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Energie & Klima

Standpunkte Spieltheoretisches Experiment mit industriepolitischem Kollateralschaden

Karina Würtz, Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie
Karina Würtz, Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie Foto: Foto: Kathrin Krause

Mit der Maximierung der Staatseinnahmen als alleinigem Ziel der Offshore-Windausschreibungen wiederholt Deutschland die Fehler der Vergangenheit bei der Versteigerung von UMTS-Lizenzen, warnt Geschäftsführerin Karina Würtz von der Stiftung Offshore-Windenergie. Der Gesetzgeber nehme die massiven industriepolitischen Nachteile des Auktionsdesigns offenbar in Kauf und riskiere seine Ausbauziele.

von Karina Würtz

veröffentlicht am 10.01.2024

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Am heutigen Mittwoch soll dem Bundeskabinett der erste Entwurf eines Erfahrungsberichts zum Windenergie-auf-See-Gesetz 2023 vorgelegt werden. Das novellierte Gesetz sieht ein neues Auktionsregime vor, nach dem im Sommer erstmals Flächen in Nord- und Ostsee versteigert wurden. Anders als in der Vergangenheit lag der Fokus primär darauf, den Erlös für den Staat zu maximieren. Ergebnis: Einnahmen in Höhe von 13,4 Milliarden Euro. Zugleich stockt der Offshore-Windausbau weltweit, Projekte werden unter Inkaufnahme teils hoher Abschreibungen gestoppt, die Lieferkette steuert sehenden Auges auf den „perfekten Sturm“ zu. Wie passt das zusammen? 

Über das neue Ausschreibungsregime für nicht durch den Staat voruntersuchte Flächen wurden vier Flächen mit sieben Gigawatt zu installierender Leistung an TotalEnergies und BP gegen eine Zahlung von 12,6 Mrd. € vergeben (800 Millionen wurden über ein anderes Regime erlöst). 90 Prozent der Summe sind über die gesamte Lebensdauer der Offshore-Windparks zu leisten und sollen die Netzentgelte reduzieren. Zehn Prozent sind bereits jetzt fällig und sollen hälftig an die Bundesministerien für Umwelt (für Meeresschutzzwecke) und für Landwirtschaft (zur Unterstützung des darbenden deutschen Fischereisektors) gehen, letzteres nun wohl auch anteilig an die Agrar-Lobby

Kein Grund zum Jubeln – warnt auch die Europäische Kommission

In Berlin hat diese Summe beinahe ekstatischen Jubel ausgelöst. Dieser Jubel verkennt jedoch leider vollständig die industriepolitischen Kollateralschäden für die deutsche Lieferkette und für die Stromkonsumenten. Denn diese hohe „Flächenpacht“ veranderthalbfacht die Baukosten eines Offshore-Windparks. Diese massiven Mehrkosten müssen zurückverdient werden, um die Rentabilitätsanforderungen des Projektes nicht zu gefährden. Wenn das Projekt nicht ausreichend rentabel ist, wird es schlicht nicht gebaut werden, auch wenn damit Abschreibungen in Millionen- bis Milliardenhöhe verbunden sind.

International gab es dafür im vergangenen Jahr genügend Beispiele – ob in den USA oder Großbritannien. Mit den mehrjährigen Projektplanungs- und Bauzeiten im Offshore-Bereich bedeutet dies letztlich, dass zukünftig Projekte gleich im Gigawatt-Bereich im Risiko stehen, nicht mehr rechtzeitig realisiert zu werden. So droht Deutschland seine Klimaziele zu verpassen. Mit den Sorgen bezüglich der Auswirkungen eines rein preisbezogenen Bieterwettstreits ist die deutsche Offshore-Windbranche nicht allein. Die Europäische Kommission teilt diese in ihrem europäischen Windkraft-Aktionsplan nahezu vollumfänglich. 

