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Energie & Klima

Standpunkte Offshore-Windbranche bietet Industriepolitik zum Nulltarif

Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO)
Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO)

Die Bundesregierung hat in diesen Tagen die Chance, ihre gesetzlichen Ziele für die Offshore-Windenergie industriepolitisch abzusichern. Mit ihrer Nationalen Hafenstrategie will sie Häfen zu Drehscheiben einer nachhaltigen, grünen Logistik machen. Wie die Regierung deren Ausbau und andere Maßnahmen finanzieren kann, ohne den Bundeshaushalt zu belasten, erläutert BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm im Standpunkt.

von Stefan Thimm

veröffentlicht am 07.12.2023

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Wenn die Bundesregierung sich um die absehbaren Engpässe beim Ausbau der Offshore-Windenergie kümmert, kann diese faszinierende Technologie nicht nur das Rückgrat der Energiewende sein, sondern auch ein starker wirtschaftlicher Motor für Wachstum, Wertschöpfung und Wohlstand werden. „Das sind ja gleich vier Dinge auf einmal – das ist bestimmt teuer!“, höre ich da die Zweifler schon sagen. Aber sie liegen falsch!

Ja, es ist richtig: Die Branche kann die Ausbauziele von 30 Gigawatt bis 2030 und mindestens 70 Gigawatt bis 2045 nicht ohne industriepolitische Unterstützung erreichen. Aber es ist genauso richtig, dass ein gewaltiges wirtschaftliches Potential in der Offshore-Windenergie steckt. Allein die Investitionen in Offshore-Windparks vor den Europäischen Küsten summieren sich für einen Ausbau auf 300 Gigawatt auf mehr als eine Billion Euro. Hinzu kommen Zukunftsinvestitionen in Netzanbindungen und die Infrastruktur für die Wasserstofferzeugung. Da stellt sich die Frage, wo die Wertschöpfung stattfinden wird. Wo werden die vielen Komponenten gebaut werden? Woher kommen die Turbinen, Rotorblätter, Fundamente? Die Liste ist lang.

Fest steht: Wir sprechen etwa von einer Verdreifachung der Produktionskapazitäten in vielen Bereichen der vorgelagerten Wertschöpfungskette. Dafür müssten jetzt dreistellige Millionenbeträge von der meist mittelständisch geprägten Wirtschaft investiert werden. Und wir reden von etwa neun Milliarden Euro Investitionsbedarf in die europäischen Häfen

Da liegt der Hase im Pfeffer: Während frühere Bundesregierungen bei der Offshore-Windenergie vor wenigen Jahren mit Ausbauziel-Kürzungen und einer desaströsen Ausbaulücke für Verunsicherung im deutschen Markt gesorgt haben, haben unsere Nachbarländer ihre Häfen in Eemshaven und Esbjerg zu erstklassigen Offshore-Wind-Häfen ausgebaut. Auf diese Infrastruktur haben wir uns in den letzten Jahren verlassen. Nun stehen wir vor der Situation, dass wir 2029 und 2030 jeweils fast so viele Gigawatt installieren wollen wie in den letzten zehn Jahren zusammengenommen. Gleichzeitig haben die Niederlande und Dänemark selbst ihre Ziele nach oben geschraubt – und wir können nicht blind darauf setzen, dass deren Hafenkapazitäten auch für uns ausreichen. 

Wenn wir zum Ende des Jahrzehnts neue Hafenkapazitäten nutzen wollen, müssen schnelle Entscheidungen her. Klar ist: Das Investitionsumfeld ist nicht einfach. Durch den Attentismus der 2010er Jahre sind zahlreiche Unternehmen geschwächt, sie haben nicht gerade das beste Kreditrating. Zudem sind die Leitzinsen der EZB bedingt durch den Dauerkrisenmodus der vergangenen Jahre so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. 

Vielleicht noch schlimmer: Mit Blick auf die Häfen streiten Bund und Länder über Zuständigkeiten. Geld für die Länderangelegenheit Hafenausbau – so hört man hinter vorgehaltener Hand aus dem BMWK – werde es nicht so einfach geben. Und ganz nebenbei gebe man nicht so gern Geld in andere Ressorts, geschweige denn in die des Koalitionspartners.

Industriepolitik mit den Auktionserlösen

Dabei könnte es – zumindest politisch – so einfach sein: Gegenwärtig werden 90 Prozent der Einnahmen aus der Gebotskomponente in den Ausschreibungen zur Senkung der Netzentgelte und jeweils fünf Prozent für Maßnahmen zur Förderung der umweltschonenden Fischerei und für den Meeresnaturschutz eingesetzt. Allein aus den Ausschreibungen des Jahres 2023 resultieren damit 670 Millionen Euro für den Meeresnaturschutz und nochmals 670 Millionen Euro für die Fischerei. 

Angesichts der drängenden industriepolitischen Herausforderungen empfehlen wir, die Einnahmen aus künftigen Auktionserlösen zielgerichtet auch zur industriepolitischen Flankierung des Offshorewind-Ausbaus einzusetzen. Hierfür soll der Zehn-Prozent-Anteil der erfolgreichen Gebote in den Auktionen des kommenden Jahres, aktuell für Fischerei- und Meeresnaturschutzmaßnahmen reserviert, auch für andere Verwendungsmöglichkeiten geöffnet werden. 

Wichtig ist dabei, dass die Komponenten im Grundsatz erhalten bleiben. Wir müssen die Artenvielfalt im Meer mindestens erhalten und die Meeresumwelt schützen. Es geht hier um die Dimensionierung. Wir schlagen daher vor, Teile dieses Geldes dafür zu verwenden, den Ausbau der Offshore-Windenergie industriepolitisch zu flankieren. Das Geld wird für einen nachhaltigen Ausbau der Offshore-Windenergie dringend benötigt, der auch hierzulande für Wertschöpfung und Beschäftigung sorgt:

Etwa für die Finanzierung der notwendigen Hafeninfrastruktur, für die Finanzierung von vergünstigten Krediten für Investitionsmaßnahmen zur Steigerung der Produktionskapazitäten von Komponenten, für den Aufbau einer hochwertigen Rettungsinfrastruktur, den Aufbau einer Job-Plattform und einer Offshore-Academy zur Qualifikation von Fachkräften sowie nicht zuletzt der Stärkung von Forschung und Entwicklung.

Hier ist vieles möglich, ohne den Bundeshaushalt zu belasten – Industriepolitik zum Nulltarif.

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