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Energie & Klima

Standpunkte Smart Grids: Von Pilotprojekten zur Energiewende

Carlo Lazar, Direktor für Sales und Marketing bei Aidon, zuständig für Europa, Mittlerer Osten und Afrika
Carlo Lazar, Direktor für Sales und Marketing bei Aidon, zuständig für Europa, Mittlerer Osten und Afrika Foto: Direktor für Sales und Marketing bei Aidon, zuständig für Europa, Mittlerer Osten und Afrika Foto: Aidon

Bisher beschränken sich Smart Grids hierzulande meist auf Pilotprojekte. Der flächendeckende Einsatz stockt, auch, weil strenge Sicherheitsanforderungen und ein Gerichtsurteil um intelligente Messsysteme die Umsetzung verzögert hatten. Das gefährdet die Klimaziele und – ein brisanter Aspekt – die Netzstabilität, so Carlo Lazar. Der Smart-Grid-Experte bei Aidon erklärt, welche regulatorischen, finanziellen und strukturellen Hindernisse einer Umsetzung im Weg stehen.

von Carlo Lazar

veröffentlicht am 29.01.2025

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Die Energiewende ist eines der ambitioniertesten Projekte unserer Zeit. Ziel ist es, bis 2045 eine CO2-neutrale Energieversorgung zu schaffen, die auf erneuerbaren Energien basiert. Doch mit dieser Vision wachsen auch die Herausforderungen – insbesondere für die Stromnetze. Um die Integration dezentraler erneuerbarer Energien zu ermöglichen und gleichzeitig die steigende Nachfrage durch Elektroautos, Wärmepumpen und Speicher zu bewältigen, sind Smart Grids unverzichtbar.

Smart Grids ermöglichen eine dynamische Steuerung der Netze. Sie schaffen Transparenz über Stromflüsse in Echtzeit und erlauben die flexible Steuerung von Verbrauchern und Erzeugungsanlagen wie Photovoltaik, um Lastspitzen auszugleichen. In Deutschland wurden zahlreiche Pilotprojekte initiiert, die diese Technologie testen und ihre Vorteile demonstrieren.

Doch trotz der technologischen Reife und vielversprechender Ergebnisse stockt die flächendeckende Umsetzung. Der Übergang von der Pilotphase zur praktischen Anwendung im großen Maßstab bleibt eine zentrale Hürde – und diese Inaktivität birgt Risiken für die Netzstabilität und die Klimaziele des Landes.

Die regulatorische Dringlichkeit: Paragraf 14a Energiewirtschaftsgesetz

Ein entscheidender Treiber für die Einführung von Smart Grids ist Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Diese Regelung verpflichtet Verteilnetzbetreiber (VNB) bis Ende 2026 dazu, steuerbare Verbrauchseinrichtungen wie Wallboxen für Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen intelligent in ihre Netze zu integrieren. Darüber hinaus sieht Paragraf 14a auch die Durchführung von 1-Minuten-Messungen vor, sowohl im Umspannwerk als auch beim Privatkunden. Das ist essenziell, um die steigende Elektrifizierung und volatile Einspeisungen aus erneuerbaren Energien zu bewältigen.

Obwohl Paragraf 14a klare Anforderungen definiert, bleibt die Umsetzung zögerlich. Viele Netzbetreiber warten auf bessere finanzielle Rahmenbedingungen, regulatorische Klarheit oder Referenzen aus anderen Projekten. Staatlicherseits stehen diesbezüglich keine Sanktionen im Raum. Daher werden Investitionen aufgeschoben.

Hindernisse: Warum der Übergang stockt

Trotz vielversprechender Pilotprojekte stehen Netzbetreiber vor mehreren Hürden, die den Übergang zur großflächigen Einführung von Smart Grids verzögern:

Finanzielle Unsicherheiten: Netzbetreiber haben oft keinen direkten finanziellen Anreiz, in Smart Grids zu investieren. Die Kosten für die Digitalisierung der Netze sind erheblich, während die Einsparungen und Effizienzgewinne oft erst langfristig sichtbar werden.

Regulatorische Komplexität: Hohe Sicherheitsanforderungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI), dessen umstrittene und dann durch ein Gerichtsurteil 2021 gestoppte Markterklärung, sowie das neue Gesetz (2023) zum Neustart des Smart-Meter-Rollouts haben den Planungsprozess beeinflusst. Netzbetreiber zögerten, weil immer wieder Anpassungen nötig wurden.

