Dem deutschen Energiesystem steht eine fundamentale Transformation bevor. Die Herausforderung dabei ist es, ein neues Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit zu finden. Diese drei Aspekte bilden zusammen das sogenannte energiepolitische Zieldreieck.
Die Komplexität des Dreiecks ist unbestritten. Dies zeigt nicht zuletzt die Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS), in der im vergangenen Jahr eine Vielzahl an energiewirtschaftlichen Akteur:innen diskutiert hat, die aber bislang ohne eindeutige Schlussfolgerung für das transformierte Energiesystem bleibt.
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit einhergehenden Auswirkungen auf die deutsche Energieversorgung wird das Thema Versorgungssicherheit so heiß diskutiert wie lange nicht mehr. In der Theorie sind alle Ziele des Zieldreiecks gleichrangig. Doch in der Praxis scheinen Argumente der Versorgungssicherheit oft andere Ziele „auszustechen“.
In Deutschland fokussiert die Debatte häufig nur auf das Vorhandensein von „gesicherter Leistung“. Dies greift viel zu kurz und verwässert Herausforderungen wie die Integration von fluktuierenden erneuerbaren Energien und der damit notwendigen Neuausrichtung des Systems. Die Debatte um mögliche „Blackouts“ durch eine scheinbare Unsicherheit erneuerbarer Energieerzeugung wurde in den letzten Jahren hitzig und oft unpräzise geführt.
Studien belegen jedoch eindeutig, dass ein erneuerbares Energiesystem mit ausreichend Flexibilitäten versorgungssicher ist. Im Gegensatz dazu zeigen die vergangenen Jahre, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien selbst zu einem massiven Risiko für die Versorgungssicherheit werden kann.
In dem nun veröffentlichten Impulspapier kommen FÖS und DUH unter anderem zu folgenden Erkenntnissen.
Es gibt keine allgemein gültige Definition von VersorgungssicherheitAkteur:innen meinen nicht immer das Gleiche, wenn sie über Versorgungssicherheit sprechen. Es fehlt eine allgemeingültige Definition. Bestehende Definitionen enthalten zwar sich ähnelnde Elemente, zum Beispiel die Angemessenheit der Netz- und Erzeugungskapazitäten. Es gibt aber zentrale Unterschiede. Manche der Definitionen berücksichtigen beispielsweise die Resilienz des Systems gegenüber Angriffen von außen, andere die Verfügbarkeit von Primärenergieträgern oder wieder andere die Integration von erneuerbaren Energien in das System (Systemflexibilität) als eigenständige Säulen.
Diese Ungenauigkeit bezüglich der Dimensionen von Versorgungssicherheit verhindert den präzisen Diskurs.
Versorgungssicherheit ist kein absoluter Zustand und subjektivDer Begriff Versorgungssicherheit hat sich über die letzten Jahre immer wieder verändert. Stand einst die Verfügbarkeit von fossilen Kraftstoffimporten im Mittelpunkt, rückte mit der Energiewende der Ausbau erneuerbarer Energien in den Fokus. Die Erfahrungen aus dem Jahr 2022 zeigen nun eindringlich, dass die Abhängigkeit von russischem Gas ein akutes Risiko ist.
In der öffentlichen Diskussion hat Versorgungssicherheit häufig den Anspruch auf Absolutheit. Unsere Analyse zeigt hingegen: Versorgungssicherheit ist eine Abwägungsfrage. In vielen Definitionen ist von „einem angemessenen Maße“ beziehungsweise „volkswirtschaftlich effizientem Maße“ die Rede. Passend dazu müssen die Mitgliedstaaten der EU jeweils ein eigenes Maß an Versorgungssicherheit in Relation zur Zahlungsbereitschaft festzulegen. Hier kommen die Mitgliedstaaten zu deutlich unterschiedlichen Einschätzungen.
Auf technischer Ebene wird Versorgungssicherheit mittels harmonisierter Monitoring-Verfahren bewertet. Dennoch kommt es regelmäßig vor, dass die Verfahren zu völlig abweichenden Ergebnissen führen.
Dies zeigt, dass die Bewertung von Versorgungssicherheit mit der Interessenslage der Akteur:innen zusammenhängt. Die veränderliche Natur des Begriffes, die Abwägung zwischen verschiedenen Zielen und die unterschiedlichen Auffassungen des notwendigen Versorgungssicherheitsniveaus ermöglichen eine Instrumentalisierung des Begriffes und erschweren Diskussionen grundlegend.
Versorgungssicherheit versus Klimaschutz
Insbesondere Maßnahmen des Klimaschutzes geraten in ein Spannungsfeld mit Versorgungssicherheitsinteressen und werden durch eine missbräuchliche Begriffsverwendung „ausgestochen“. Ersichtlich ist dies zum Beispiel, wenn es um den Erhalt von Kohlekraftwerken als Back-up-Kapazitäten oder der Einführung von neuen Kapazitätsmechanismen geht.
Wie angedeutet, sind fossile Energien inzwischen jedoch eine doppelte Gefährdung für unsere Versorgungssicherheit. Zum einen heizen sie die Klimakrise an, welche selbst die größte Bedrohung für eine sichere Versorgung darstellt. Zum anderen sehen wir eine Verschiebung dahingehend, dass einseitige Abhängigkeiten, unsichere Verfügbarkeiten, gestörte Transportketten und geopolitische Konflikte zunehmend zu einer direkten Bedrohung für unsere Versorgungssicherheit werden.
Debatte über angemessenes Niveau der Versorgungssicherheit nötigDie Diskussion zur Versorgungssicherheit ist dadurch hochgradig ideologisch verzerrt, unterkomplex und wird auf Basis von Einzelmeinungen geführt. Eine sachgerechte Debatte ist unmöglich. Um Versorgungssicherheit auf angemessene Weise bei der Weiterentwicklung des Stromsystems einzubeziehen, haben wir eine Meta-Versorgungssicherheits-Definition entwickelt.
Für die Weiterentwicklung des Marktdesigns ist in Energiewirtschaft und -politik ein präziseres Verständnis der Begriffe rund um Versorgungssicherheit unabdingbar. Dafür müssen die Relativität und Subjektivität von Versorgungssicherheit anerkannt und muss eine differenzierte Diskussion geführt werden. Die Politik ist aufgerufen, jetzt eine einheitliche und organisationsübergreifende Definition vorgeben.
Ausgehend von dieser Definition müssen erstens politische und energiewirtschaftliche Akteur:innen sich damit vertraut machen und die Diskussion zur Versorgungssicherheit sachlich vorantreiben. Zweitens braucht es in Anbetracht der angespannten Haushaltslage eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, welches Versorgungssicherheitsniveau als angemessen bewertet wird. Schlussendlich müssen laufende Prozesse wie insbesondere die Kraftwerksstrategie und die Fortsetzung der PKNS mit einem geschärften Verständnis neu beurteilt werden. Durch ein ungenaues Verständnis von Versorgungssicherheit müssen künstlich eingeschränkte Lösungsräume nachträglich wieder erweitert werden.
FÖS und DUH stellen ihr Impulspapier am Donnerstag, 14. März, um 10.00 Uhr vor. Eine digitale Teilnahme ist über diesen Link möglich.