Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität wurde im März ein historischer Meilenstein für die Modernisierung und Transformation des Landes gesetzt. Eine finanzielle Trennung von Klima- und Infrastrukturpolitik greift dabei zu kurz und verkennt, dass das Erreichen von Deutschlands Klimaneutralität kein einzelnes Projekt ist, sondern als Querschnittsaufgabe alle politischen und finanziellen Entscheidungen durchdringen muss. –
Die 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sind ein bedeutender Baustein, doch sie dürfen nicht als abgeschlossene Maßnahme missverstanden werden. Auch die übrigen 400 Milliarden Euro des Infrastruktur-Sondervermögens müssen aktiv zum Erreichen der Klimaneutralität 2045 und dem Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit beitragen.
Grüne Leitmärkte, ein Motor der Transformation
Die Entwicklung und Skalierung klimafreundlicher Grundstoffe wie Stahl oder Zement ist kostenintensiv, technologisch anspruchsvoll und mit erheblichen Investitionsrisiken verbunden. Doch genau deren Produktionsprozesse bilden das Rückgrat eines zukunftsfähigen Industriestandortes und sind zentral für die tiefgreifende Erneuerung unserer Infrastruktur. In der vergangenen Legislaturperiode wurden wichtige Förderprogramme auf den Weg gebracht, um die Angebotsseite zu stärken und Innovationen im Bereich klimaneutraler Produktionsprozesse zu beschleunigen. Langfristig reicht dies jedoch nicht aus.
Es braucht ebenso eine aktive Nachfrageseite, um den Hochlauf dieser Technologien zu ermöglichen und somit Investitionen in nachhaltige Produktionsweisen anzureizen. Marktwirtschaftliche Instrumente wie die CO₂-Bepreisung oder der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) setzen hierzu erste Impulse, indem emissionsintensive Produkte zunehmend unattraktiver werden und grüne Alternativen faire Wettbewerbsbedingungen erhalten. Um sauberen Technologien zum Marktdurchbruch zu verhelfen, fehlt aber ein entscheidender Schritt: der Aufbau grüner Leitmärkte.
Nur wenn die Nachfrage nach emissionsarmen Produkten systematisch gestärkt wird, können skalierbare Geschäftsmodelle entstehen. Öffentliche Ausschreibungen sind hier ein wirkungsvolles Mittel: wenn der Staat als Nachfrager gezielt klimafreundliche Produkte bevorzugt, entstehen klare Marktanreize, die Planungssicherheit schaffen und private Investitionen mobilisieren. So wird der Staat nicht nur zum Regulierer, sondern auch zum strategischen Innovationstreiber der grünen Transformation.
Bereits vor Einführung des Infrastruktur-Sondervermögens entfielen rund 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf öffentliche Aufträge. Bund, Länder und Kommunen könnten diese Marktmacht gezielt für die Transformation nutzen und ihre Vergabe entsprechend ausrichten. Wenn die zusätzlichen Mittel des Sondervermögens strategisch eingesetzt werden, etwa durch emissionsbezogene Vorgaben in Ausschreibungen für den Schienenbau, Brückensanierungen oder die Instandsetzung von Tunneln, entsteht ein dynamischer Impuls mit wechselseitigem Mehrwert. Die marode Infrastruktur wird modernisiert, während gleichzeitig der Markteintritt klimafreundlicher Materialien wie grüner Stahl und Zement gefördert wird.
Transformation braucht Taten – und zwar jetzt
Dass CDU/CSU und SPD das Leitmarkt-Vorhaben im neuen Koalitionsvertrag verankert haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Quoten für emissionsarme Produkte sowie vergaberechtliche Vorgaben sind zentrale Stellschrauben, um Investitionssicherheit zu schaffen und die Transformation der Industrie nachhaltig zu gestalten. Doch Worte allein reichen nicht. Die Zeit drängt und das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen bietet eine historische Chance. Die Mittel müssen jetzt konsequent in die Transformation und die Modernisierung unserer Infrastruktur fließen – in Projekte, die ökonomisch tragfähig und ökologisch richtungsweisend sind.
