425 Gigawatt installierte Windenergieleistung bis 2030 und 1.300 Gigawatt bis 2050. Das sind die Ziele, die sich die EU beim Ausbau der Windenergie an Land und auf See gegeben hat. Gegenüber den heute installierten 220 Gigawatt ist das ein erheblicher Aufwuchs. Der europäische Markt, speziell Deutschland als führendes Ausbauland für Windenergie, ist damit interessant und lukrativ für die Hersteller von Windenergieanlagen.
In der letzten Zeit ist verstärkt zu beobachten, dass chinesische Hersteller, die im eigenen Land mit hohen Überkapazitäten kämpfen, ein Stück von diesem Kuchen abhaben wollen. Die Frage ist: Soll es bei einem Stück bleiben oder möchten die Hersteller, ähnlich wie in der Solarbranche, gleich den ganzen Kuchen für sich?
Chinesische Unternehmen investieren massiv in die Außenwahrnehmung und die Steigerung ihrer Bekanntheit, beispielsweise mit starker Präsenz bei den einschlägigen Fachmessen. Dabei locken sie Projektierer mit attraktiven Angeboten: Einkaufspreise, die deutlich unter denen der europäischen Hersteller liegen sowie Zahlungsaufschübe von mehreren Jahren. Warum sollten Unternehmen hier also nicht zugreifen?
Der europäische Markt ist fast vollständig europäisch
Gegenwärtig ist der Anteil chinesischer Hersteller am europäischen Markt praktisch nicht existent. Der Markt wird zu 97 Prozent von den großen europäischen Herstellern bedient. Die gesamte europäische Windindustrie hat rund 300.000 Beschäftigte und trägt aktuell 49 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union bei.
Ein entscheidender Faktor für die Stärke der europäischen Hersteller im Markt sind ihre seit Jahrzehnten etablierten Service- und Wartungsdienstleistungen. Diese erfordern eine vertrauenswürdige Service-Infrastruktur.
Chinesische Hersteller haben diese bislang noch nicht aufbauen können. Bei Lebensdauern von in der Regel mehr als 20 Jahren fallen Service und Wartung von Windenergieanlagen deutlicher ins Gewicht und relativieren den reinen Anschaffungspreis.
Energiepolitik ist Sicherheitspolitik
Der russische Überfall auf die Ukraine und die darauffolgende fossile Energiekrise haben zudem deutlich gezeigt, dass Energiepolitik zugleich Sicherheitspolitik ist. Die starke Abhängigkeit von russischem Erdgas brachte viele EU-Mitgliedstaaten in eine schwierige Lage. Dank der beherzten und robusten Antwort der Bundesregierung ist Deutschland vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen. Aber die Ereignisse zeigen deutlich: Abhängigkeit führt zu Erpressbarkeit.
Windenergieanlagen sind mit rund 300 verschiedenen Sensoren ausgestattet. Diese überwachen den Betrieb der Anlage, die Stärke des Windes sowie Windrichtung und vieles mehr. Mit den Daten aus diesen Sensoren kann die Anlage in Echtzeit gesteuert werden. So kann der Winkel der Rotorblätter optimal zum Wind eingestellt werden oder die Anlage bei Stürmen, bei Gefahr einer Überlastung des Netzes oder zum Schutz von Tierarten vorübergehend abgeschaltet werden.
Diese Sensoren werden von den Herstellern installiert. Zur Wartung haben sowohl die Betreiber als auch die Hersteller entsprechend Zugriff auf die Daten. Dies wirft nun zwei sicherheitsrelevante Fragen auf. Am Anfang steht die Frage nach der Sicherheit der Daten. Wo werden diese gespeichert und verarbeitet? Inwiefern ließe sich ausschließen, dass chinesische Behörden Zugriff auf die Daten erhielten?
Darauf aufbauend stellt sich die Frage, wie viel Zugriff auf die europäische Energieversorgung dadurch in der Hand Chinas läge. Es ist nicht auszuschließen, dass Eingriffe in die europäische Energieinfrastruktur als Druckmittel in politischen Krisen genutzt werden könnten. Russland hat seine Gaslieferungen an Abnehmerstaaten häufig gedrosselt, um politischen Druck aufzubauen. Die EU hat diese Abhängigkeit gerade erst abgeschüttelt. Sie wäre gut beraten, sich jetzt nicht leichtfertig in die nächste Abhängigkeit zu begeben.
Cybersicherheit als Teilnahmevoraussetzung am Markt
Die EU-Kommission geht davon aus, dass chinesische Hersteller ihre Turbinen nur deshalb so günstig am Markt anbieten können, weil sie massiv vom Staat subventioniert werden. Ziel ist der großflächige Markteintritt. Dies verzerrt den Wettbewerb erheblich. Die von der EU-Kommission gestartete Untersuchung dieser unlauteren Handelspraktiken ist daher ausdrücklich zu begrüßen.
Der Net-Zero Industry Act (NZIA) ist die europäische Antwort auf Investitionsprogramme in erneuerbare Energien anderer Länder, wie beispielsweise den Inflation Reduction Act der USA. Noch ist die genaue Ausgestaltung des NZIA offen. Für uns als Branche steht fest: Cybersicherheit muss als Kriterium für die Teilnahme am europäischen Markt ein entscheidendes Kriterium sein.
Bestehen berechtigte Zweifel an deren Gewährleistung, sollte ein Ausschluss der Teilnehmer vom Markt möglich sein. Dies ist ein scharfes Schwert, aber kein Präzedenzfall. Das chinesische Unternehmen Huawei darf gerade aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht am weiteren Ausbau des deutschen 5G-Mobilfunknetzes teilnehmen.
Zukunftsindustrien in Europa sichern
Aber Daten- und Cybersicherheit sind nur zwei Aspekte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mehrfach betont, dass die Zukunft der europäischen Clean-Tech-Industrie schwerpunktmäßig in Europa entstehen soll, zuletzt in den politischen Leitlinien für ihre zweite Amtszeit. Die von 26 Mitgliedsstaaten unterzeichnete Wind Charta bekräftigt dieses Ziel und formuliert Maßnahmen.
Das Ziel des NZIA ist mindestens 40 Prozent der Wertschöpfung der Clean-Tech-Industrie „made in Europe“. Die europäische Windenergieindustrie ist leistungsstark, verfügt über eine stabile europäische Zuliefererkette und ist fähig, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Den Markthochlauf können diese Unternehmen realisieren. Dazu brauchen sie ein faires Wettbewerbsumfeld und – extrem wichtig – stabile politische Rahmenbedingungen.
Für die Ausgestaltung ist nun die EU in der Verantwortung. Deutschland muss hier den notwendigen Input leisten. Es geht nicht allein um die Hersteller. Es geht um das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Elektrotechnik.
Clean-Tech made in Europe ist eine enorme Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Diese Chance sollten wir uns auf gar keinen Fall nehmen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass durch den Markteintritt der chinesischen Unternehmen nur „ein bisschen Wettbewerb“ entsteht, halte ich für äußert gering. Die Solarbranche hat uns gezeigt, wie schnell ein Markt übernommen werden kann. Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen. Dafür besteht keinerlei Notwendigkeit.