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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Deutsche MedTech-Unternehmen müssen Geschäftsmodelle anpassen

Michael Marquardt, Partner von Prof. Roll & Pastuch und Leiter des Bereichs Medizintechnik
Michael Marquardt, Partner von Prof. Roll & Pastuch und Leiter des Bereichs Medizintechnik Foto: Prof. Roll & Pastuch

Um auf dem Medizintechnikmarkt überleben zu können, müssen deutsche MedTech-Unternehmen zügig ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln. Davon ist Michael Marquardt, Partner der Unternehmensberatung Prof. Roll & Pastuch, überzeugt. Helfen könnten dabei digitale Assistenzsysteme und alternative Bezahlmodelle.

von Dr. Michael Marquardt

veröffentlicht am 02.09.2024

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Fährt man im Süden Deutschlands auf der Autobahn an Tuttlingen vorbei, informiert ein Schild am Straßenrand über den hiesigen Standort des „Weltzentrums der Medizintechnik“. Und in der Tat, bei den Patentanmeldungen sind deutsche Unternehmen nach den USA beim Europäischen Patentamt führend. Der BVMed gibt einen Gesamtumsatz von über 55 Milliarden Euro von knapp 13.500 Unternehmen aus.

Die deutsche Medizintechnikbranche steht am Scheideweg

Die Medizintechnikbranche sieht sich allerdings mit den gleichen wachsenden Problemen konfrontiert, die die deutsche Wirtschaft belasten: Kosten steigen durch Inflation, hohe Regulierungen, fehlende Fachkräfte und die Verringerung von Subventionen. Die Zahlungsbereitschaft der Abnehmer, wie Krankenhäuser, Praxen und Patienten, verringert sich durch zunehmend sinkende Erstattungen und ungünstigere Vereinbarungen mit den Geldgebern. Gleichzeitig etabliert sich auf dem Markt mit hoher Geschwindigkeit Konkurrenz aus Ländern mit geringeren Herstellungskosten, hohen staatlichen Subventionierungen und besseren Finanzierungsmöglichkeiten.

Während asiatische Anbieter vor einigen Jahren oftmals noch durch Produkte mit geringerer Qualität gekennzeichnet waren, haben diese heute weitestgehend aufgeholt und treten jetzt hoch kompetitiv auf. Verbrauchsmaterialien, wie Mullbinden oder chirurgisches Besteck, werden in großen Mengen günstig gefertigt und verschifft. Dies betrifft mittlerweile nicht mehr nur einfache Medizintechnik, sondern auch komplexe Technologie, wie bildgebende Systeme (z. B. Ultraschall oder Computertomographie). Auf der anderen Seite tragen beispielsweise US-amerikanische Start-ups den Geist des Silicon Valley in die Medizintechnik und versuchen mit disruptiven Angeboten die etablierten Marktmechanismen auszuhebeln. So erlaubt es der 3D-Druck im Zahnersatzbereich, Zahnärzte direkt zu beliefern und bisher notwendige lokale Fertigungslabore in der Wertschöpfung auszusparen.

Der deutsche Medizintechnikmarkt ist für die großen Hersteller wie B. Braun, Fresenius Medical Care oder Healthineers weltweit bekannt, aber im Kern wesentlich durch viele kleine Hersteller geprägt. Laut BVMed sind in Deutschland über 265.000 Menschen in der Medizintechnik beschäftigt, davon in 12.000 Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden. Erfolgskern dieser Unternehmen waren führende Ingenieursleistungen und Qualität „made in Germany“ – heute ist das kaum noch ausreichend.

Das Angebot einzelner Produkte ist nicht mehr genug

Ein Hauptansatzpunkt für deutsche MedTech-Unternehmen sollte es sein, zügig die Geschäftsmodelle von „Herstellern von Medizintechnik“ zu „Anbietern der Verfügbarkeit von Lösungen“ zur Gesundheitsversorgung zu transformieren. Das bedeutet, den Leistungserbringern nicht mehr nur Material und Technologie zur Verfügung zu stellen, sondern insgesamt die Durchführung der Gesundheitsleistungen selbst zu ermöglichen. Am Beispiel eines chirurgischen Systems heißt das, dass es nicht mehr verkauft und übergeben wird, sondern dass die Nutzungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt und die zugehörigen Tätigkeiten zur Nutzung erleichtert oder gleich direkt vom Hersteller übernommen werden.

Leistungserbringer, also Krankenhäuser und Praxen, kämpfen mit fehlendem Fachpersonal – nicht nur für Gesundheitsleistungen, sondern auch für andere Arbeiten wie Schulung, technische Wartung oder IT. Viele dieser nicht-medizinischen Aufgaben können von Herstellern für ihre Lösungen zentral übernommen und so kostengünstiger durchgeführt werden. Therapie- oder Pflegeaufgaben können beispielsweise durch digitale Assistenzsysteme zur Befundung, Therapieentscheidung und Verlaufskontrolle erleichtert werden.

Beratungsleistungen für den optimalen Einsatz der Medizintechnik und Arbeitsprozesse helfen den Leistungserbringern, wertvolle Arbeitszeit zu sparen. Für diese erweiterten Services und Leistungen, können die Hersteller auf vorhandenes Wissen und Erfahrung zurückgreifen. Sie profitieren von Synergien, da sie die Fachkräfte bei sich, anstatt bei den Leistungserbringern konzentrieren und optimal auslasten. Durch die Lokalisierung im europäischen Heimatmarkt bietet sich ein Standortvorteil gegenüber Unternehmen aus anderen Regionen, da die Wege kürzer, sprachliche Barrieren geringer und Zeitzonendifferenzen zu vernachlässigen sind.

Alternative Bezahlmodelle werden ermöglicht

Die Transformation von Verkaufs- in Servicemodelle erleichtert es den Anbietern, alternative Bezahlmodelle zu etablieren. Anstatt durch Einmalkauf wird dann über die Nutzung und Erbringung der Gesundheitsleistung abgerechnet, zum Beispiel „Bezahlung pro durchgeführter Operation“. Bei den Krankenhäusern fallen dann Nutzungskosten an, wenn die Leistung erbracht und abgerechnet wird. Anfänglich hohe Investitionen für den Kauf werden vermieden. Anbieter verringern die Schwankung der Einkünfte im Rahmen der Serviceverträge und stellen besser die Abnahme von zugehörigem Verbrauchsmaterial sicher. Insgesamt erhöht sich für die Parteien die Planbarkeit und senkt die Kosten im System.

Während die großen Hersteller heute schon erste Schritte gegangen sind, wird die Transformation insbesondere für viele der kleinen Medizintechnikunternehmen mit eigenen Ressourcen kaum und schnell genug zu stemmen sein. Von staatlicher Seite ist es notwendig, ausreichend Anleitung und stützende Programme zur Begleitung der Transformation anzubieten. Effektive Lösungen zur Erleichterung der Regulierungsbürden werden zusätzlich benötigt, um schnelle Transformationen zu gewährleisten. Gelingt dies nicht, wird man sich bei Tuttlingen in Zukunft nach einem neuen Schild umsehen müssen.

Dr. Michael Marquardt ist Partner von Prof. Roll & Pastuch und leitet den Bereich Medizintechnik. Er hat Erfahrungen aus vielen Marktstrategie-, Vertriebs- und Pricing-Projekten für internationale Konzerne, KMUs und Start-ups mit lokalen Projekten in den USA, EU und Asien.

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