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Sustainable Finance

Standpunkte Menschenrechte mal subjektiv gesehen

Antje Schneeweiß (re.), Ko-Geschäftsführerin des Arbeitskreis kirchlicher Investoren, und Ulrike Lohr, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind Institut
Antje Schneeweiß (re.), Ko-Geschäftsführerin des Arbeitskreis kirchlicher Investoren, und Ulrike Lohr, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind Institut Foto: Südwind-Institut/Kolja Matzke

Deutschlands Finanzmarktchef-Aufseher Mark Branson unterschätze die Notwendigkeit einer sozialen Taxonomie, argumentieren Antje Schneeweiß vom Arbeitskreis Kirchlicher Investoren und Ulrike Lohr vom Südwind Institut in ihrer Replik auf die Interviewaussagen Bransons in Tagesspiegel Background Sustainable Finance. In ihrem Standpunkt-Gastbeitrag erläutern sie, warum sich soziale Kriterien durchaus genau definieren lassen und warum eine Sozialtaxonomie wichtig für die Transformation wäre.

von Antje Schneeweiß und Ulrike Lohr

veröffentlicht am 08.02.2024

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Der Chef der Bundesfinanzaufsicht, Mark Branson, repliziert in seiner Kritik an einer sozialen Taxonomie gleich mehrere weit verbreitete – aber dennoch falsche – Argumente. Zunächst kritisiert er grundsätzlich, dass Taxonomien nicht helfen, um Projekte rentabler oder finanzierungsfähiger zu machen. Projekte würden nur finanziert, wenn sie finanziell attraktiv sind. Das ist richtig. Denn das ist auch nicht die Aufgabe von Taxonomien. Die EU-Taxonomie legt nicht fest, ob Projekte rentabel oder wirtschaftlich attraktiv sind. Sie legt den Rahmen fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als umweltfreundlich oder klimaschützend gelten oder eben nicht.

Ohne positive Definitionen von sozialer Nachhaltigkeit geht es nicht

Damit liegt die Deutungshoheit, welche Unternehmen und Projekte sich in ESG-Fonds verbergen, nicht mehr bei den Finanzinstituten, die diese Produkte vertreiben. Oft wird unter den Tisch gekehrt, welchen Fortschritt das bedeutet. Noch vor wenigen Jahren war es problemlos möglich, einen Fonds mit Schwerpunkt auf „umweltfreundliche“ Teersande – einem Gemisch aus Quarz, Wasser und Bithumen, dessen Abbau und Veredelung zu Erdöl eine extrem schlechte Klima- und Umweltbilanz aufweisen, als ESG-Fonds zu vermarkten.

Bleiben wir beim Status quo, qualifiziert sich die Mehrheit der nachhaltigen Fonds darüber, dass sie belegen kann, nicht gegen eine Auswahl von Principals Adverse Impact (PAI) Indikatoren zu verstoßen. Doch wenn solche Produkte weiterhin den Markt für nachhaltige Geldanlagen beherrschen, können weder die Anleger:innen in eine Präferenz der „sozial-ökologischen Transition“ investieren, noch erreicht die EU ihr Ziel, privates Kapital für den Green Deal zu mobilisieren.

Sozial – keine wissenschaftliche Dimension?

In der Diskussion um soziale Kriterien in nachhaltigen Investitionen bringt Herr Branson zudem das Argument vor, soziale Kriterien seien nicht wissenschaftlich untermauerbar und damit subjektiv. Dieses Argument hat zwei Teile: Zum einen besagt es: Nur Themen, zu denen man wissenschaftlich untermauerte Aussagen machen kann, sind objektivierbar und damit allgemeingültig. Zum zweiten besagt es, dass sozialen Themen nicht mit wissenschaftlichen Methoden analysierbar sind. Beide Aussagen sind so nicht haltbar.

Zur Beantwortung der Frage, ob nur wissenschaftliche untermauerte Aussagen allgemeingültig sein können, muss auf von der Weltgemeinschaft entwickelte und anerkannte Dokumente wie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte hingewiesen werden. Diese Erklärung wurde zu Beginn des kalten Krieges in einer in zwei verfeindete Blöcke auseinanderdriftende Welt verfasst und von 190 Staaten angenommen. Niemand würde ernsthaft behaupten ein solches Dokument sei subjektiv in dem Sinne, dass es beliebig ist, ob man sich daranhält oder nicht. Die Würde des Menschen und die in der Erklärung damit verbundenen Rechte sind per Konsens zum objektiven Recht eines jeden Menschen geworden. Eine solche Objektivität fußt auf einem anderen Grund als wissenschaftliche Erkenntnis, die durch empirische Forschung zustande kommt, ist jedoch nicht weniger gültig.

