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Energie & Klima

Standpunkte Windenergie und Meeresschutzgebiete nordseeweit zusammen denken und umsetzen

Jonas Ott, Referent Energie & Klimaschutz,  Deutsche Umwelthilfe
Jonas Ott, Referent Energie & Klimaschutz, Deutsche Umwelthilfe Foto: DUH

Die jüngste Offshore-Auktion hat gezeigt: Das überaus ambitionierte Ausbauziel von 70 Gigawatt wird regelrecht in deutsche Nordseeflächen gepresst. Das ist doppelt ineffizient. Für Unternehmen, die Windturbinen wegen Verschattungsverlusten verdichtet aufstellen müssen und für den Meeresschutz, da Turbinen beschleunigt in potenziell sensible oder gar in Schutzgebiete gedrängt werden. Eine nordseeweite Flächenplanung könnte Abhilfe schaffen, meint Jonas Ott, Referent bei der Deutschen Umwelthilfe.

von Jonas Ott

veröffentlicht am 29.08.2024

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Die Ergebnisse der August-Ausschreibungen zeigen drei Dinge. Erstens: Der Wettbewerb um die Flächen ist stark zurückgegangen. Zweitens: Der spezifische Flächenpreis ist deutlich geringer. Und Drittens: Die angelegten qualitativen Kriterien der Flächenvergabe haben bisher nicht viel genützt.

So hat RWE laut eigenen Angaben 250 Millionen Euro für zwei Flächen mit insgesamt 4 Gigawatt Leistung geboten – also 62,5 Millionen Eruo pro Gigawatt. Noch im Juni 2024 war der spezifische Flächenpreis 19-mal so hoch. Im Vorjahr 2023 im August lag der Gigawatt-Preis bei voruntersuchten Flächen rund 7-mal und Juni 2023 bei nicht-voruntersuchten Flächen sogar rund 29-mal höher.

Auch hat die Gesamtanzahl der Bietenden deutlich abgenommen: Es gab nur fünfBietende für die drei Flächen. Die qualitativen Kriterien bei der Vergabe der aktuellen voruntersuchten Flächen sind für Projektierer einfach erreichbar und haben bei der Vergabe nicht gezündet – sie müssen auf Basis sozialer und ökologischer Gesichtspunkte deutlich gestärkt werden.

Verluste durch Verschattung machen die versteigerten Flächen für Projektierer unattraktiv

Die im August 2024 vergebenen Flächen N-9 erscheinen also deutlich unattraktiver zu sein: RWE hätte die Fläche, auf der sie die alleinigen Bieter waren, sogar für einen symbolischen Euro sichern können. Woran liegt es, dass der Goldrausch der Offshore-Auktionen temporär ein Ende gefunden zu haben scheint?

Die geringe Attraktivität der Flächen für Unternehmen lässt sich insbesondere auf Verschattungsverluste innerhalb der N-9 Flächen und vorgelagerten Windparks zurückführen. Laut Flächenentwicklungsplan des zuständigen Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie sollte die Energieausbeute bei nur bei rund 2.800 bis 2.900 Volllaststunden liegen. Nach Branchenangaben sind die Parks sogar nur mit 2.200 bis 2.378 Stunden ausgelastet. Zum Vergleich: Bei Offshore-Windenergie sind in Küstenferne Auslastungen von deutlich über 4.000 Stunden möglich. Ein Unterschied von weit über einem Drittel.

Damit sind die versteigerten N-9 Flächen – und auch Folgeflächen wie N-10 in 2025 – Opfer der politisch angestrebten Erreichung des Ausbausziels von 70 GW geworden. Um das Gigawatt-Ziel zu erreichen, wird die kleine deutsche Nordseefläche stellenweise stark verdichtet mit Windrädern beplant. So wurden insbesondere die N-9 Flächen mit sehr hohen Leistungsdichten von zwischen 10,7 und 11,2 MW Turbinenleistung pro Quadratkilometer ausgeschrieben – das ist knapp doppelt so viel wie andere Flächen, in etwa N-6.7 mit 5,7 MW/km².

