„Keine Nation kann diese Krise allein lösen“, sagte US-Präsident Biden anlässlich des gestrigen Leaders‘ Summit on Climate. Und die Staats- und Regierungschef*innen, einschließlich der Paria-Staaten der Klimapolitik, Bolsonaros Brasilien und Putins Russland, ließen keinen Zweifel daran, dass sie den Ernst der Lage erkannt haben. Während die kollektive Haltungsnote des Gipfels also eine klare Eins geworden ist, gehen die Verwüstungen, die der Klimawandel mit sich bringt, ungehindert weiter. Und sie werden an Schärfe zunehmen.
Der Klimawandel ist schon lange kein „Umweltproblem“ mehr, und Entscheider*innen in der Außen- und Sicherheitspolitik sind sich dessen bewusst. Ihnen ist klar, dass die weltweiten Auswirkungen von Klimawandel, Umweltzerstörung und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen eine wichtige Rolle im Verlauf von Konflikten zwischen Ethnien, bewaffneten Gruppen und sogar militärischen Streitkräften spielen.
Rhetorisch ist der Klimawandel also auch auf der sicherheitspolitischen Agenda ganz oben angekommen. Und doch fehlt es bislang weitgehend an Ansätzen, eine glaubwürdige Klimapolitik mit den Logiken der internationalen Sicherheitspolitik in Übereinstimmung zu bringen. So sehr eine ambitionierte Klimapolitik auch Konfliktprävention sein mag, braucht es auch Ansätze für Konflikte, die durch Extremwetterereignisse und Missernten verschlimmert werden. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI waren im Dezember 2020 zehn von 21 aktiven Uno-Friedensmissionen in Staaten im Einsatz, die als von der Klimakrise besonders betroffen gelten. Sechs der zehn personell größten Uno-Operationen liegen ebenfalls in solchen Ländern.
Ein besonders tragisches Beispiel ist der anhaltende Konflikt im nördlichen Äthiopien, einem der Dürre-anfälligsten Länder der Welt. Für die deutsche Außenpolitik ist das Horn von Afrika eine prioritäre Region. Seit 2019 besteht zudem die Reformpartnerschaft zwischen Deutschland und Äthiopien. Das ist sicherlich nicht zufällig so, denn wenn Äthiopien in Chaos versinkt, droht der Konflikt auf die Nachbarländer, insbesondere Eritrea und Sudan, überzuschwappen.
Langfristiger Frieden ist in einer Hungerkrise nicht möglich
Auch wenn der Konflikt politisch motiviert ist, lässt sich langfristig nur dann Frieden am Horn von Afrika schaffen, wenn trotz der Dürre die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung sichergesellt ist. Denn es besteht ein Zusammenhang zwischen Hunger einerseits und Kriminalität und der zunehmenden Rekrutierung von Kämpfern durch bewaffnete Gruppen andererseits. Gleichzeitig ist Frieden aber auch die Voraussetzung dafür, den Hunger in der Region zu besiegen.
Die Befriedung und Prävention von Konflikten können insbesondere in Afrika nur funktionieren, wenn intakte natürliche Ressourcen wie Land und Wasser die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherstellen. Daher sind Klimadaten sowie wissenschaftliche Erkenntnisse zu Land-, Nahrungs- und Wassersystemen und deren Wechselwirkungen mit der landwirtschaftlichen Produktion entscheidend für die nachhaltige Entwicklung und die Befriedung von Konflikten.
Über Ressortgrenzen hinweg arbeiten
Aktuell hinkt die Politik der Wissenschaft aber weit hinterher. Das logische und bekannte Paradigma, dass ein stabiles Klima, stabile Biodiversität, Ernährungssicherheit und Frieden zusammengehören, muss sich auch in entsprechenden politischen Maßnahmen und Programmen widerspiegeln. Dazu gehört die Kooperationen zwischen internationalen Organisationen, aber auch zwischen Regierungsressorts. Ressortübergreifende und interdisziplinäre Kooperationen bieten zahlreiche Ansätze für praktisches Handeln in den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen.
