Die jüngsten Bestrebungen der Landesregierungen in Niedersachsen und Bayern, die Zahl der Medizinstudienplätze signifikant zu erhöhen, sind Ausdruck eines weit verbreiteten Missverständnisses: Um die gesundheitliche Versorgung einer immer älteren Gesellschaft sicherzustellen, gibt es zu wenige Ärzte, also brauche es mehr Medizinstudienplätze. Auf den ersten Blick erscheint diese Maßnahme eine plausible und vor allem logische Antwort zu sein auf die medizinische Unterversorgung der Bevölkerung, insbesondere im ländlichen Raum. Diese droht sich unter der Last des doppelten demografischen Wandels und dem jahrzehntelangen Reformstau im Gesundheitswesen noch weiter zu verschlechtern.
Forderungen nach einer Erhöhung der Studienplätze sind jedoch purer Populismus. In den letzten Jahren wurde viel Geld in Hand genommen, um die Anzahl der Studienplätze zu erhöhen. Dabei wurde in Kauf genommen, dass die medizinischen Fakultäten bis an ihre Grenze ausgelastet wurden – und oftmals auch darüber hinaus. Vielerorts sind die räumlichen und personellen Ressourcen der Fakultäten ausgeschöpft. Studierende sehen sich gezwungen, teils stundenlange Anreisen zu Lehrpraxen und -krankenhäusern in Kauf zu nehmen. Die Lernbedingungen verschlechtern sich eher, als dass sie sich verbessern. Berichte über marode Räumlichkeiten und eine unzureichende Patientenversorgung, die für die Ausbildung unerlässlich ist, zeichnen ein alarmierendes Bild.
Intersektorale Verzahnung muss Vorrang haben
Welchen Nutzen hätte es also, noch mehr Studierende in ein schon jetzt überlastetes Ausbildungssystem zu stopfen? Ein quantitativer Ausbau der Studienplätze führt nicht zu einer Verbesserung der medizinischen Versorgung. Der vermeintliche Ärztemangel ist in vielen Fällen vielmehr ein Problem der regionalen Verteilung, Folge stationärer Überkapazitäten und des Abwanderns vieler Fachkräfte in andere Berufe oder Gesundheitssysteme. Hinzu kommt ein verstärktes und nachvollziehbares Bedürfnis nach flexiblen Arbeitspensen und nach verlässlichen Arbeitszeiten. Die vielfältigen Herausforderungen unseres Gesundheitssystems können darum nicht mit einem Mehr an Studienplätzen gelöst werden. Stattdessen müssen endlich die strukturellen Probleme des Gesundheitssystems in den Blick genommen werden.
Eine Ambulantisierung und intersektorale Verzahnung der Versorgung, bessere Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit in allen Sektoren sowie Entbürokratisierung und Digitalisierung sind unerlässliche Bausteine einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung. Die wahre Erfüllung unseres Sicherstellungsauftrages liegt in solchen Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz im Gesundheitswesen. Auch und vor allem in der interprofessionellen Zusammenarbeit gilt es, alte Grabenkämpfe ad acta zu legen, um Visionen für eine effiziente und patientenzentrierte Versorgung zu entwerfen.
Die äußerst kostspielige und erst in zehn bis 15 Jahren wirksame Erhöhung der Medizinstudienplätze kann lediglich Ultima Ratio sein, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. Ohne tiefgreifende Reformen signalisiert diese lediglich ein teuer erkauftes „Weiter so“, welches wir uns im Lichte einer in vielen Sektoren zu erkennenden demographische Entwicklung unserer alternden Gesellschaftund angespannter öffentlicher Haushalte schlicht nicht leisten können. Dies ist keine einfache Antwort, wie Populisten sie zu geben pflegen, doch gute Medizin schmeckt manchmal bitter.
Pascal Lemmer ist Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Andrew Ullmann lehrt und arbeitet als Professor an der Universitätsklinik in Würzburg, zudem ist er gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.