Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet zügig voran: letztes Jahr deckten sie schon mehr als die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs. Mit einem Zubau von 14 Gigawatt im Jahr 2023 entfaltet die Solarenergie eine besonders hohe Dynamik, die sich im Jahr 2024 unvermindert fortsetzt. Rund 20 Prozent davon erhalten die gleitende Marktprämie und etwa 10 Prozent gar keine Förderung. Rund 70 Prozent der neu installierten PV-Leistung entfällt auf Dachanlagen kleiner als 100 Kilowatt, die eine feste Einspeisevergütung erhalten. Stand Juli 2024 dürften so rund 60 GW PV-Leistung dem Einspeisetarif unterliegen.
Blind für Strompreise
Rund 10 Prozent der neuen Leistung in der Einspeisevergütung sind Volleinspeiser, während rund 90 Prozent einen Teil des erzeugten Stroms zur Deckung des Eigenverbrauchs nutzen. Insbesondere bei Einfamilienhäusern werden bei Eigenverbrauchskonzepten in der Regel Hausspeicher eingesetzt; so werden derzeit rund 80 Prozent aller neuen PV-Anlagen mit einer Batterie ausgestattet.
Die Erzeugung von Strom aus Sonnenenergie kostet im Betrieb nichts. Daher ist es sinnvoll, dass die Anlagen immer so viel Strom wie möglich produzieren – außer wenn der Börsenpreis unter null fällt. Bei negativen Preisen verursacht die Stromproduktion volkswirtschaftliche Kosten, so dass es sinnvoll ist, die PV-Anlage abzuregeln.
Im Gegensatz zu thermischen Kraftwerken können Photovoltaik-Anlagen im Prinzip einfach, schnell und ohne Kosten ab- und zugeschaltet werden. Solaranlagen außerhalb der Förderung tun genau dies, und auch Anlagen in der gleitenden Marktprämie haben einen Anreiz abzuschalten, sobald der Strompreis deutlich negativ wird.
Anlagen im Einspeisetarif zeigen ein solches Verhalten jedoch in der Regel nicht – sie produzieren auch bei negativen Börsenpreisen weiter. Dies liegt auch an den Anreizen der Vergütung: Volleinspeiser erhalten immer den gleichen Einspeisetarif je eingespeister Kilowattstunde, haben also grundsätzlich immer einen Anreiz, in jeder Situation Strom zu erzeugen – unabhängig vom Börsenpreis.
Auch Eigenverbrauchsanlagen haben in aller Regel einen Anreiz zur Stromerzeugung bei negativen Strompreisen, weil sie entweder den Einspeisetarif erhalten (wenn sie einspeisen) oder den Endkunden-Strompreis ersetzen (wenn sie eigenen Verbrauch decken). Außer im Fall von dynamischen Stromtarifen ist auch der Endkundenpreis unabhängig vom aktuellen Börsenpreis und bleibt in diesen Zeiten positiv. Selbst bei Kunden mit dynamischen Stromtarifen bewirken Netzentgelte, Abgaben und Steuern, dass der effektive Strompreis selbst bei stark negativen Börsenpreisen nicht unter null fällt. Einspeisevergütungs-Anlagen sind also blind für Marktpreise.
Operative Risiken durch Stromüberschuss
Mit dem starken Ausbau von Solaranlagen, die nicht auf Börsenpreise reagieren, steigt die Gefahr von Stunden mit einem Überschuss an Strom. Gemeint ist damit eine Situation, in denen das Stromangebot auf der Day-Ahead-Auktion die Stromnachfrage übersteigt, selbst wenn der Preis auf den niedrigsten erlaubten Preis von -500 Euro pro Megawattstunde fällt, und diese fehlende Markträumung sich dann auf dem Intraday-Markt fortsetzt, wo der Preis bis auf -9999 €/MWh fallen kann.
Bisher ist es in Deutschland nur einmal vorgekommen, dass der Day-Ahead-Preis auf -500 €/MWh gefallen ist: am 2. Juli 2023 um 14:00 Uhr. Einer Stromerzeugung von 55 GW – davon 27 GW Solar, 14 GW Wind, 4 GW Biogas und 3 GW Braunkohle – stand ein Stromverbrauch von 43 GW gegenüber. Eine Markträumung gelang damals jedoch noch, indem die Differenz exportiert oder gespeichert wurde. Mit zunehmender ungeregelter Solarleistung ist ein Stromüberschuss ohne Markträumung bereits im Frühsommer 2025 nicht auszuschließen, zum Beispiel bei sonnigem und windigem Wetter über Ostern oder Pfingsten.
Was passiert, wenn der Markt nicht räumt? In einem solchen Fall würden die Übertragungsnetzbetreiber zunächst Regelleistung aktivieren, von der in Deutschland allerdings nur circa 3 GW vorgehalten werden. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um Stromeinspeisung und -entnahme auszugleichen, würde die Frequenz im europäischen Verbundnetz ansteigen, was die Aktivierung von Primärregelleistung zur Folge hätte, von der europaweit 3 GW vorgehalten werden.
