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Energie & Klima

Standpunkte Soziale Nachhaltigkeit muss Auktionskriterium werden

Bengt Bergt, stellvertretender Sprecher für Klimaschutz und Energie der SPD-Bundestagsfraktion
Bengt Bergt, stellvertretender Sprecher für Klimaschutz und Energie der SPD-Bundestagsfraktion Foto: Pepe Lange

Die EU-Kommission und der deutsche Wirtschaftsminister gehen industriepolitisch endlich voran, lobt der SPD-Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt. Die Vorschläge können aber nur ein erster Schritt sein und müssten dringend konkretisiert werden, schreibt er im Standpunkt. Nur in Verbindung mit dem Kriterium der sozialen Nachhaltigkeit ließen sich Klimaschutz UND Wertschöpfung in Deutschland und Europa stärken.

von Bengt Bergt

veröffentlicht am 30.10.2023

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Das Wind-Paket der EU ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Der CO2-Footprint als Zuschlagskriterium bei Ausschreibungen soll kommen. Die Resilienz von Windenergie-Unternehmen und Zulieferern zu stärken und europäischen Produktionskapazitäten zu sichern, ist dringend nötig. Der zunehmende Druck im internationalen Wettbewerb und die Risiken im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte sind nur zwei von einigen Herausforderungen. Die EU geht voran, endlich ein Level Playing Field zu schaffen. Der von mir schon lang angemahnte Realismus ist eingekehrt.

Die Vorschläge der EU können aber nur ein erster Schritt sein. Noch deutlicher in den Fokus genommen werden muss die Standortsicherung. Für die Produktion braucht es nicht nur Flächen und Hallen – sondern vor allem die Menschen, die in der Branche arbeiten. Für voruntersuchte Offshore-Flächen haben wir eine Ausbildungs-Komponente im Wind-auf-See-Gesetz verankert, dafür hatte ich lange gekämpft. Jetzt muss soziale Nachhaltigkeit für alle On- und Offshore-Flächen ein Ausschreibungsbestandteil mit Tragweite werden. Unter sozialer Nachhaltigkeit versteht man Arbeitsbedingungen, die sicher, auskömmlich sowie fair sind und Teilhabe ermöglichen. Die Zeit ist reif. Ein Standort mit Wertschöpfung in Europa und sozial nachhaltigen Arbeitsbedingungen muss Vorteile gegenüber anderen Standorten auf der Welt haben. 

Allein auf die CO2-Footprint-Komponente zu setzen, birgt eine Falltür. Ein Beispiel: Ein Unternehmen aus Asien stellt mittels „grünem“ Gussstahl aus Wasserkraft Zulieferteile her und liefert diese nach Europa. Der CO2-Footprint dieser Teile ist möglicherweise besser als von deutschem Stahl aus dem Elektrohochofen – trotz des langen Lieferweges. Nur in Verbindung mit dem Kriterium soziale Nachhaltigkeit können wir den Klimaschutz UND die Wertschöpfung in Deutschland und Europa stärken.

Ein Level Playing Field ist für den Investitionsstandort EU unerlässlich. Geld, was zum Beispiel in Asien investiert wird, ist für die europäische Wirtschaft weit weg und schöpft Wert in Asien. Investitionen, die hier getätigt werden, bleiben im europäischen Markt, werden versteuert, ausgegeben und wieder investiert - es hilft den Europäerinnen und Europäern die Transformation zu leben. Eine Gebotskomponente, die Investitionen in Transformationstechnologien und Systemintegration bei europäischen Ausschreibungen vorsieht, ist hier ein Schlüssel. Wer beim Gebot auf den Windpark also den netzdienlichen Elektrolyseur gleich mitplant, hat den Trumpf in der Hand.

