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Energie & Klima

Standpunkte „Öffentliches Interesse“ im EEG läuft ins Leere

Rechtsanwalt Prof. Martin Maslaton
Rechtsanwalt Prof. Martin Maslaton

Das EEG 2021 schreibt fest, dass Wind- und Solaranlagen im öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Das sollte vor allem die Windkraft in der Abwägung mit Natur- oder Landschaftsschutz stärken. Doch schon jetzt zeigt ein Gerichtsurteil, dass die Festlegung für die Richter nur eine Rechtsnorm unter vielen ist – und nicht beachtet wird, schreibt Rechtsanwalt Prof. Martin Maslaton im Standpunkt. Der Ausweg wäre ein belastbares Staatsziel „Klimaschutz“ im Grundgesetz.

von Martin Maslaton

veröffentlicht am 28.10.2020

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Es war gut gemeint. Bestenfalls. Im EEG 2021 hat das federführende Bundeswirtschaftsministerium gleich im ersten Paragraphen einen neuen Passus eingeführt. Danach liegt „die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien im öffentlichen Interesse“ und dient „der öffentlichen Sicherheit“. Dieser neue Abschnitt (§ 1 Abs. 5 EEG 2021) sollte klar stellen, dass der Bau einer Windenergieanlage nicht zu vergleichen ist mit dem Betrieb einer Moto-Cross Anlage oder sonst einer privaten Investition – wie es auch Marcel Keiffenheim von Greenpeace Energy und Roda Verheyen im Background beschrieben haben

Wind- und Solaranlagen „werden in der Regel von Unternehmen oder Privatpersonen mit einer Gewinnerzielungsabsicht errichtet und dienen insofern ihrem wirtschaftlichen Interesse“, erläutert der Gesetzgeber in der Begründung des neuen EEG 2021. Die Anlagen dienten aber eben auch den klima- und energiepolitischen Zielen der Bundesregierung. Darum liege ihre Errichtung „gleichzeitig in einem übergeordneten öffentlichen Interesse“. Und die „staatlichen Behörden“ müssten „dieses hohe öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen“, heißt es weiter. Die Begründung zum EEG 2021 stellt klar: „Dies betrifft jede einzelne Anlage, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht werden.“

Mit dieser neuen Passus hat die Regierung einen gordischen Knoten durchschlagen. Könnte man meinen. Klimaschützer und Vertreterinnen und Vertreter Erneuerbarer Energien hoffen jedenfalls, dass sich der Genehmigungsstau nun endlich zu Gunsten von Wind und Solar auflöst. Angesichts der Klimaziele 2050 sei es „folgerichtig, dass das EEG die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien in ein öffentliches Interesse stellt“, teilte Simone Peter mit, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).

Gerichten ist das Hemd näher als die Jacke

Die Fälle, an die die Branche dabei denkt, erleben wir vielfach in unserer täglichen Arbeit bei Gericht. Ein Beispiel: Anfang des Jahres hat das Verwaltungsgericht Gießen den Bau von drei Windrädern verhindert, weil das „erhöhte Tötungsrisiko des Wespenbussards“ sich nicht unter Berufung auf allgemeine politische Ziele wie den Klimaschutz in Kauf nehmen lasse, so das Gericht. Zwar war eine Bestandsgefährdung nicht zu befürchten. Der Vogelschutz einer gefährdeten Art stünde jedoch über dem gesellschaftlichen Bestreben, fossile durch erneuerbare Energie zu ersetzen.

In anderen Verfahren werden Lärmschutz, Landschaftsschutz, Flugsicherheit oder Denkmalschutz gegen das Interesse abgewogen, neue Windräder zu bauen. Es sind Schutzgüter wie Klima und Energiesicherheit. Aber den Gerichten ist dabei das konkrete Problem vor ihrer Haustüre fast immer wichtiger als das abstraktere Problem Klimaschutz. Darum geht es oft zu Ungunsten der Windkraft aus. 

Mit dem klaren Hinweis im neuen EEG 2021 würden solche Abwägungen künftig wohl anders ausfallen, hofft die Branche. Und schien damit Recht zu haben: Zumindest wenn man nach der Reaktion der ausgewiesenen Energiewendegegner ging: Sie schreckten die Öffentlichkeit via Springer-Medien damit auf, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier der Windbranche jetzt eine „Lizenz zum Töten“ (von Vögeln) verliehen hätte. Windkraft gegen Naturschutz und James Bond lässt grüßen. 

Ein einzelnes Energiegesetz ändert vor Gericht wenig

Bevor es in Kraft getreten ist, ist das neue EEG bereits in der Rechtspraxis angekommen. Und man muss leider sagen: Anders als gehofft oder gefürchtet ändert es vor Gericht scheinbar nichts

Das Verwaltungsgericht Koblenz hatte Anfang Oktober über die Genehmigung einer Windenergieanlage zu entscheiden. Es ging dabei um „wasserwirtschaftliche, brandschutz-rechtliche und planungsrechtliche Belange“, die aus Sicht der Genehmigungsbehörde dem Bau im Wege standen – eine häufige Mischung aus Interessen, die im Einzelnen gegen den Klimaschutz abgewogen werden müssen. Da das alles keine schwerwiegenden Hindernisse waren, hätte die Behörde hier durchaus im Sinne des Klimaschutzes entscheiden können. Sie tat es nicht – und auch das Gericht sah es so.

Denn das „besondere öffentliche Interesse“ am Ausbau der Erneuerbaren relativiere „Landschaftsschutzgebietsverordnungen und die mit ihnen verfolgten Ziele“ nicht. Das Gericht sagt explizit zum EEG 2021, dass sich auch durch das neu hervorgehobene „öffentliche Interesse“ und die „öffentliche Sicherheit“ (§ 1 Abs. 5) im Grunde nichts ändert.: Daraus lasse sich „kein generelles Überwiegen des Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien herleiten“. Der Gesetzesentwurf unterstreiche „lediglich, dass das hohe Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.“

Und da ist dem Gericht das Hemd eben weiter näher als die Jacke, das lokale Wasserrecht wichtiger als der Klimaschutz. 

Klimaschutz gehört ins Grundgesetz

Das ist aus Sicht von Klimaschutz und Erneuerbaren Energien zu bedauern. Aber formal und juristisch nachvollziehbar. Für das Bundeswirtschaftsministerium mag das Energierecht der Nabel der Welt sein. Für ein Gericht ist eine Vorschrift wie das neue EEG nur eine Norm unter vielen. Und dass die Ziele von Gesetzen gegeneinander abgewogen werden müssen, ist juristischer Alltag. Gut gemeint ist eben leider oft das Gegenteil von gut gemacht.

Aber es gibt einen Ausweg aus dieser Sackgasse: Die Aufnahme des Klimaschutzes in höherrangiges Recht. Seit Jahren wird die Verankerung des Klimaschutzes als ein belastbares Staatsziel im Grundgesetz diskutiert und inzwischen reichen die Befürwortenden von den Grünen bis zur CSU. Von den Kritikern wird der Vorstoß gerne als bloße „Verfassungslyrik“ herabgewertet – aber tatsächlich könnte der Eintrag ins Grundgesetz vor Gericht das bewirken, was ein bloßes Gesetz nicht kann. Eine weitreichende Bindung der Gerichte durch das höherrangige Verfassungsrecht. 

Rechtsanwalt Dr. Martin Maslaton ist Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien, Landesvorsitzender des BWE Sachsen und leitet die Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Leipzig. 


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