Wenn die Übertragungsnetzbetreiber diese regulären Maßnahmen ausgeschöpft haben und die Netzfrequenz trotzdem weiter ansteigt, werden durch die Überfrequenz automatisch Stromerzeuger vom Netz getrennt. Parallel dazu müssten die Übertragungsnetzbetreiber mit Notfallmaßnahmen reagieren, gegebenenfalls auch mit der Abschaltung solcher Verteilnetze, aus denen viel Strom rückgespeist wird. Diese Situation bedeutet zwar keineswegs automatisch einen flächendeckenden Ausfall des Stromsystems (Blackout), jedoch steigt die Gefahr einer schwerwiegenden Störung in einem derart gestressten System stark an. Dies muss unbedingt vermieden werden.
Wirtschaftliche Kosten
Neben den Risiken für die Systemsicherheit verursacht die Stromerzeugung zu negativen Börsenpreisen volkswirtschaftliche Kosten. Ein immer größerer Anteil des Solarstroms wird in Zeiten negativer Preise erzeugt – im laufenden Jahr sind es bereits 20 Prozent.
Die volkswirtschaftlichen Kosten werden bei geförderten Anlagen als EEG-Kosten sichtbar. Nach unserer Schätzung dürften die zusätzlichen Kosten durch die fehlende Abregelung von Solaranlagen in diesem Jahr bei circa 200 Millionen € liegen. Sollte es zu stärkeren negativen Preisen kommen, könnten die Kosten schnell noch höher ausfallen: So hat die einzelne Stunde von -500 €/MWh im letzten Jahr allein durch weiter einspeisende Solaranlagen zu Kosten von rund 14 Millionen € auf dem EEG-Konto geführt.
Noch gravierendere Kosten fallen an, wenn der Markt tatsächlich nicht räumt. Die Verkaufsgebote der ÜNB, die die Erzeugung aus dem Einspeisetarif an der Börse verkaufen, werden dann nur Pro Rata zugeteilt, so dass ein Teil davon als Unterdeckung in der Ausgleichsenergie landet. Hier wären in einer derartigen Situation Preise von -100.000 €/MWh und mehr vorstellbar. Dies könnte Kosten von Hunderten von Millionen Euro verursachen – in einer einzelnen Stunde!
Ausblick auf die nächsten Jahre
Bei einem Solarzubau von 15 GW pro Jahr, einem Einspeisetarifanteil von 70 Prozent und einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 60 Prozent steigt die solar Einspeisespitze um 6 GW pro Jahr an. Eine Verlangsamung des Zubaus oder eine Verlagerung in die Direktvermarktung ist derzeit nicht absehbar.
Ob es zu einem Stromüberschuss kommt, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, insbesondere von Angebot, Nachfrage, Speichern und Export/Import. Dies ist die Lage:
- Der Stromverbrauch in Deutschland stagniert derzeit, so dass mittelfristig nicht mit einer Entschärfung des Problems durch eine steigende Nachfrage zu rechnen ist.
- Eine Lastverschiebung in die Mittagszeit wäre hilfreich. Bislang verhindern jedoch eine Reihe von regulatorischen Hürden eine nennenswerte Reaktion der Nachfrage auf Strompreise. Problematisch sind dabei vor allem das Fehlen dynamischer Endkundentarife und der dafür notwendigen Smart Meter, die zeitlich starren Netzentgelte, Leistungspreise bei Netzentgelten, sowie die Netzentgelt-Rabatte für gleichmäßigen Stromverbrauch. Selbst bei zügigen Reformen ist hier in den nächsten Jahren nur eine begrenzte Entlastung zu erwarten.
- Der Boom bei Heimspeichern ist leider keine große Hilfe, weil diese mit dem Ziel der Eigenverbrauchs-Maximierung betrieben werden und zum Zeitpunkt der Erzeugungsspitze häufig bereits voll geladen sind.
- Großbatterien könnten Entlastung bringen, und das Interesse von Investoren ist groß. Gebremst werden sie vor allem durch die Netzbetreiber, die Netzanschlüsse nur zögerlich gewähren. So wurden im vergangenen Jahr lediglich 0,3 GW Speicherleistung installiert.
- Auch in vielen Nachbarländern ist ein starker Ausbau der ungeregelten Solarstromleistung zu verzeichnen, so dass keineswegs sichergestellt ist, dass in einer Überschusssituation die volle technische Exportkapazität genutzt werden kann. Dies könnte die Problematik verschärfen.
- Es ist zu hoffen, dass andere Stromerzeuger, insbesondere Wind, Biogas, Wasserkraft, aber auch größere Solaranlagen, in Zukunft stärker auf negative Preise reagieren und damit die Situation entschärfen. Ob und wie schnell dies geschieht, ist jedoch nicht absehbar.
Selbst bei günstiger Entwicklung all dieser Faktoren ist es aber bei der aktuellen Lage nur eine Frage von wenigen Jahren, bis die Gefahr von Stromüberschüssen deutlich zunimmt.
Vor diesem Hintergrund erscheint es dringend erforderlich, dass nahezu alle in Zukunft neu installierten Solaranlagen auf Strompreissignale reagieren, das heißt in Überschusssituationen abregeln. Die klassische Einspeisevergütung bietet dafür keine Anreize. Neben einer weiteren Ausweitung der Direktvermarktungspflicht, der Wiedereinführung der Spitzenkappung und der Möglichkeit der Abregelung durch den Netzbetreiber wird deswegen auch eine Anpassung der Einspeisevergütung diskutiert, die in Zeiten negativer Börsenpreise ebenfalls negativ würde. Keiner dieser Ansätze ist frei von Problemen, doch ein Verharren im Status Quo ist keine Option.