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Standpunkte Cannabis-Therapie meint nicht Kiffen auf Partys

Jakob Sons, Gründer der Cansative Group
Jakob Sons, Gründer der Cansative Group

Jakob Sons engagiert sich als Gründer und Geschäftsführer der Cansativa Group für die Aufklärung über Cannabis sowie die Versorgung mit der Droge zu Therapiezwecken in Deutschland. Die Debatte um das verschobene neue Cannabisgesetz führt bei ihm und vielen anderen in der Branche inzwischen zu Frust, weil oft nur der Freizeitkonsum im Fokus steht.

von Jakob Sons

veröffentlicht am 21.12.2023

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Seit 2017 wird Medizinalcannabis in Deutschland zu Therapiezwecken eingesetzt. Jede Ärztin, jeder Arzt, mit Ausnahme von Tierärzt:innen und Zahnärzt:innen, kann ein BtM-Rezept für Medikamente mit Cannabinoiden ausstellen. Eine Kostenübernahme bei den Krankenkassen kann beantragt werden. Voraussetzung für den Einsatz von Medizinalcannabis ist, dass Patient:innen, mit schulmedizinischen Standardtherapien als austherapiert gelten. 

Für das Jahr 2023 hatte sich die Regierung für den Legalisierungsprozess von Cannabis viel vorgenommen. Wir haben in diesem Jahr Wendungen und Schwankungen erlebt, die sowohl positiv und hilfreich für die Patientenversorgung mit Medizinalcannabis sein werden, als auch allzu oft eine mahnende Berichterstattung über den Freizeitkonsum von Cannabis gelesen, die die Debatte und das gesamte Gesetzgebungsverfahren dominiert und dadurch die Liberalisierung des Medizinialcannabisgesetzes (MedCanG) blockiert hat. 

Unkonventionelle Entwicklungen und Expertenmeinungen

Im ersten Quartal des Jahres 2023 galten die Weichen mit einem Eckpunktepapier vom Oktober 2022 als gestellt. Eine ungewöhnliche "Vorabprüfung" des geplanten Gesetzes durch die EU-Kommission führte jedoch zu Verunsicherung. Die Inhalte der EU-Gespräche blieben bis auf Weiteres im Dunkeln, in der Cannabisbranche, aber auch in der Gesellschaft wuchs der Wunsch nach verbindlichen Informationen, da der Gesetzesentwurf bis Ende März veröffentlicht werden sollte.  

In einem intensiven Stellungnahmeverfahren setzten sich verschiedene Interessengruppen, darunter der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC), in Vorbereitung auf den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für die Stärkung der medizinischen Souveränität und die Vereinfachung bürokratischer Prozesse bei der medizinischen Cannabisbehandlung ein, der die Arzneimittelrichtlinie anpassen sollte. Am 16. März entschied der G-BA überraschend moderate Änderungen des Gesetzesentwurfs, ohne einen Facharztvorbehalt einzuführen. Die angepasste Richtlinie trat am 30. Juni 2023 in Kraft. Eine gute Nachricht für Patient:innen, die cannabinoide Therapien in Anspruch nehmen (möchten).

Neuer Kurs mit dem zweiten Eckpunktepapier

Der 12. April markiert ein entscheidendes Datum im bisherigen Gesetzgebungsverfahren zur Legalisierung von Cannabis, denn das an diesem Tag veröffentlichte zweite Eckpunktepapier weicht vom erwarteten Gesetzesentwurf ab. Statt an der geplanten Abgabe von Cannabis zum Freizeitkonsum in lizenzierten Fachgeschäften und dafür kontrollierten Lieferketten festzuhalten, führt das Eckpunktepapier ein Zwei-Säulen-Modell ein. Die erste Säule sieht vor, den legalen Anbau von drei Cannabispflanzen für den Eigenbedarf und den gemeinschaftlichen Anbau in Vereinen zu ermöglichen. Die zweite Säule setzt dagegen auf wissenschaftlich begleitete Modellprojekte. 

Im Mai wurde durch ein Leak an die Presse ein erster Blick auf den Gesetzentwurf möglich. Vorgesehen sind darin strenge Vorschriften für Cannabisclubs, umfassende Sicherheitsmaßnahmen und Meldepflichten. Und eine Überraschung hielt der Entwurf bereit: die Herausnahme von Medizinalcannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Die Aussicht auf ein einfacheres Verordnungsverfahren verspricht einen leichteren Zugang zu Therapien mit medizinischem Cannabis. 