Premiumpreise für Stromkunden und Druck auf die Lieferkette 

Es sollte klar sein, dass die Bewertung des Ausstiegsszenarios und der damit verbundenen Kosten immer Gegenstand der ganzheitlichen Projektbewertung von Entwicklern und Betreibern ist. Das nennt man eine Realoption, deren Bewertung einer schlichten Mechanik folgt. Die Rentabilität beziehungsweise Renditeanforderungen an ein Offshore-Wind-Projekt sind so Dreh- und Angelpunkt der Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass der Park gegen Ende der 2020er Jahre tatsächlich gebaut wird. Aber wie kann man die Rentabilität des Projektes erhöhen, insbesondere im Angesicht der hohen Auktionszahlungen? Dazu gibt es zwei Wege, die zu industriepolitischen Kollateralschäden führen: 

1. Die durch diese Offshore-Windparks zu produzierenden Strommengen müssen zu Premiumpreisen vermarktet werden. Die Existenz eines Börsenstrompreises sollte hierbei niemanden täuschen: die Strommengen der neuen Offshore-Windparks werden nämlich in der Regel nicht über den kurzfristigen Spotmarkt an der Börse vermarktet, wo der Erzeuger keinen Einfluss auf den gemäß Merit Order gebildeten Strompreis hat, sondern über Power Purchase Agreements (PPAs), bei denen es durchaus erhebliches Differenzierungspotenzial gibt. Hier liegt der Hebel für die Premiumvermarktung. Mit günstigem Industriestrom aus Offshore-Windparks muss also keiner rechnen.

Übrigens: Ein Großteil der Finanzierungskosten bei den Erneuerbaren ließe sich durch ein CfD-Auktionsverfahren einsparen. Wenn die Politik also günstigen Industriestrom als sinnvoll erachtet, sollte sich auch die FDP endlich dazu durchringen, zum Wohle des Standortes Deutschland schlicht Flächen via wettbewerblicher CfD-Auktionen zu vermarkten. 

2. Ein weiterer, unmittelbarer industriepolitischer Kollateralschaden erwächst noch vor Baubeginn. Hier führt der „Zwang zum Zurückverdienen“ dazu, dass während der Vertragsverhandlungen massiv Druck auf die Lieferkette ausgeübt werden muss. Die Hersteller von Turbinen, Kabeln und Fundamenten sowie ein ganzer Strauß an weiteren Lieferanten, Sublieferanten und Dienstleistern sehen sich jetzt für die Jahre, in denen die Liefer- und Serviceverträge dieser Projekte verhandelt werden müssen, einer enorm konzentrierten Marktmacht auf der anderen Seite des Verhandlungstisches gegenüber. Diese wird dadurch vergrößert, dass im Zweifel Komponenten auch einfach aus China bezogen werden können – zu staatlich subventionierten Niedrigpreisen. 

Das ist das Gegenteil eines „Verkäufermarktes“, wie manch einer vielleicht vermuten würde. Das Phänomen, was hieraus resultiert, hat sich international bereits als „Race to the bottom“ im Wind-Sprachgebrauch etabliert und führt zu den bekannten, eigentlich doch politisch absolut unerwünschten Phänomenen: Turbinenhersteller in tiefroten Zahlen, Werksschließungen und -verlagerungen ins Ausland, geringe bis nicht vorhandene Investitionsneigung im Inland. Oder haben Sie in der letzten Zeit etwas von einer sektorrelevanten größeren Investition in neue Werke bei uns im Land gehört? Wir auch nicht. Stattdessen: Neuansiedlungen in Dänemark, den Niederlanden, Polen, Großbritannien.

Hier kommt verschärfend hinzu, dass die Energiewende in der deutschen Politik bisher viel zu wenig als industriepolitisches Megaprojekt betrachtet wurde. Oder schlimmer, man geht nach wie vor davon aus, dass es ausreichen würde, Ausbauziele in Gesetzestexte zu gießen, damit die Investitionsbonanza dann durch die unsichtbare Hand des Marktes von allein startet. 

Wer so denkt, übersieht, dass Wirtschaftswachstum in einem Sektor in der Regel nicht exponentiell verläuft, sondern graduell. Dies muss insbesondere in einem so kapitalintensiven Sektor wie der Offshore-Windenergie der Fall sein, welche durch die schieren Dimensionen ihrer Komponenten auf erhebliche Zusatzinvestitionen in schwerlastfähige Infrastruktur (auf Werften, in Seehäfen, bei den Großkomponentenherstellern) angewiesen ist, die bisher überhaupt noch nicht erfolgt sind.  

