GW zubauen. Der einfache Dreisatz führt zu einem Zubau von 15 GW pro Jahr. Zudem werden ab 2021 PV-Altanlagen abgebaut – der jährliche Nettozubaubedarf steigt damit noch. In der Bundesregierung wird derzeit über vier bis fünf GW Zubau pro Jahr gesprochen. Die Diskrepanz ist offensichtlich. Eine Steigerung des jährlichen PV-Zubaus zuzulassen, ist daher eine klare Forderung an die Politik.

Für Europa werden für 2050 mehr als fünf Terawatt (TW) und weltweit mehr als 60 TW installierte Kapazität erwartet. PV ist damit ein Wachstumsmarkt und Deutschland als Industrienation sollte davon profitieren.

Heute werden Solarzellen praktisch ausschließlich in Asien gefertigt. Die Krise und das Sterben der deutschen PV-Industrie, beginnend 2013 mit dem Ausstieg von Bosch und endend mit der Insolvenz von Solarworld 2017, ist allseits bekannt und führt heute dazu, dass bei Politikern und vor allem Banken die Photovoltaik eher als ungeliebtes Kind betrachtet wird. Dabei hat sich in jüngerer Zeit viel verändert, und es ist an der Zeit eine Neubewertung vorzunehmen.

Komplette Abhängigkeit von Asien verhindern

Im aktuellen Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans unter „Sicherheit der Energieversorgung“ wird beschrieben, wie mit den fossilen Energieträgern umzugehen ist, damit die Sicherheit der Energieversorgung gewährleistet ist. Interessant ist, dass man dort keine Ausführungen findet, wie das zukünftige Energiesystem basierend auf den Erneuerbaren zu sichern wäre. Aus meiner Sicht ist es dringend Zeit, sich auch dazu Gedanken zu machen. Wenn wir beispielsweise die Technologiefähigkeit zur Produktion von Solarmodulen komplett verlieren, wird die bisherige Abhängigkeit bei Gas und Öl durch die Abhängigkeit von Produzenten der PV-Module in Asien ersetzt.

Der Marktpreis von PV-Modulen wird in Asien festgelegt, und wir sind davon abhängig. Als in China der PV-Markt 2019 eingebrochen ist, sanken die Preise in Europa. Das war positiv. Aber es geht auch anders herum. Während der Coronakrise konnte man Headlines lesen, dass die Modulpreise in Europa ansteigen, weil ein Lieferengpass entstand oder befürchtet wurde.

Eine komplette Abhängigkeit kann nur verhindert werden, wenn die gesamte PV-Wertschöpfungskette in Europa auf industriellem Niveau vorhanden ist. Aus geopolitischen Gründen und zur Absicherung der wirtschaftlichen und technologischen Souveränität ist eine industrielle Fertigung von PV-Modulen in Europa ein Muss.

Fertigungskosten in Europa und China vergleichbar

Das bedeutet aus meiner Sicht nicht, dass der Markt zu 100 Prozent durch eine europäische Produktion abgedeckt wird. Der globale Wettbewerb ist richtig und wichtig. Er muss nur fair sein. An die Forderung nach europäischer Produktion schließt sich die zentrale Frage an, ob dazu dauerhaft Subventionen notwendig sind. Meine Antwort ist hier ein klares Nein! Auch hier lohnt sich eine genaue Betrachtung.

Das Fraunhofer ISE hat kürzlich im Auftrag des VDMA eine Studie zur Wettbewerbsfähigkeit der industriellen PV-Fertigung erstellt. Darin wurde ein direkter Vergleich der Produktionskosten in China und in Europa und Deutschland durchgeführt. Dabei wurde als Referenz eine Ein-GW-Fertigung auf Basis der PERC-Solarzellenstruktur gewählt. Das Ergebnis der Studie ist, dass die Fertigungskosten in Europa jenen in China vergleichbar sind.

Es ergibt sich sogar ein Kostenvorteil für Europa, wenn die Transportkosten mit betrachtet werden. Der Transport eines PV-Moduls von Asien nach Europa schlägt mit 1-3 Euro-Cent pro Watt zu Buche. In Kürze werden die Produktionskosten von hocheffizienten Modulen im Bereich von 20 bis 25 Cent liegen. Damit tragen die Transportkosten schon mit circa zehn Prozent zu den Gesamtkosten bei. Als die Modulpreise in 2012 noch bei 60 Cent lagen, war dieser Anteil vernachlässigbar. Aber in Zukunft wird der Anteil der Logistikkosten weiter steigen. Das spricht für eine lokale Fertigung in Europa und für den sofortigen Start einer hiesigen Produktion.

Das politische Zeitfenster nutzen

Es gibt viele Argumente für eine industrielle PV-Fertigung entlang der Wertschöpfungskette in Europa. Warum gibt es diese europäische Fertigung noch nicht? Aus meiner Sicht waren die letzten zwei Jahre notwendig, um die Argumente zu schärfen und mit Daten zu hinterlegen. Seitens der Politik wurde nach dem Investor gefragt, bei den Investoren wurde nach der Unterstützung durch die Politik gefragt – das klassische Henne-Ei-Dilemma.

Durch die Fridays-for-Future-Bewegung, aber auch durch die Erfahrungen in der Coronakrise in Bezug auf systemkritische Lieferabhängigkeiten etwa bei Basischemikalien für Arzneimittel, gibt es derzeit auf der politischen Seite eine Offenheit, über systemrelevante Technologien zu sprechen. Mit Ursula von der Leyen, der neuen EU-Kommission und dem Ziel des „Green Deal“ werden Randbedingungen neu justiert. Aber auch die PV-Community hat durch die Erfahrungen in der Coronakrise gelernt. Die Abhängigkeiten wurden deutlich und die Bereitschaft ist gewachsen, den Blick in die weitere Zukunft zu richten.

Die Modulkosten tragen mit circa 30 Prozent zu den Systemkosten bei. Bei den Energiebereitstellungskosten in Eurocent pro Kilowattstunde sind es sogar noch weniger. Selbst wenn die Modulkosten leicht ansteigen würden, dafür aber ein Risiko bei der Lieferung minimiert und vor allem ein hoher Qualitätsstandard gesichert ist, wäre das verkraftbar. Und am allerwichtigsten: Das Marktvolumen ist im letzten Jahr in Europa und Deutschland um fast 100 Prozent gestiegen.

Positive Signale aus dem Markt

Wenn die Politik nun klar macht, dass sie sich für die Energiewende einsetzt und den Ausbau der Erneuerbaren wie oben beschrieben klar unterstützt, dann wird der Markt weiter Jahr für Jahr wachsen. Auch weil er es muss. Für mich ist es daher nicht verwunderlich, dass in den letzten Wochen mehrere Ankündigungen für PV-Fertigungen in Europa gemacht wurden, speziell in Deutschland und Frankreich.

Dies sind aus meiner Sicht positive Signale, dass nun eine Renaissance der PV-Produktion entlang der Wertschöpfungskette in Deutschland kommt. Diese Chance zu nutzen und zu unterstützen, sollte ein vorrangiges Ziel der Politik, aber auch der Banken sein. Gerade der Bankenfinanzierung wird eine wichtige Rolle zukommen. Dabei ist es essenziell, den Blick nach vorn zu richten und nicht die Vergangenheit zu betrachten. Die Zeiten habe sich geändert, es gilt jetzt, eine Neubewertung vorzunehmen und zu handeln, um Deutschland und Europa zukunftsfähig zu machen und nachhaltige Produktion und Arbeitsplätze zu sichern – in einem wachsenden Markt mit Zukunftsperspektive sollte das möglich sein.

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