Es müssen also deutlich mehr Windturbinen auf gleicher Fläche entstehen. Das ist sowohl aus Perspektive des Meeresschutzes und der Ressourceneffizienz und damit auch aus Unternehmensperspektive ineffizient. Verdichtet geplante Windparks treiben die Stromgestehungskosten der Technologie nach oben und senken die Attraktivität der Flächen für Investoren.

Verschattete Flächen fördern Abhängigkeit von Riesenkonzernen

Die kapitalstarken Big Oil Konzerne BP und Total Energies haben sich Flächen bei den deutschen Auktionen gesichert. Vor allem Total hat in den Auktionen 2023 und 2024 Flächen etliche Flächen ersteigern können. Bei BP gab es Anfang 2024 einen Wechsel an der Spitze – jetzt baut der Konzern das Segment Offshore-Windenergie nicht weiter aus. Der Business Case der Technologie scheint kleiner zu werden. Ein Indiz dafür: BP hat sich 2024 in Deutschland keine weiteren Flächen gesichert.

Da die Strafzahlungen bei Projektabbruch sehr gering sind, könnten Riesenkonzerne die ersteigerten Offshore-Flächen nur als Option betrachten. Mit den neuen niedrigen Flächenpreisen könnte eine Neu-Evaluation der bisherigen ersteigerten Flächen anstehen und die Konzerne sich von den ersteigerten Optionen zurückziehen – das würde den Ausbau besagter Flächen um ein halbes Jahrzehnt zurückwerfen. Die zu dichte Beplanung und Vergabe von Flächen mit hohen Verschattungsverlusten erhöht so potenziell das Abbruchsrisiko und gefährdet damit den Ausbau insgesamt.

Meeresschutzgebiete nordseeweit effektiv schützen – nicht nur auf dem Papier

Die Bundesrepublik hat sich auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene zum Meeresschutz verpflichtet: 2022 hat Deutschland das neue Kunming-Montreal-Abkommen unterzeichnet. Das Ziel ist klar: 30 Prozent des deutschen Meeresgebietes müssen unter Schutz gestellt werden. In der EU-Biodiversitätsstrategie haben sich alle Mitgliedsstaaten außerdem zum Ziel gesetzt, 10 Prozent unter sogenannten „strengen Schutz“ zu stellen.

Allerdings steht die Umsetzung auf wackeligen Beinen: Zwar steht in Deutschland auf dem Papier bereits beinahe die Hälfte der Meere unter Schutz – doch sind die Gebiete in den wenigsten Fällen wirksam. Wir sind weit entfernt, 10 Prozent von Nord- und Ostsee streng zu schützen, also komplett aus der wirtschaftlichen Nutzung zu nehmen. Durch Ressourcenabbau, Schifffahrt und Fischerei sind die Meere jetzt schon stark übernutzt – zusätzlich die vollen 70 Gigawatt naturverträglich in deutschen See darzustellen, ist quasi unmöglich.

Multilaterale Erklärungen wie die von Ostende und Esbjerg, die im Rahmen der Nordsee-Energie-Kooperation (NSEC) zustande kamen, weisen in die richtige Richtung für einen nordsee-weiten Windenergie-Ausbau. Auch die Ansätze der „Greater North Sea Basin Initiative“ (GNSBI) ist begrüßenswert – reichen allerdings noch nicht aus. Als weiterer Arbeitsschwerpunkt sollte hier die multilaterale Flächenplanung von Windparks und effektive Umsetzung zusammenhängender Schutzgebiete grenzübergreifend und nordsee-weit ins Auge gefasst werden.

Die aktuelle Flächenvergabe ist doppelt ineffizient. Die starke Verdichtung führt zu Verlusten durch Verschattung, die die Flächennutzung für Investoren unattraktiv machen. Gleichzeitig bedeutet es einen Rückschritt beim Meeresschutz, da das deutsche 70-GW-Ziel ohne Eingriffe in Schutzgebiete und sensible Gebiete kaum erreichbar scheint. Die Planung von Windparks und die Umsetzung von zusammenhängenden und effektiv geschützten Meeresschutzgebieten muss multilateral stärker verzahnt mit den Nordsee-Anrainern erfolgen.

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