Die Debatte über die Vorschläge der „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (kurz: Kohlekommission) gewinnt an Intensität. Es gibt immer wieder Kritik. Zuletzt verteidigte Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende, im Tagesspiegel Background die Kommissionsvorschläge und forderte, diese nun schleunigst „eins zu eins“ umzusetzen. Die Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit einer Eins-zu-eins-Umsetzung ist das eine. Wichtiger aber noch ist die Frage, wie wir von den Ergebnissen der Kohlekommission zum Klimaziel für das Jahr 2030 insgesamt kommen. Dafür braucht es einen flexiblen ökonomischen Rahmen, der auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit setzt und dabei auch den Spielraum zwischen den Sektoren nutzt. Das kann auch auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung Auswirkungen haben.
Wichtige Ergebnisse, besonderer Zeitpunkt
Die Kommission hat Großes geleistet. Die Detailtiefe der Ergebnisse und die Geschlossenheit, mit der diese präsentiert wurden, gingen weit über das hinaus, was viele erwartet haben. Erstmals liegt ein Enddatum für den Ausstieg aus der Kohleverstromung vor. Endlich rücken der lange vernachlässigte Strukturwandel und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel ins Zentrum der Debatte. Auch wurden wichtige Hinweise für grundlegende energiewirtschaftliche Fragen gegeben, die die Politik unbedingt angehen muss: von der Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien über das Anreizen von Investitionen in neue Gaskraftwerke bis zur Weiterentwicklung der Stromnetze. Gleichzeitig sehen wir mit zunehmender Dringlichkeit, dass viele dieser Fragen und Forderungen alles andere als selbstverständlich und leicht umzusetzen sind. Höchste Zeit also für ein vernünftiges Risikomanagement.
Hinzu kommt: Der Zeitpunkt für die Kommission war in gewisser Weise ein besonderer. Gerade haben die ökonomischen Rahmenbedingungen begonnen, den Rückgang vor allem der Steinkohleverstromung zu beschleunigen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt diskutieren wir auf Basis der Kommissionsvorschläge über einen administrierten Kohleausstieg. Das ist insofern bedauerlich, weil es den Akteuren der Energiewende insgesamt gut getan hätte zu sehen, dass ein passender ökonomischer Rahmen die erwünschten Wirkungen entfalten kann.
Ein ergänzender, zunächst nationaler Mindestpreis im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) hätte weiteren Schub bringen können. Dass das ökonomisch und mit Blick auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen wirkungsvoller wäre, streitet kaum jemand ab. Hinzu kommt: Die Forderungen aus der Gesellschaft nach einem beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung, unter anderem durch die Fridays-for-Future-Bewegung, haben in den letzten Wochen und Monaten enorm Fahrt aufgenommen.
Diskussion über klimapolitische Auswirkungen ist weiter notwendig
Keine Frage, die Festlegung der Kommission, spätestens bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, ist ambitioniert. In zwanzig Jahren werden von heute aus betrachtet rund 50 Prozent der konventionellen Kraftwerksleistung abgebaut sein (Kernenergie, Steinkohle, Braunkohle)! Dennoch kann es sein, dass das Erreichen der Klimaziele in anderen Sektoren (Verkehr, Gebäude, Industrie) noch komplizierter wird. Eine rigide Eins-zu-eins-Umsetzung der Kommissionsvorschläge für die kommenden 20 Jahre nähme jeglichen Spielraum für den Fall, dass es an anderer Stelle bei Energiewende und Klimaschutz hakt. Das ist insbesondere relevant für die Debatte über die CO2-Bepreisung. Denn mindestens mittelfristig sollte das Ziel eines alle Sektoren umfassenden CO2-Preises nicht aufgegeben werden.
Im Grunde geht auch Patrick Graichen in seinem Artikel „fest davon aus“, dass eine neue Bundesregierung die Klimaziele neu ausrichten und sich also wohl nicht eins zu eins an die Ergebnisse der Kommission halten wird. Die Verantwortung liegt am Ende bei den gewählten politischen Entscheidungsträgern. Die Kernpunkte müssen umgesetzt werden, aber wenn etwas korrigiert wird, weil es bessere Ideen gibt, die weniger kosten und klimafreundlicher sind, dann ist das kein Desaster.
