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Energie & Klima

Standpunkte Wie der CO2-Grenzausgleich gelingen kann

Ulf Sieberg, Leiter des Berliner Büros des CO2 Abgabe e.V.
Ulf Sieberg, Leiter des Berliner Büros des CO2 Abgabe e.V. Foto: Verein CO2 Abgabe

Die Europäische Kommission plant die Einführung eines Grenzausgleichs. Dieser kann als Endproduktabgabe, als Steuer, Zoll oder Zertifikatehandel umgesetzt werden. Warum es einen Grenzausgleich braucht und wie eine Politik der Ausnahmen verlassen werden könnte beschreibt Ulf Sieberg, Leiter des Berliner Büros des CO2 Abgabe e.V., in seinem Standpunkt.

von Ulf Sieberg

veröffentlicht am 29.10.2020

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Die Europäische Union will mit dem Green Deal angesichts der Bedrohung durch die Klimakrise ihre Klimaziele verschärfen. So lange es weltweit noch keine einheitlichen und wirksamen CO2-Preise gibt, schlägt die Europäische Kommission folgerichtig „ein CO2-Grenzausgleichssystem für ausgewählte Sektoren [vor], um das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen zu mindern“. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments sowie die Schattenberichterstatter anderer Ausschüsse begrüßten mehrheitlich das Vorhaben und den Bericht „Auf dem Weg zu einem mit den WTO-Regeln zu vereinbarenden CO2-Grenzausgleichssystem“ ausdrücklich.

Ein CO2-Grenzausgleich ist aus folgenden Gründen sinnvoll:

  • Erstens ist die EU mit rund 700 Millionen Tonnen CO2 weltweit der größte Nettoimporteur von CO2-Emissionen durch die Herstellung von Waren und Dienstleistungen in Drittstaaten (siehe GlobalCarbon Project 2019Felbermayr & Peterson 2020). Im Sinne der Verursachergerechtigkeit sind diese Emissionen mit den gleichen Klimaschadenskosten zu belasten wie in der EU auch und müssen perspektivisch vollständig mitberücksichtigt werden.

  • Zweitens sind die Klimaziele von Paris und des Green Deals nur zu erreichen, wenn auch die Industrie klimaneutral wird, ohne abzuwandern (Carbon Leakage). Der CO2-Preis im EU-Emissionshandel (EU-ETS) konnte zwar aufgrund steigender Preise in seiner Lenkungswirkung für die Energiewirtschaft zulegen, die Preise reichen aber nicht aus, um verstärkt CO2-Einsparungen in der energieintensiven Industrie anzureizen. Hier stagnieren die Einsparungen . Zudem ist die Obergrenze an Verschmutzungsrechten zu hoch, der Reduktionsfaktor liegt bei nur 2,2 Prozent jährlich.

  • Drittens stehen die Ausnahmeregelungen durch die kostenfreie Zuteilung von Verschmutzungsrechten, die Strompreiskompensation und die Befreiungen von Steuern und Umlagen den notwendigen Investitionen in klimafreundliche Technologien im Weg.

  • Viertens mangelt es an einer einheitlichen und verursachergerechten Besteuerung fossiler Brenn- und Kraftstoffe über die Regelungen des EU-ETS hinaus.

  • Fünftens sollte für jedes Endprodukt oder für Produktkategorien ähnlicher Emissionsintensitäten eine Klimabilanz vorliegen, um allen Produzenten und Verbrauchern die Chance auf ein klimagerechtes Verhalten zu bieten. Dazu müssen perspektivisch die Emissionen über die gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten ausgewiesen werden.

Anders als vielfach unterstellt muss es sich bei der Ausgestaltung nicht um eine Steuer oder einen Zoll handeln. Ebenfalls stimmt die Behauptung nicht, ein Grenzausgleich widerspreche zwangsläufig dem Welthandels- oder Europarecht. Vielmehr kann und muss ein CO2-Grenzausgleich zum Schutz der Industrie vor Abwanderung und zum Erreichen der Klimaziele unbürokratisch, rechtskonform und zielgenau ausgestaltet werden.

Dafür bietet sich neben der Verpflichtung ausländischer Unternehmen zum Kauf von Verschmutzungsrechten im EU-EHS auf Importe vor allem die Einführung einer Endproduktabgabe an, wie eine Studie unter anderem des Wirtschaftsinstituts DIW herausgearbeitet hat. Um die Komplexität zu reduzieren und die Einführung eines Grenzausgleichs zu beschleunigen, kann die Endproduktabgabe anfangs nur für treibhausgasintensive Grundstoffe wie Chemie, Stahl und Zement gelten.

Um den Anreiz für die Produzenten, Treibhausgase einzusparen, zu erhalten, wird die Anzahl der Verschmutzungsrechte durch eine „dynamische Zuteilung“ reduziert und entsprechende Produktbenchmarks für die Grundstoffproduktion festgelegt. Parallel zu der Endproduktabgabe wird die Industrie durch Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference, CCFD) bei der Finanzierung klimaneutraler Produktionsverfahren unterstützt. Die Unterstützung sollte auch den am wenigsten entwickelten Ländern zugutekommen.

Die Endproduktabgabe kann nach und nach auf weitere Produktgruppen sowie mithilfe von Digitalisierung und Blockchains ausgeweitet werden und mittelfristig zur lückenlosen Bilanzierung von CO2-Emissionen über die gesamte Wertschöpfungsketten führen. Vielversprechende Ansätze liefern Sciencebasedtargets, Right. Based on Sciences, SAP und die Value Balancing Alliance.

Darüber hinaus sollte die geplante Revision der EU-Energiebesteuerungsrichtlinie dazu genutzt werden, die staatlich induzierten Preisbestandteile bei den Energiesteuern und Umlagen an den Klimaschadenskosten auszurichten, um so auch die nicht vom EU-ETS betroffenen Bereiche zu adressieren. Dies würde den Druck auf alle Staaten steigern, staatlich veranlasste Preisbestandteile aneinander anzugleichen, um Wettbewerbsverzerrungen, wie vom Internationalen Währungsfond gefordert, zu vermeiden.

Die EU sollte zum Schutz ihrer Industrie bis Ende 2021 einen CO2-Grenzausgleich einführen. Das System der Ausnahmen, dass Investitionen in klimafreundliche Technologien verhindert, ist auf ein Push-and-Pull-System umzustellen, das einerseits Anreize bietet und anderseits die Industrie bei der Umsetzung klimafreundlicher Investitionen mittels Differenzverträgen fördert (eine noch ausführlichere Darstellung gibt es hier). Ebenso müssen die staatlich induzierten Preisbestandteile bei den Energiesteuern und Umlagen konsequent an den Klimaschadenskosten ausgerichtet werden. 

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