Parallel zum Wind-Paket der EU hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Industriestrategie vorgelegt. Es ist erkennbar, dass der Minister die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wind-Industrie stärken will. Das ist gut. Die Vorschläge müssen aber dringend konkretisiert werden. Ein soziales Nachhaltigkeits-Kriterium: Fehlanzeige. Auch in der Industriestrategie müssen beide Kriterien zusammengedacht werden – sonst wird aus dem gewünschten großen Schritt für die heimische Industrie nur ein kleiner Stolperer.

Bieterschlachten und Preisrallyes ließen sich vermeiden 

In der Branche gibt es die Sorge, die hohen Zuschläge für die nicht voruntersuchten Offshore-Flächen könnten die Realisierungswahrscheinlichkeit von Projekten beeinträchtigen. Diese Gefahr sehe ich nicht. Die Player, die den Zuschlag erhalten haben, haben offensichtlich eigene, sehr CO2-trächtige Infrastrukturen, die zumindest durch Teile ihrer Offshore-Flächen dekarbonisiert werden können – dadurch ergeben sich Flexibilitäten, die im zukünftigen Energiesystem ein großes Asset sein werden. Das Realisierungsinteresse ist also intrinsisch. Und Flexibilität, also Baseload, PtX, E-Fuels, etc. und die Wertschöpfungsprozesse, die sich anschließen, bilden schlicht andere Business Cases als der Stromverkauf.

Trotzdem sollten wir Maßnahmen ergreifen, um Bieterschlachten und Preisrallyes, wie wir sie zuletzt gesehen haben, zu vermeiden. Dazu gehört die Limitierung auf einen Bieter pro Fläche pro Runde. Somit wäre ausgeschlossen, dass ein Bieter die Preise für viele Flächen in die Höhe treibt. Zudem steigt die Akteursvielfalt. An dieser Stelle stimme ich den Forderungen der Offshore-Windparkbetreiber ausdrücklich zu.

Auch die Forderung, Mittel in Hafeninfrastrukturen zu lenken, ist unterstützenswert. Der Offshore-Ausbau muss flankiert werden mit einer Systemintegration: An den Häfen kommen die meisten Windenergie-Komponenten an, gleichzeitig ist der Offshore-Strom „Motor“ für Wasserstoff-Infrastruktur. Investitionen in Hafeninfrastrukturen laufen naturgemäß schleppend, denn ein Hafen investiert erst, wenn die Aufträge kommen und die Investition decken. Es muss aber jetzt skaliert werden, damit Realisierungsrisiken durch fehlende Infrastrukturen nicht zu Gebotsrückhaltung oder gar zu Ausweichverhalten auf andere, sehr gut vorbereitete Häfen in unseren Nachbarländern führen.

Das wäre zwar gut für die Niederlande oder Dänemark - in diesem Falle aber nicht für die maritime Wirtschaft hierzulande. Um notwendige und rechtzeitige Investitionen zu ermöglichen, sollten die Umlagen, die den Netzentgelten, dem Naturschutz und der Fischerei zugutekommen, um die Komponente „Landseitige Infrastrukturen und Installations- und Wartungsfahrzeuge“ erweitert werden. 

Ebenfalls müssen die aktuellen Lieferketten- und Marktverwerfungen berücksichtigt werden - bei real um ein bis zwei Jahre verlängerten Lieferfristen für Hauptkomponenten und Halbzeuge müssen die Realisierungsfristen um den gleichen Zeitraum erhöht werden. Dafür müssen die Pönalen kräftig nach oben gezogen werden. Lieber ein Jahr Realisierung verlieren, als eine Projektrückgabe nach drei Jahren und Neuausschreibung. Das kostet mindestens fünf Jahre. Das ist pragmatisch und sichert Projekte.

Unsere Windenergiebranche ist weltweit Technologie- und Marktführer - das soll auch so bleiben. Das gibt 120.000 Menschen und ihren Familien Lohn und Brot in Deutschland. Deswegen heißt es jetzt: Nicht kleckern, sondern klotzen! Das gilt für die EU und das gilt auch für die deutsche Industriestrategie. Eine starke Windindustrie stärkt die Lieferketten und die gesamtdeutsche Industrie und zieht halb Europa mit.

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