Unser Energiesystem befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel: Es geht weg von der fossilen, zentralen Versorgung, in der Systemdienstleistungen von Großkraftwerken mit Anschluss an die Übertragungsnetze erbracht werden, und hin zu einer dezentralen Versorgung durch erneuerbare Erzeugungsanlagen und Speicher mit überwiegendem Anschluss an das Verteilnetz. Dies ist mit enormen Herausforderungen für das Verteilnetz verbunden und es bedarf neben dem dringend notwendigen Ausbau auch einer umfassenden Digitalisierung der Netze.
Nun muss man aber nicht ob der Kosten und der herausfordernden Aufgabe die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn es gibt gute Nachrichten. Die erste lautet: Die dezentral geprägte, zunehmend elektrifizierte Energiewelt bringt auch das Potenzial für enorme Kosteneinsparungen mit sich. Eines, das schon jetzt gehoben werden sollte, ist die systemdienliche Anwendung dezentraler Flexibilitäten. Werden Wärmepumpen, Elektroautos sowie mit Heimspeichern kombinierte Photovoltaikanlagen intelligent eingesetzt, können allein durch diese schon heute dreistellige Millionen-Beträge im Jahr an Systemkosten gespart werden. Eine vom ZVEI beauftragte Studie hat ergeben, dass eine Wärmepumpe mit dynamischen Tarifen und zeitvariablen Netzentgelten Systemkosten in Höhe von rund 350 Euro im Jahr gegenüber dem Betrieb mit gängigen Festpreistarifen einsparen kann. Und auch der Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher selbst profitiert.
Die zweite, noch bessere Nachricht in diesem Kontext: Zwei der wichtigsten Voraussetzungen für mehr Systemdienlichkeit wurden bereits geschaffen. Ab dem 1. Januar 2025 sind alle Energieversorger verpflichtet, dynamische Tarife einzuführen. Ab dem 1. April 2025 haben Kunden die Option, zusätzlich zur pauschalen Reduzierung der Netzentgelte auch zeitvariable Netzentgelte als Tarif zu wählen. Erste Anbieter haben angekündigt diese bereits zu Anfang 2025 anzubieten. Was fehlt also noch, damit der „Flex-Stein“ ins Rollen kommt?
Eine Frage der Akzeptanz
Es geht um Masse. Um die Kosten im Gesamtsystem spürbar zu senken, muss der Weg zu einem flächendeckenden Einsatz dynamischer Tarife und zeitvariabler Netzentgelte gelingen. Hier sind die Versorger und Netzbetreiber aufgerufen, stärker in die Offensive zu gehen. Dieser Einsatz steht allerdings auch auf der Verbraucherseite vor mehreren Hürden.
Erstens sind diese Tarifstrukturen aus Sicht privater Verbraucher neu. Viele Kundinnen und Kunden haben diese noch nicht als zu erwägende Option auf dem Schirm. Zweitens geben dynamische Tarife den Day-Ahead-Preis weiter, was bedeutet, es kann auch mal teurer werden. Dies ist ein starker Kontrast zu der gewohnten Preissicherheit bei gängigen Festpreisverträgen. Drittens herrscht, wie die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz gezeigt hat, eine große Skepsis gegenüber einem möglichen Souveränitätsverlust in den eigenen vier Wänden. Auch die Befürchtung von Komforteinbußen kann die Wechselbereitschaft hemmen.
Aber auch hier gibt es positive Signale, etwa mit Blick auf die Bekanntheit und Interesse. So unterstreicht eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey im Auftrag des ZVEI das wachsende Interesse der deutschen Bevölkerung an dynamischen Stromtarifen und variablen Netzentgelten. Jeder Zweite ist interessiert und jeder Dritte, unter denjenigen, die dynamische Tarife bereits kennen, zeigt sich wechselwillig. Diese positive Grundhaltung muss nun genutzt werden – indem der Wechsel so einfach wie möglich gestaltet und der bürokratische Aufwand beim Einbau steuerbarer Verbrauchseinheiten so gering wie nötig gehalten wird.