Grüne Leitmärkte entstehen nicht durch reine Lippenbekenntnisse. Voraussetzung ist eine klare und verbindliche Definition dessen, was als klimafreundlicher Grundstoff gilt. Hierbei sollten CO₂-Emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts als zentraler Maßstab zur Bewertung hinzugezogen werden. Es braucht hierfür ein transparentes, standardisiertes und verbindliches Klima-Label, das auf wissenschaftlich fundierten Kriterien basiert, bürokratischen Aufwand minimiert und gleichzeitig höchste Glaubwürdigkeit sichert.
Um die Marktmacht des Staates, vor allem in Anbetracht der immensen Investitionssummen der kommenden Jahre, möglichst effektiv auszuschöpfen, ist eine konkrete Verpflichtung für CO₂-basierte Ausschreibungen und klimabezogene Mindestkriterien unerlässlich. Hier bleibt der Koalitionsvertrag leider hinter den Erwartungen zurück. Wenn der Staat klimafreundliche Produkte systematisch bevorzugt, sendet er klare Marktimpulse für grüne Technologien. Die öffentliche Beschaffung wird so zum strategischen Instrument der Industriepolitik. Sie reduziert CO₂-Emissionen, treibt den Produktionshochlauf klimaneutraler Materialien voran und eröffnet grünen Technologien eine realistische Skalierungsperspektive.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat in der vergangenen Legislatur mit dem Stakeholderprozess grüne Leitmärkte eine solide Grundlage gelegt, auf der die neue Regierung aufbauen sollte. Gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wurden erste Definitionen und Labels für klimafreundliche Grundstoffe erarbeitet. Jetzt kommt es darauf an, diesen Prozess zu vertiefen: durch die Verfeinerung der Standards, die Entwicklung eines transparenten, verlässlichen Labeling-Systems und vor allem durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen, die einen grünen Leitmarkt tatsächlich zur Realität werden lassen.
Clean Industrial Deal umsetzen: Mit Start-ups zur Klimaneutralität
Sinnvolle Impulse liefert auch der im März vorgestellte Clean Industrial Deal (CID) der EU. Durch nachhaltige Beschaffungsregeln, gezielte Innovationsförderung und eine klare industriepolitische Ausrichtung auf Klimaneutralität wird ein ambitionierter Rahmen für die Transformation der europäischen Industrie geschaffen. Deutschland muss hier Vorreiterin sein, als attraktiver Standort für die Forschung, Entwicklung und Skalierung grüner Schlüsseltechnologien mit globaler Strahlkraft.
Dabei spielen Start-ups und mittelständische Unternehmen eine entscheidende Rolle. Sie sind die wirtschaftlichen Treiber technologischer Innovationen – schnell, flexibel und oft disruptiv. Doch gerade ihnen fehlt häufig der Zugang zu staatlichen Ausschreibungen. Durch eine gezielte Öffnung der Vergabeverfahren, klare CO₂-Kriterien und verlässliche Zertifizierungssysteme kann die öffentliche Hand hier gezielt Marktsignale setzen. Eine entschlossene Leitmarktoffensive stärkt damit nicht nur das Klima, sondern auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie.
Grüne Leitmärkte sind zentral für die ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft. Der Koalitionsvertrag nennt erste Ansätze, bleibt aber in vielen Punkten zu vage. Es fehlen Verbindlichkeit, klare CO₂-Kriterien, verpflichtende Ausschreibungsstandards und die gezielte Einbindung innovativer Anbieter. Ohne eine schnelle, systematische Umsetzung mit Blick auf die nun verfügbaren Mittel des Sondervermögens droht das Potenzial ungenutzt zu bleiben. Die Transformation duldet keinen Aufschub, es braucht jetzt mutiges, entschlossenes Handeln.