Die Relevanz von Pflegefachpersonen im Versorgungsprozess anzuerkennen und ihnen die dafür notwendigen Rechte und Kompetenzen zuzubilligen, ist überfällig. Leistungsrecht statt Delegation – ein Bekenntnis zur Pflege als Heilberuf mit eigenen beruflichen Kompetenzen und infolgedessen eine Neuordnung von Aufgaben und Befugnissen samt rechtlicher Anpassungen anzustreben – das ist erfreulich.
Insofern ist der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Pflegekompetenzgesetz (PKG) grundsätzlich zu begrüßen. Aus Sicht der klinischen Pflege und als Verantwortliche für die Pflege einer Universitätsmedizin kann ich mich nach Lektüre des Entwurfs allerdings nur noch bedingt freuen.
Gute Ansätze, aber es muss schneller gehen
Der Referentenentwurf zum Pflegekompetenzgesetz bietet eine Chance zur Veränderung. Die Beteiligung von Pflege-Berufsverbänden und anderer Pflegeakteure in die Entwicklung mit einzubeziehen, ist begrüßenswert. Ansätze wie Modellvorhaben zur Erprobung von Telepflege und die Übertragung der Modellvorhaben nach § 64d SGBV in die Regelversorgung sind zweifelsohne ebenfalls positiv zu sehen. Mit der „Einrichtung einer Berufsvertretung“ kann meines Erachtens nur eine Bundespflegekammer gemeint sein – analog zur Verkammerung in anderen Professionen. Ebenfalls ein guter Schritt, kann es ja nur im politischen Interesse sein, dass Pflege sich mit ihrer Expertise dauerhaft und strukturiert zu pflegerischen Themen äußern und mitgestalten kann.
Irritiert bin ich allerdings über den beabsichtigen zeitlichen Horizont: Ich hatte gehofft, dass mittlerweile alle die Notwendigkeit schneller Veränderung verstanden hätten. Wir laufen in Deutschland schließlich schon seit Jahrzehnten den aktuellen und mittlerweile auch zukünftigen Versorgungsbedarfen, erforderlichen Kompetenzprofilen und den internationalen Entwicklungen hinterher.
Nötig ist auch politische Kontinuität
Angesichts der demografischen Gegebenheiten bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Versorgungsqualität zu erhalten, geschweige denn zu verbessern, und die Berufszufriedenheit in der Pflege zu erhöhen. Stattdessen gibt es zeitnah noch immer keine klaren Entscheidungen. Die geplanten Zeitfenster für weitere Erarbeitungen von Katalogen und Richtlinien bis Ende 2025 mit Evaluierung der Umsetzung bis Ende 2027 sind lang. Dabei haben wir doch kein Erkenntnis-, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem.
Im Widerspruch dazu endet das in § 10a nun benannte Amt der/des Beauftragten der Bundesregierung für Pflege – natürlich – mit dem Zusammentreten eines neuen Bundestages. Ende offen. Um Missverständnissen und dem häufigen Vorwurf an die „Pflegebubble“, zu viel zu jammern, zu viel zu wollen und politische Notwendigkeiten zu vernachlässigen, vorzubeugen: Die Systemlogik und der Zeithorizont politischer Entscheidungen sind uns allen wohlbekannt und bewusst. Große Transformationen sind jedoch nur mit Kontinuität und einer langfristigen Ausrichtung über eine Legislaturperiode hinweg möglich.
Arztvorbehalt ist vielfach veraltet
Zum anderen fehlt es mir an einer differenzierten Betrachtung der Pflege. Pflege ist schließlich nicht gleich Pflege. Im Referentenentwurf finden sich zum Beispiel viele Inhalte zum Elften Buch des Sozialgesetzbuches, also zu Fragen der Pflegeversicherung und der Pflegekassen, die aber vor allem Pflegeeinrichtungen und die ambulante Pflege betreffen.
Was ist hingegen mit der klinischen oder Rehabilitationspflege? Daneben wurde für alle Sektoren versäumt, die Maßnahmen progressiv an internationale Standards anzulehnen. International üblich sind längst weitreichende Befugnisse, wie sie zum Beispiel im Rollenprofil von Advanced Practice Nurses sowie Community Health Nurses festgelegt sind und durch eine akademische Ausbildung ermöglicht werden.
Wenn Ärzt:innen nicht länger allein über pflegerelevante Fragen entscheiden sollen, geht es um Fragen, die schon immer dem Pflegeprozess zuzuordnen sind. Welche Pflegehilfsmittel benötigt der Diabetespatient? Benötigt der chronisch Erkrankte häusliche Krankenpflege? Ein spezielles Bett zur Dekubitusprophylaxe? Wie soll die chronische Wunde versorgt werden? Wechsle ich den Blasenkatheter? Ist es eine Aufwertung der pflegerischen Profession, wenn für diese Fragen nicht mehr die Unterschrift von Ärzt:innen benötigt wird? Oder eine Selbstverständlichkeit? Der Arztvorbehalt ist in vielen Bereichen schlichtweg veraltet.
Ich denke, ein großer Wurf kann nur mit dem nötigen Mut erreicht werden, Schritte auch konsequent zu gehen. Das Pflegekompetenzgesetz schafft lediglich ein Grundgerüst, welches zukünftig weiterentwickelt und gefüllt werden muss. Der Weg ist also noch lang.
Andrea Schmidt-Rumposch ist Pflegedirektorin und Vorstandsmitglied der Universitätsmedizin Essen.