Die Bedeutung des Themas steht in deutlichem Widerspruch zur Nachhaltigkeit der Gestaltung. Energie ist längst zu einem der dominierenden Themen geworden. Ganz gleich, ob es um Kohleausstieg, Gasmangellage, Netzausbau, Rückkehr der Kernenergie, Wärmewende, Strompreise oder Wasserstoff geht. Energie ist omnipräsent. Und selbst inwieweit Deutschland Industrienation bleiben kann und will, beantwortet die Energiepolitik wesentlich mit.
Eine umfassende, stabile Lösung ist offenbar trotzdem schwierig. Fast alles, was erreicht wurde, ist – bei allen unbestreitbaren Fortschritten im Detail – Stückwerk geblieben. Entsprechend groß ist die Unsicherheit: Es fehlt an steuerbaren Kraftwerken sowie Speichern und einer ausreichend dimensionierten Infrastruktur. Und die wirtschaftlichen Belastungen sind zu hoch und steigen weiter.
Die Kraftwirtschaft könnte aber schon mit ihrer gegenwärtigen Anlagenstruktur ganzheitliche Entlastung bringen, bis die großen Lösungen greifen. Wohin die oft kleinteiligen Regelungen und die Verknappung von Kraftwerkskapazitäten führen, war kurz vor Weihnachten zu besichtigen: In einer der im Winter recht häufig auftretenden Dunkelflauten, also einer Phase, in denen der Ertrag aus Sonnen- und Windenergie minimal ist, schossen die Strompreise in die Höhe. Prompt entbrannte eine Diskussion darüber, warum ausgerechnet in einer Dunkelflaute nicht alle technisch verfügbaren konventionellen Kraftwerke am Netz waren.
Ein Börsenstrompreis von knapp 1000 Euro je Megawattstunde, so etwas hatte es selbst in den Marktturbulenzen nach dem Stopp russischer Erdgaslieferungen nach Deutschland nur vereinzelt gegeben. Die hier und da geäußerte Vermutung, Kraftwerksbetreiber hätten Anlagenleistung zurückgehalten, um durch eine gezielte Verknappung des Angebots üppige Renditen zu erzielen, ist für systemrelevante Anlagen ohnehin gegenstandslos. Denn das Marktteilnahmeverbot für Kraftwerke, die sich in der Systemrelevanz befinden, ist ein grundsätzliches Problem, weil das gegenwärtige Regime hier sowohl für den Stromverbraucher als auch für den Stromversorger nachteilig ist.
Und mit der Vertagung des Kraftwerkssicherheitsgesetzes haben wir weitere Zeit verloren. Deshalb haben wir folgenden Vorschlag, von dem eben nicht nur Kraftwerksbetreiber wie die Steag Iqony Group profitieren, sondern der vor allem Verbraucherinnen und Verbraucher vor erneuten Preisspitzen wie im Dezember schützen kann:
Marktteilnahme ermöglichen
Systemrelevante Kraftwerke sind oftmals ältere, konventionell befeuerte Anlagen, die ihre Betreiber bereits für eine Stilllegung angemeldet hatten. Allerdings erschienen sie aus Sicht der regional zuständigen Übertragungsnetzbetreiber als unverzichtbar. Im Bedarfsfall sollen diese mit dem Segen der Bundesnetzagentur weiter mit ihrer Leistung das Stromnetz stabilisieren.
Die Einstufung als „systemrelevant“ bedeutet, dass die Anlagen teilweise bis 2031 in ständiger Betriebsbereitschaft gehalten werden müssen. Zugleich dürfen diese Anlagen eben nicht am Markt teilnehmen. Strom ins Netz einspeisen dürfen sie nur dann, wenn die Netzbetreiber sie benötigen. Dafür erhalten die Kraftwerksbetreiber einen Kostenersatz, der die Netzentgelte belastet; eine Rendite für die Bereitstellung der jederzeit verfügbaren Leistung gibt es nicht.
Wie können wir in besonderen Wetterlagen oder Ausnahmesituationen, die Engpässe auslösen, Marktpreisspitzen in Zukunft vermeiden und steuerbare Kraftwerke über die Systemrelevanz hinaus energiewirtschaftlich sinnvoll nutzen? Dafür könnte systemrelevanten Kraftwerken – zeitlich begrenzt – eine Marktteilnahme gestattet werden, etwa wenn die Preise am Strommarkt ein bestimmtes Niveau überschreiten.
Dieser Ansatz könnte mit dem geplanten Kapazitätsmechanismus, wie er im Rahmen der Kraftwerksstrategie für neue Gaskraftwerke bereits in Aussicht gestellt worden ist, kompatibel gestaltet werden. Doch anders als dieser würde unser Vorschlag bereits schnell wirken und so auch die Verzögerung beim Kraftwerkssicherheitsgesetz kompensieren helfen.
Mehr Leistung wirkt sich preisdämpfend aus
Der Nutzen ist vielfach: Mehr Leistung im Markt wirkt sich preisdämpfend aus. Bestehende Anlagen werden günstig genutzt. Über Vereinbarungen zur Erlösteilung könnten auch Übertragungsnetzbetreiber partizipieren – und die Netzentgelte zum Wohle aller Verbrauchenden sinken.
Und über die Erlöse, die Kraftwerksbetreiber damit über eine reine Kostenerstattung hinaus erzielen würden, wären sie zugleich in der Lage, das Geld zu verdienen, das sie für den Bau der von Politik und Wirtschaft geforderten neuen und dank eines möglichen Wasserstoffeinsatzes perspektivisch klimaneutralen Gaskraftwerke benötigen. Solche Anlagen braucht Deutschland dringend, damit die Energiewende gelingt und der Kohleausstieg vollzogen werden kann. Für die Zeit bis dahin brauchen wir aber auch geeignete Anlagen.
Solange sich Deutschland zur Gewährleistung von Netzstabilität und Versorgungssicherheit sowieso auf mitunter ein halbes Jahrhundert alte Kohleblöcke stützen muss, sollten diese dann auch so effizient wie möglich eingesetzt werden, um durch eine begrenzte Teilnahme am Markt den Stromkunden preislich spürbar zu entlasten.
Dr. Andreas Reichel ist CEO und Arbeitsdirektor der Steag Iqony Group, Essen.