Am Ende des zweiten Quartals ging die medizinische Cannabisbranche von einem umfassenden Paradigmenwechsel aus: Breitere Akzeptanz und weniger Stigmatisierung, einfache Verordnungsfähigkeit und geringe Therapieeintrittsbarrieren sorgen für positive Prognosen in der Branche weit über aktuelle Marktwachstumsraten hinaus. Gleichzeitig war klar, dass der Umbruch auch Herausforderungen in der Anpassung von Vertriebs-, Marketing- und Logistikprozessen mit sich bringen wird, auf die sich die Unternehmen einzustellen begannen.

Schritt für Schritt zum neuen Gesetzentwurf

Im dritten Quartal stand die Vorstellung des Referentenentwurfs im Fokus der Aufmerksamkeit. Ein umfassendes Dokument, das das geplante Cannabisgesetz in das Konsum-Cannabis-Gesetz (KCanG) und das Medizinal-Cannabis-Gesetz (MedCanG) unterteilt. Mit der hierin vorgesehenen Herausnahme von Medizinalcannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz darf erwartet werden, dass das Verschreibungsverfahren erheblich vereinfacht wird. 

Nach wochenlanger, intensiver Abstimmung zwischen den Ressorts für Gesundheit und Landwirtschaft wurde Mitte August der Kabinettsentwurf präsentiert, der nur minimale Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf aufweist. Damit begann das parlamentarische Verfahren für das Cannabisgesetz. Das Ergebnis der Bundesratssitzung vom 29. September 2023: Der Gesetzentwurf konnte ohne Zustimmung des Bundesrats passieren.  

Verzögerungen und Anpassungen

Die Bundesregierung gab eine Gegenäußerung ab, woraufhin die 1. Lesung im Bundestag wegen unvorhergesehener Tagesordnungspunkte verschoben wurde. Auch die ursprünglich für den 13. Oktober vorgesehene Anhörung im Gesundheitsausschuss musste daraufhin vertagt werden. Trotz dieser Verzögerungen wurde eine Verabschiedung des geplanten Gesetzes bis zum Jahresende angestrebt, was wir sehr begrüßt hätten. Doch der Reihe nach.

Nach der 1. Lesung im Bundestag am 18. Oktober 2023 rückte die Anhörung im Gesundheitsausschuss am 6. November in den Mittelpunkt des Interesses. Durch über 40 eingereichte Stellungnahmen, eine zweistündige Expertenanhörung und erhebliche Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen erfuhr der Zeitplan weitere Verzögerungen.

Es ist nun ein gestaffeltes Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) vorgesehen, wobei die Entkriminalisierung von erwachsenen Konsumierenden ab 1. April und die Regelungen für Anbauverbände ab 1. Juli 2024 vorgesehen sind. Die 2. und 3. Lesung im Bundestag stehen noch aus, werden im Jahr 2024 stattfinden. Die Vielzahl der Verzögerungen in 2023, der Klärungsbedarf innerhalb der Regierungskoalition sowie die Unwägbarkeiten der aktuellen Haushaltsdebatte für 2024 machen eine Voraussage unmöglich, wann der Gesetzentwurf im Bundestag verabschiedet werden kann.

Herausnahme aus dem Betäubungsmittelrecht nötig

Unser Appell ist es, die Einigkeit, die übergreifend hinsichtlich der geplanten vereinfachten Versorgung von Patient:innen mit Medizinalcannabis besteht, in einen positiven Verfahrensabschluss zu Beginn des Jahres 2024 münden zu lassen. Wir müssen die 2017 begonnene positive Entwicklung der Versorgung mit Medizinalcannabis in Deutschland fortschreiben. Das schaffen wir durch die Herausnahme von Medizinalcannabis aus dem Betäubungsmittelrecht. Damit vereinfachen wir die Verordnung und schaffen in der Breitenversorgung eine gesellschaftlich akzeptierte Therapiechance. Daraus folgt ein gesundes Marktwachstum. Dieses Wachstum ermöglicht unserer Branche weitere Investitionen und schafft Produktinnovation. Diese große Chance darf nicht verstreichen, bloß weil für die Regularien von Konsumcannabis noch keine Einigung erreicht ist.

Für Patient:innen, Ärzt:innen und sonstige Interessenvertretung wäre es darüber hinaus wünschenswert, wenn in der medial und öffentlich geführten Debatte um die Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis keine Vermengung mit der Meinungsbildung gegenüber Therapieformen mit Cannabinoiden erfolgt. Wir brauchen die saubere Trennung, die der Gesetzentwurf für den unterschiedlichen Nutzen von Cannabis vorsieht, auch in den Medien und der Gesellschaft, damit Patient:innen durch erleichterten Zugang zu Cannabistherapien geholfen werden kann.

Jakob Sons ist Gründer und Geschäftsführer der Cansativa Group, dem deutschen Marktführer im Vertrieb von Medizinalcannabis aus mehr als 15 Ländern. Als exklusiver Partner des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist Cansativa der einzige Vertrieb von in Deutschland angebautem Cannabis an Apotheken.

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