Sozialwissenschaften haben zudem in den letzten Jahrzehnten Methoden entwickelt und ausgefeilt, die eine empirische Untersuchung des Sozialen ermöglicht. Diese Methoden erlauben es die soziale Wirkung bestimmter Investitionen zu analysieren. Social Impact Bonds machen sich schon jetzt diese Techniken zu Nutze, indem sie soziale Auswirkungen einer Investition, wie zum Beispiel die Behebung von Obdachlosigkeit oder die Rückfallquote von Strafgefangenen messen.

Werden die Argumente der vermeintlichen Subjektivität des Sozialen, der mangelnden Wissenschaftlichkeit und der geringen Risikorelevanz gegen die Stärkung sozialer Belange in der europäischen Sustainable-Finance-Regulierung angeführt so gilt es einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen. Die EU-Kommission rief die Umwelttaxonomie ins Leben, um das für den Klimaschutz benötigte Kapital auch über die privaten Kapitalmärkte zu generieren, weil sie erkannte, dass die öffentliche Hand allein die benötigen Volumina nicht aufbringen kann.

Ohne privates Kapital geht es nicht

Die „High-Level Task Force on Investing in Social Infrastructure in Europe“ stellte in ihrem Abschlussbericht 2018 fest, dass 1,5 Billiarden Euro für die soziale Infrastruktur in Europa fehlen, eine Summe, mit der die öffentliche Hand ebenfalls überfordert ist. Warum soll, wenn das Mittel Sustainable Finance für die Mobilisierung von Geldern für den Klimaschutz als notwendig und wirksam angesehen wird nicht ähnliches für Investitionen im sozialen Bereich gelten?

Es ist legitim, sich die Frage zu stellen, ob es angesichts der Probleme, vor denen Unternehmen und Banken bei der Umsetzung der Umwelttaxonomie stehen sinnvoll ist, eine soziale Taxonomie zu entwickeln. Angesichts der Schieflage zu Ungunsten sozialer Themen, in der sich die EU-SF-Regulierung derzeit befindet ist es jedoch unerlässlich eine handhabbare Orientierung dafür zu liefern, was im SF-Bereich als sozial verstanden wird. Abgesehen von der Notwendigkeit Kapitalströme auch für den sozialen Bereich zu mobilisieren ist eine solche Orientierung zur Vermeidung von Soical Washing dringend nötig.

Ein solches Rahmenwerk für soziale Investitionen sollte auf bestehenden EU-Definitionen und Berichtspflichten aufbauen: Zum einen könnten die im EU Treaty definierten „Services of General Interest“ als sozial gelten, wenn sie die für die EU ausgearbeiteten Qualitätskriterien entsprechen. Zum anderen könnten Unternehmen ihre Ausgaben als sozial geltend machen, die sie tätigen, um das Europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) einzuhalten. Für beide Themen könnten bereits vorhandene Daten aus den Standards (ESRS) der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) entnommen werden.

Soziale Kriterien sind im Bereich Nachhaltiger Investitionen umsetzbar und werden seit Jahrzehnten umgesetzt. Sie sind nicht subjektiv, sondern an globalen Standards orientiert und konkrete Wirkungen können wissenschaftlich analysiert werden. Sie helfen Risken zu vermeiden. Angesichts der Notwendigkeit auch höherer Investitionen in soziale Produkte und Dienstleistungen zu erreichen, gilt es dringend die bestehende Schieflage mit einem Rahmenwerk für soziale Investitionen zu beheben. Die Probleme, die bei der Umsetzung der Umwelttaxonomie bestehen, sollten nicht als Grund dafür herangezogen werden, soziale Themen zu meiden, sondern als Ansporn, daraus zu lernen und ein handhabbares und wirksamen Rahmenwerk für soziale Investitionen zu entwickeln und regulatorisch umzusetzen.

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