Die Wissenslücken beim Zusammenhang von Klimawandel und Ernährungssicherheit als Voraussetzung für eine vorausschauende Friedens- und Sicherheitsagenda will CGIAR Climate Security füllen. Die Consultative Group for International Agricultural Research (CGIAR), ein globaler Forschungsverbund mit über 11.000 Mitarbeiter*innen, hat sich der Armutsbekämpfung und Ernährungssicherheit verschrieben. Ein multidisziplinärer Ansatz soll dafür sorgen, dass wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse zu Klimawandel, Landnutzung und Nahrungsmittelsystemen für die Prävention und Befriedung von Konflikten herangezogen werden.
So hat CGIAR Methoden entwickelt, Überschwemmungen und Dürren vorauszusagen (Forecasting) und zu überwachen (Monitoring), um nationale Frühwarnsysteme und landwirtschaftliche Beratung zu verbessern. Auf diese Weise können Risiken vor Ort nicht nur besser eingeschätzt, sondern auch abgefedert werden. Gerade in fragilen Regionen und Konfliktgebieten kann so nicht nur die betroffene Bevölkerung auf dem Land, sondern auch die verantwortliche Regierung besser unterstützt werden.
Nachhaltige und resiliente Landwirtschaft stabilisiert
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine verstärkte Einbeziehung von Nahrungsmittelsystemen in die Bearbeitung von Krisen und Konflikten ebenso notwendig wie erfolgsversprechend ist. Dürre und Hunger bringen fragile oder schwache Staaten schnell an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Daher liegt es auf der Hand, Bauern zum Beipsiel am Horn von Afrika stärker in die Lage zu versetzen selbst vorzusorgen. Zum Beispiel durch nachhaltigere und resilientere Landwirtschaft, durch die Bereitstellung von Saatgut, das Trockenheit und Überschwemmungen widersteht, und über Versicherungen, die Ernteausfälle schnell und unbürokratisch ausgleichen.
Gleichzeitig gilt: Wer zu Hause gute Ausgangsbedingungen für ein gelingendes Leben vorfindet, wird sehr wahrscheinlich dortbleiben und sich nicht auf den Weg in wohlhabendere Länder, zum Beispiel in Europa, machen. Wenn Kleinbauern in Afrika nicht länger auf die finanzielle Unterstützung von Familienmitgliedern in wirtschaftlich stärkeren Teilen der Welt angewiesen sind, stehen auch die Chancen gut, dass viele Migranten in ihre Heimatländer zurückkehren.
Nun darf das Thema Klimasicherheit aber nicht zu einer rein westlich geprägten und wegen des Migrationsdrucks eigennützig motivierten Agenda werden. Die aktuelle Debatte, wie sie zuletzt auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz stattfand, spiegelt die globale Ordnung auf eindrückliche Weise wider. Die Schauplätze der schlimmsten Klimafolgen sind in erster Linie Entwicklungsländer, aber über Klimasicherheit sprechen vor allem westliche Staaten. Es ist an der Zeit, Stimmen aus dem Globalen Süden gleichberechtigt einzubeziehen, damit die internationale Zusammenarbeit zum Thema Klima und Sicherheit gelingt.
Die Ankündigungen beim gestrigen Klimagipfel sind eine gute Voraussetzung dafür, eine vorausschauende Klimapolitik zu einer Frage mit weitreichenden strategischen Konsequenzen zu machen. Die Klimapolitik muss ein fester Bestandteil der außen- und sicherheitspolitischen Agenda werden, damit bewaffnete Gewalt nicht zur Antwort auf den Klimawandel wird. Und nur wenn die Klimaziele der Nationen dramatisch verschärft werden, haben nicht nur der Planet, sondern auch der Frieden eine Chance.
Dr. Sabrina Schulz ist ab 1. Mai geschäftsführende Direktorin des SDSN Germany.