Zusätzlich hält sich auch der Banken- und Finanzsektor mit Investitionen in die Lieferkette sehr zurück; auch hier wird nämlich das Risiko eines ‚stranded investments‘ angesichts der fatalen Gemengelage aus auktionsdesign-induziertem massiven Kostendruck in Kombination mit galoppierender Inflation und hohen Energiepreisen dergestalt gedeutet, dass es leider zu wahrscheinlich ist, dass die Betreiber ihre Vergabeentscheidungen am Ende des Tages zugunsten chinesischer Lieferanten fällen. Das führt gerade zur berüchtigten selbsterfüllenden Prophezeiung, da für bestimmte Lieferzeiträume auch heute schon Mengen fehlen.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, unterstützt die chinesische Nationalbank ihre Lieferanten auch dahingehend, dass sie günstige Zahlungsbedingungen anbieten können (wobei der Einsatz von attraktiven Finanzierungsoptionen kein Alleinstellungsmerkmal der Chinesen ist). Leider wurde es bisher auch versäumt, ein KfW-Programm „Offshore-Lieferkette“ aufzulegen, welches dringend benötigtes Fremdkapital, Bürgschaften und Mezzanine-Kapital zur Verfügung stellt, um zumindest temporär die frühen Wagnis-Risiken abzufedern und damit für dringend benötigtes Vertrauen in den Markt zu sorgen. Ganz abgesehen davon, dass neue Werke, etwa für Fundamente oder Turbinen, auch schnell einen hohen dreistelligen Millionenbetrag erforderlich machen, was nicht nur die (in der Regel eigenkapitalschwachen) Hersteller überfordert, sondern auch viele kommerzielle Banken.

Geister der Vergangenheit: UMTS-Lizenz-Auktionen als warnendes Beispiel

Wollte man das alles? Da bin ich überfragt. Hätte man das vorher wissen können? Selbstverständlich. Nicht nur wurde im Gesetzgebungsverfahren die massive Kritik der Branche schlicht nicht berücksichtigt, die vor diesen Effekten warnte. Schlimmer noch: Hier wird gerade ein abschreckender und auch heute noch in fast jeder Region in Deutschland spürbarer Fehler bei öffentlichen Ausschreibungen wiederholt, der bekanntermaßen in der jüngeren wirtschaftlichen Vergangenheit der Bundesrepublik schon einmal gemacht wurde.

Insbesondere die Ausschreibungen der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000 haben zwar zu einer Maximierung der Einnahmen für den Staat geführt, aber gleichzeitig auch zu einer der schlechtesten Netzabdeckungen in ganz Europa. Andere Länder hatten andere Prioritäten gesetzt und Ausschreibungssysteme implementiert, welche mit zwar deutlich geringeren Einnahmen, aber auch deutlich schnellerem Netzausbau in besserer Qualität einhergingen.

Kurzfristige Maßnahmen zur Korrektur der dringendsten Fehler

Solange sich keine politische Mehrheit für eine Generalüberholung des Ausschreibungssystems findet, sollte(n) kurzfristig wenigstens ein Flächen-Deckel pro Bieter eingeführt werden, die Ausschreibungen nacheinander und nicht zeitgleich stattfinden, fünf bis zehn Prozent der Erlöse zumindest temporär an das Verkehrsministerium gehen zum Zwecke des Auf- und Ausbaus der Hafeninfrastruktur und die KfW ein flankierendes Finanzierungsprogramm für eine resiliente Lieferkette der Energiewende aufsetzen. 

Dies würde dem aktuellen System zumindest einige seiner schlimmsten Schärfen nehmen. Langfristig sollte über die Einführung von CfD-Verfahren nach britischem Vorbild nachgedacht werden, da dieses System mit deutlich geringeren Finanzierungs- und damit Stromgestehungskosten einhergehen würde. Ein jubilierendes „Weiter so“ widerspricht hingegen allem, was wir wissen und gelernt haben. Spätestens 2025 braucht es bessere Antworten!

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