Mit Preisschwankungen umgehen
Die oben angesprochene Sorge vor ausufernden Kosten ist nachvollziehbar, denn mit den Tarifen ist man den Schwankungen nach unten wie nach oben ausgesetzt. Preisschwankungen an der Strombörse sind nicht per se ein Problem, nur eben für private Verbraucherinnen und Verbraucher schwer bis gar nicht zu kalkulieren. Abhilfe können Tarife schaffen, die über ein Absicherungsinstrument verfügen. Mit solchen Mechanismen werden Anreize zur Lastflexibilisierung und zum Energiesparen gesetzt, ohne dass dabei ganz auf Preissicherheit verzichtet werden muss. Hier liegt es an den Anbietern entsprechende Tarife zu entwickeln, Ideen zur Umsetzung liegen auf dem Tisch.
Noch ein Wort zur Souveränität in den eigenen vier Wänden: Mit dem Paragraf 14a EnWG haben Netzbetreiber als Ultima Ratio die Möglichkeit, Anlagen von außen anzusteuern und zu dimmen. Mit Blick auf die Netzstabilität ist dies nachvollziehbar und sinnvoll, allerdings ist es eben auch ein externer, für den jeweiligen Kunden hinzunehmender Eingriff. Die Akzeptanz für die Bereitstellung von Flexibilität steigt, wenn die Steuerung von haushaltsnahen Verbrauchseinheiten auf Freiwilligkeit beruht. Ausgehend von einfachen Preissignalen sollte jeder Haushalt – außerhalb von kritischen Netzzuständen – sein Nachfrageverhalten abhängig von einer eigenen Kosten-Nutzen-Betrachtung und unterstützt durch entsprechende Softwarelösungen selbst bestimmen.
Technologien skalieren
Natürlich können die dynamischen Tarife nicht im luftleeren Raum angeboten werden. Die technische Grundlage muss gründlich und systematisch gelegt werden. Von dieser ist der Rollout intelligenter Messsysteme die wichtigste Voraussetzung für einen flächendeckenden Einsatz. Nachdem dieser bereits 2016 mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW) beschlossen wurde und im Jahr 2023 mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) beschleunigt, entbürokratisiert und mit Blick auf Rechtssicherheit gestärkt werden sollte, steht der tatsächliche Einsatz der intelligenten Messsysteme nach Jahren des Wartens nun endlich bevor.
In Dänemark und Schweden waren im Jahr 2021 bereits in 100 Prozent der Haushalte digitale Zähler verbaut; in Estland, Spanien, Finnland, Italien, Luxemburg und Norwegen mindestens in 98 Prozent. Deutschland ist mit dem Smart-Meter-Gateway für eine sichere Kommunikationsinfrastruktur einen Sonderweg gegangen, der mehr Zeit in Anspruch nimmt. Dieser Weg hat aber auch dazu geführt, dass die höchsten Anforderungen an Daten- und Cybersicherheit nicht nur gesetzt, sondern auch erfüllt werden.
Fortschritt nur mit stabilen Rahmenbedingungen
Die weiter fortschreitende Elektrifizierung und die dafür notwendige Digitalisierung der Infrastrukturen bilden das Fundament für ein klimaneutrales Deutschland. Der Umbau des Energiesystems – und insbesondere unseres Stromnetzes – gleicht dabei der viel zitierten „Operation am offenen Herzen“. Der nächste Eingriff hat mit der Überarbeitung des Strommarktdesigns bereits begonnen. Klar ist, ohne einen stärkeren Fokus auf Flexibilität verschenken wir wertvolles Potenzial zur Dämpfung der volkswirtschaftlichen Kosten.
Die Technologie dafür haben wir. Den Willen sie einzusetzen auch. Was wir nun brauchen, ist den Mut zu starten und es den verschiedenen Stakeholdern zu überlassen rasch und unkompliziert loszulegen.