In diesem Sinne sind die Diskussionen über die klimapolitischen Auswirkungen der Ergebnisse der Kohlekommission berechtigt. Das gilt auch für die Studie, die kürzlich vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) vorgestellt wurde und dabei auf mögliche Risiken für die Zielerreichung hinweist. Wer das genauer beurteilen will, muss sich mit den zugrundeliegenden Annahmen der jeweiligen Studien auseinandersetzen. Eine Antwort, die allein auf die vielfältigen Forderungen der Kohlekommission verweist, wäre zu einfach. Die Studie von PIK/MCC ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte.
Risiken in den Blick nehmen
In den kommenden Monaten geht es darum, ein Gesamtpaket zu schnüren, mit dem Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreichen kann. Es wird höchste Zeit, dass wir dabei auch die Risiken und Unwägbarkeiten in den Blick nehmen und uns Gedanken machen, wie wir darauf reagieren können. Welchen Spielraum haben wir, wenn es an einer Stelle nicht weitergeht? Es bedarf eines flexiblen Risikomanagements, wenn wir beim Erreichen der Klimaziele 2030 nicht erneut scheitern wollen. Dabei geht es um Fragen wie:
Erstens: Was machen wir, wenn der Ausbau der Erneuerbaren auf 65 Prozent bis 2030 nicht gelingt? Der stockende Ausbau der Stromnetze, die schwindende Akzeptanz beim Ausbau der Windenergie an Land, die offene Frage, wie viel Strom eigentlich im Jahr 2030 die Basis für die zu berechnenden 65 Prozent ist: Alles das sind Warnsignale.
Zweitens: Was, wenn wegen mangelnder Akzeptanz die Zertifikate für die eingesparten Emissionen nicht gelöscht werden? Nicht auszuschließen, dass Haushalts- und Sozialpolitiker bei anstehenden Haushaltsdebatten sich hier sperren. Denn dabei geht es um eine Menge Geld.
Drittens: Wie gehen wir damit um, wenn wir in anderen Sektoren nicht ausreichend schnell vorankommen? Auch, wenn es niemand zugeben will: Es gibt kein belastbares Szenario, das unter Abwägung aller gesellschafts- und industriepolitischen Entwicklungen die Zielerfüllung im Verkehrssektor voraussagen kann. Besser sieht es im Gebäudesektor aus, aber auch dort ist der Erfolg alles andere als sicher. Dass die Industrie von Innovationszyklen abhängig ist, deren Länge heute kaum jemand sicher voraussagen kann, steht ebenfalls außer Frage. Die Liste könnte man um weitere Punkte ergänzen.
Wirkungsvolle CO2-Bepreisung für alle Sektoren
Ein sektorübergreifender CO2-Preis kann hier eine wichtige Option sein, allen Verabredungen in der Kohlekommission zum Trotz. Manch einer suggeriert, dass es ein solches Risikomanagement nicht braucht, wenn nur der Forderungskatalog der Kohlekommission ordentlich umgesetzt wird. Aber so einfach ist es eben nicht – egal, wer in Berlin in den kommenden Jahren regieren wird. Im Grunde würde damit der Schwarze Peter im Falle eines Scheiterns allein der Politik zugeschoben. Bei allen Versäumnissen der Politik: Es ist leider komplizierter.
Die Aufgabe der Kommission war es, einen Weg aufzuzeigen, wie die Klimaziele im Sektor Energiewirtschaft bis 2030 erreicht werden können. Es ging nicht um die Erreichung der Pariser Klimaziele bis 2050 und es ging – leider – auch nicht darum, welche Wechselwirkungen die Ergebnisse der Kommission mit den Anforderungen in den anderen Sektoren haben. Ein integrierter Ansatz von Beginn an wäre sicher hilfreich gewesen. Nun geht es darum, die Analysen der verschiedenen Sektoren zusammenzutragen und aus alledem ein stimmiges Gesamtpaket zu machen.
Es braucht konkrete Maßnahmen in allen Sektoren und ein ausreichend flexibles Rahmengesetz. Herzstück aber sollte ein ökonomischer Rahmen sein, der auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen ausgerichtet ist und in dem sich Innovationen bestmöglich entfalten können. Dazu gehört eine konsequente und langfristig kalkulierbare Bepreisung von Treibhausgasemissionen, die zumindest mittelfristig über alle Sektoren hinweg Wirkung entfalten kann. Als Option sollte dabei auch weiterhin über einen Mindestpreis im Rahmen des EU-ETS diskutiert werden, obwohl das in den Kommissionsvorschlägen nicht vorgesehen ist. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ließe sich damit jedenfalls effizienter und wohl auch klimafreundlicher gestalten.