Technologische Skepsis: Obwohl die Technologie ausgereift ist, haben viele Netzbetreiber Vorbehalte gegenüber neuen Systemen. Viele wünschen sich weitere Langzeitergebnisse aus bestehenden Projekten, bevor sie eigene Investitionen tätigen.

Fehlende Zusammenarbeit: In Ländern wie Schweden und Finnland hat sich die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie und Wissenschaft als Schlüsselfaktor erwiesen. In Deutschland fehlt eine koordinierte Strategie, die alle Akteure an einen Tisch bringt.

Ortsnetzstationen: Ein Schlüssel zur Netzautomatisierung

Ortsnetzstationen übernehmen die Verteilung des Stroms von der Mittelspannungsebene in die Niederspannungsnetze. Traditionell wurden diese Stationen weitgehend passiv betrieben, ohne Möglichkeit zur dynamischen Steuerung oder Überwachung. Doch mit der steigenden Integration von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen und dezentralen erneuerbaren Energieanlagen stoßen diese starren Strukturen an ihre Grenzen.

Digitalisierte Ortsnetzstationen lösen diese Situation durch die Echtzeitüberwachung der Stromflüsse, einschließlich der präzisen Messung von Phasenströmen, Spannungen und Blindleistung, wodurch Netzbetreiber den Netzzustand detailliert erfassen können. Zudem erlaubt das Power-Quality-Management die Erkennung von Oberschwingungen, Spannungsabfällen und Netzverschmutzungen. Weitere Vorteile bieten die Integration zusätzlicher Sensorik für Temperatur, Feuchtigkeit oder Türkontakte sowie die Fernsteuerung und Fernwartung durch Netzbetreiber.

Pilotprojekte wie in Haßfurt zeigen, dass solche Technologien nicht nur theoretisch funktionieren, sondern auch in der Praxis erhebliche Vorteile bieten. So konnte das Stadtwerk Haßfurt nicht nur Netzengpässe entschärfen, sondern auch Kapazitätsreserven in bestehenden Kabeln identifizieren, die zuvor unbekannt waren. Die Automatisierung und Digitalisierung der Ortsnetzstationen ist somit der Schlüssel, um das Netz der Zukunft flexibel, stabil und nachhaltig zu gestalten.

Regulatorische Hebel: Was die Politik tun kann

Die Politik spielt eine entscheidende Rolle, um den Übergang von Pilotprojekten zur breiten Umsetzung zu beschleunigen:

Förderung vereinfachter Genehmigungsprozesse: Bürokratische Hürden müssen abgebaut werden, um die Einführung smarter Technologien zu beschleunigen.

Klarheit in der Regulierung: Einheitliche Standards und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen Planungssicherheit und fördern Investitionen.

Förderung von Kooperationen: Die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie und Wissenschaft sollte intensiviert werden, um Innovationen schneller zur Marktreife zu verhelfen.

Ein Blick nach Skandinavien

Die skandinavischen Länder sind Vorreiter bei der Einführung von Smart Grids. Hier wurden nicht nur zahlreiche Pilotprojekte erfolgreich umgesetzt, sondern auch Strategien entwickelt, um die Technologie flächendeckend einzuführen.

In Finnland beispielsweise nutzen Netzbetreiber Smart Grids, um die Integration erneuerbarer Energien zu erleichtern und Netzengpässe zu vermeiden. In Schweden greifen Netzbetreiber beispielsweise auf smarte Technologien zurück, um Elektroautos als mobile Speicher zu integrieren und Lastspitzen zu reduzieren.

Deutschland kann von diesen Erfahrungen profitieren. Die enge Zusammenarbeit zwischen allen Stakeholdern und die klare politische Unterstützung haben sich in Skandinavien als entscheidende Erfolgsfaktoren erwiesen.

Smart Grids sind keine Option, sondern Notwendigkeit

Die Digitalisierung der Stromnetze ist nicht mehr nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit. Die Klimaziele können nur erreicht werden, wenn wir die Brücke zwischen Pilotprojekten und der flächendeckenden Umsetzung schlagen.

Die Technologie ist bereit – jetzt braucht es Entschlossenheit und Zusammenarbeit, um sie einzusetzen. Die Energiewende ist eine Chance, die nicht ungenutzt bleiben darf.

Das finnische Unternehmen Aidon ist Anbieter von Lösungen für die Verbrauchsmessung sowie von intelligenten Stromnetzen für Energieverteilnetzbetreiber.

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