Es war das Streitthema des Herbstes: Der Streckbetrieb der verbleibenden Kernkraftwerke. Dadurch sollen dieses Jahr fünf Terawattstunden (TWh) Strom in diesem Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen. Die aufreibende Debatte darum hätte man sich durch etwas vorausschauendere Politik sparen können, allein durch ein paar Stromeffizienzmaßnahmen in Unternehmen.
Elektrische Antriebe machen 70 Prozent des industriellen Stromverbrauchs aus – hier ließe sich leicht ein Vielfaches dieser fünf TWh einsparen – und das auch relativ zügig. Die Potenziale sind lange bekannt. Allein der Einsatz energieeffizienterer Pumpen hätte laut Umweltbundesamt fünf Terawattstunden einsparen können – und das wesentlich sicherer, nachhaltiger und wirtschaftlich gewinnbringend. Lüftungsanlagen mit hohem Wirkungsgrad würden weitere sieben TWh erbringen, effiziente Druckluftsysteme fünf TWh und effiziente Beleuchtung neun TWh.
Entsprechende Listen legen das Umweltbundesamt und andere immer wieder vor. Darüber hinaus bestehen enorme weitere ungenutzte Stromeffizienzpotenziale in Haushalten und bei der öffentlichen Hand. Von direkten Gaseinsparungen durch die verschleppte Wärmeeffizienzwende ganz zu schweigen. Doch die Stromsparziele des Energiekonzepts von 2010 wurden nie konsequent umgesetzt.
Falsch priorisiert, nichts dazugelernt
Das Problem ist offenbar eine falsche Prioritätensetzung der gesamten Bundesregierung. Wenn Finanzminister Christian Lindner sagt, jede zusätzliche Kilowattstunde zähle, lässt er jede Kilowattstunde außer Acht, die nicht verbraucht werden müsste – die den Bedarf an Netzen, Kraftwerken und Importen senken könnte. Ein ineffizienter Verbrauch kostet jedoch den ihm anvertrauten Bundeshaushalt aktuell besonders viel Geld.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck schaut – wie seine Amtsvorgängerinnen und -vorgänger – vor allem auf die Versorgungsseite oder nur einzelne Aspekte (Wärmepumpen) auf Bedarfsseite. Gleichzeitig wurden die Förderhöhen vieler Effizienzmaßnahmen ausgerechnet letztes Jahr empfindlich gekürzt. Das Ministerium von Bauministerin Klara Geywitz will dem Vernehmen nach weiterhin vor allem Anforderungen an die Sanierung der schlechtesten öffentlichen Gebäude aus dem Gesetz herausstreichen. Das trifft neben den öffentlichen Kassen Mieterinnen und Mieter in solchen Gebäuden besonders hart, weil sie die höchsten Energierechnungen zahlen und nur begrenzt Einfluss haben, Heizkosten aktiv zu senken.
Nach über zwölf Jahren Energiekonzept nichts dazugelernt: Die politischen Versäumnisse fordern jetzt einen hohen Preis. Wirtschaft und Bevölkerung leiden unter hohen Energiekosten, die CO2-Emissionen stagnieren auf hohem Niveau. Nachdem der Winter bisher mild verläuft und vor allem deshalb die Gasspeicher noch gut gefüllt sind, droht wieder das alte Effizienzphlegma.
Das kollidiert hart mit dem Mantra der sogenannten „Ideologiefreiheit“. Denn stattdessen stehen uneingelöste Utopien als Beruhigungspille auf der Tagesordnung. Der Markt und Innovationen würden es regeln, erneuerbare Energien machten Effizienz entbehrlich, spätestens Wasserstoff und Kernfusion würden uns alle retten – weitermachen wie bisher, bloß keinem wehtun. Doch stattdessen tun die Versäumnisse weh. Das richtig böse Erwachen folgt dann mit der nächsten, vor allem übernächsten Heizkostenabrechnung und drohenden, neuen Mangellagen in den nächsten Wintern.
Das Interesse an Energieeinsparung lässt bereits jetzt messbar nach, vermutlich auch durch die Nachricht, das gespeicherte Gas reiche ja – und durch den Eindruck, die Bundesregierung subventioniere jegliche Belastungen mit den Preisbremsen und Entlastungen weg.
Auch die längerfristige Bestandsaufnahme ist ernüchternd. Insgesamt wurden die bislang immer unverbindlichen und daher nachrangig verfolgten Effizienzziele sehenden Auges verfehlt. Im Coronajahr sank der Energieverbrauch nur krisenbedingt, um dann nach wirtschaftlicher Erholung wieder hochzuschnellen. Dasselbe droht sich nun zu wiederholen, da strukturelle Veränderungen – sprich: echte Effizienzsteigerungen – nicht in der Breite umgesetzt wurden. Das selbst die low hanging fruit vielerorts nicht abgeerntet wurden, wird jetzt besonders sichtbar, etwa wenn Mieterinnen und Mieter unfreiwillig bei 25 Grad schwitzen, weil überalterte Heizungsanlagen ohne Witterungsführung und Nachtabsenkung die Hitze durch offenliegende Rohre in die Wohnungen drücken.
Nötig ist eine Investitionsoffensive
Was fehlt ist eine Investitionsagenda. Die diversen Entlastungspakete waren kurzfristig sozialpolitisch geboten, aber sind letztlich eine Subventionierung fossiler konsumtiver Ausgaben, die wir uns nicht jeden weiteren Winter leisten dürfen. Die Lösungen sind längst da. Insbesondere Effizienzlösungen werden zu großen Teilen in Deutschland und Europa gefertigt, geplant und umgesetzt. Wir sprechen über 1,5 Prozent der gesamten industriellen Produktion und rund 600.000 Beschäftigte in Deutschland. Der Markt kann es regeln, aber nur wenn die Rahmenbedingungen stimmen, Barrieren für Energieeffizienzdienstleistungen beseitigt und die richtigen Anreize gesetzt werden. Doch der Mut zum Handeln fehlt, damit sich Deutschland aus der Krise herausinvestiert.
Das Effizienzgesetz ist ein unverzichtbarer Baustein dafür. Förder- und Ordnungspolitik brauchen eine verbindliche Richtung, damit Investitionssicherheit für den benötigten Hochlauf von Marktkapazitäten entsteht. Das gelingt nur mit verbindlichen Zielen und einem bisher fehlenden gesetzlichen Rahmen für strategische Maßnahmen. Wichtig ist auch: Was wirtschaftlich sinnvoll ist, sollte endlich auch ordnungsrechtlicher Standard sein – und damit auch Pflichten zur Nutzung unvermeidbarer Abwärme, die Umsetzung längst bekannter, wirtschaftlich eindeutig vorteilhafter Maßnahmen in Unternehmen und zur Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude (sogenannte Minimum Energy Performance Standards, kurz MEPS).
Allerdings: Während der Bundeskanzler zum x-ten Autogipfel der Republik
lädt, lässt der Sanierungsgipfel auf sich warten. Über die Details lässt sich trefflich
und produktiv streiten. Doch den Mut zum Streiten braucht es schon – und darum jetzt
sofort einen ambitionierten Entwurf, wie er monatelang in den Schubladen
des Wirtschaftsministeriums schlummerte – und wie er vom Bundeskanzler
ausdrücklich gewünscht wurde. Was ist sonst ein Machtwort von Scholz noch
wert?