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Standpunkte Geringere Beiträge durch Datenverkauf?

Der CDU-Politiker Erwin Rüddel und die Anwältin Silvia Woskowski
Der CDU-Politiker Erwin Rüddel und die Anwältin Silvia Woskowski Foto: privat/MKnickriem

Sollen die Krankenkassen künftig Gesundheitsdaten an die forschende Industrie verkaufen dürfen? Die Berliner Rechtsanwältin Silvia Woskowski und der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel wünschen sich das. In den Daten schlummere „ein monetärer Mehrwert“, den man nicht verschenken dürfe, sondern zur Beitragsentlastung der Versicherten nutzen könne, schreiben sie. Dabei sollten die Versicherten allerdings selbst entscheiden dürfen, was sie mit wem teilen.

von Silvia Woskowski und Erwin Rüddel

veröffentlicht am 19.06.2023

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Die finanzielle Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist wesentlich schlechter als in den vergangenen Jahren und wird sich perspektivisch dramatisch weiter verschlechtern. Ursächlich dafür sind sinkende Einnahmen infolge des demografischen Wandels, das Ausgabenhoch während der Pandemie und intensive Kosten für die dringend notwendige Umsetzung der digitalen Transformation und des medizinisch-technischen Fortschritts. Dies führt gemeinsam mit der gestiegenen Zahl und der Erweiterung von GKV-Mitgliedern und der Inflation zu einem immer größer werdenden Finanzierungsdefizit.

Kurzfristig lässt sich darauf vielleicht noch mit bereits diskutierten Strukturmaßnahmen – insbesondere der Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen und auskömmlichen Beiträgen für die Gesundheitsversorgung von Versicherten mit SGB II-Bezügen – reagieren, aber dann wird es eng. Zu eng, weil spätestens 2025 ein noch massiveres Finanzierungs- und Beitragssatzerhöhungsproblem entsteht. Dieser Zustand löst Debatten über Ausgabenprobleme, Anpassungen der Beitragsbemessungs- und Geringfügigkeitsgrenze, Selbstbehalt und Sonderabgaben aus. Und führt zu der Frage, ob wir eine zusätzliche Säule als Strukturergänzung für die Finanzierung der GKV brauchen. Diese könnte in einer zeitgemäßen, solidarischen Nutzung der Gesundheitsdaten liegen und dabei gleichzeitig Raum für ein wettbewerbsstarkes Deutschland als Standort für Wissenschaft und Forschung schaffen.

Letzteres ist Gegenstand aktueller Diskussionen zur Stärkung des Forschungsstandorts durch eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten und Künstlicher Intelligenz (KI). Dazu soll nun auch der forschenden Industrie Zugang zu den Daten des Forschungsdatenzentrums Gesundheit (FDZ) gewährt werden. Das ist legitim, weil die Verfolgung ökonomischer Interessen Innovationen begünstigen und damit auch zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung führen können. Bislang ist die Nutzung der Daten aus dem FDZ frei. Nutzungsgebühren werden ausschließlich zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Und das, obwohl diese Daten von beachtlichem Wert sind und in anderen Ländern Summen in Milliardenhöhe generieren. Ein monetärer Mehrwert, der in Deutschland zur Aufrechterhaltung der GKV genutzt und zweckgebunden zur Entlastung der Versicherten eingesetzt werden könnte. Wollen wir ein so wertvolles Gut verschenken oder uns bewusst für eine Nutzung entscheiden, an der wir partizipieren?

Hoher Wert

Die Versicherten sind der Kern unseres Sozialversicherungssystems, ihnen dient der soziale Sicherungsauftrag. Daraus folgt die Aufgabe des Staates, die Grundversorgung kurz-, mittel- und langfristig zu gewährleisten und Leistungen dem medizinischen Fortschritt anzupassen. Um das zu erreichen, könnten die Krankenkassen Gesundheitsdaten für ihre Beitragszahler als Teil eines regulierten Wachstumsmarktes anbieten und einen geldwerten Vorteil generieren – immer unter der grundsätzlichen Bedingung einer transparenten, regulierten Nutzung, mit dem Zweck, die Einnahmen ausschließlich zur Finanzierung des Krankenversicherungssystems zu verwenden.

Dabei wären alle Systembeteiligten einzubeziehen, die ein nachweisbares und berechtigtes gesamtgesellschaftliches Interesse an der Nutzung der Gesundheitsdaten haben. Sie sollen Gesundheitsdaten ausschließlich zweckgebunden zur Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens nach transparenten Kriterien verwenden können und dafür einen finanziellen Ausgleich an das Sozialversicherungssystem leisten.

Bezüglich der Daten ist dazu zwischen der Nutzbarmachung bereits vorhandener medizinischer Altdaten und der Nutzung neu zu generierender Gesundheitsdaten zu differenzieren. Dies ist notwendig, weil vorhandene Altdaten in der Regel erst nach einheitlichen, qualitätsgeprüften Maßstäben aufbereitet werden müssen, um zum Beispiel für die Beantwortung datengetriebener Forschungsfragen genutzt werden zu können. Bereits in der Aufbereitung liegt eine Nutzung mit hohem monetärem Wert und einer schon heute im Markt als Geschäftsmodell erkannten Verwendung.

Hoffnung auf medizinischen Fortschritt

Mittelfristig resultieren daraus Datensätze mit großem Mehrwert zur Verbesserung der individuellen Versorgung. Zum Beispiel durch personalisierte Prävention und Therapien, bis hin zu einer „n=1-Medizin“ bei schweren Erkrankungen. Ein Mehrwert, der vom Individuum nicht nur für die eigene Versorgung, die kollektive Versorgungsforschung und die medizinische Wissenschaft und Forschung, sondern zweckgebunden auch für die Finanzierung und Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems zur Verfügung gestellt werden könnte.

Um Gesundheitsdaten kollektiv zu nutzen, sind 2019 mit dem Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation das FDZ als Teil des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das sogenannte Datentransparenzverfahren eingeführt worden. Danach sind seit dem 1. Oktober 2022 die Abrechnungsdaten aller GKV-Versicherten pseudonymisiert von den Krankenkassen über die zentrale Datensammelstelle beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) an das FDZ zu übermitteln. Hier werden Sie zu einem zentral gespeicherten Datenpool zusammengeführt und können Anträge zur Nutzung der Daten für Gemeinwohl orientierte wissenschaftliche Forschungsfragen gestellt werden. Beides mit dem Ziel, auf der Basis von Datenanalysen die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern.

Beitragszahler sollten finanziell partizipieren

Bislang war umstritten, ob die Nutzung und der Zugang zu diesen medizinischen Datenmengen auch der forschenden Industrie gewährt werden sollte. Dies soll sich nun ändern und primär auf den Zugriffszweck abgestellt werden. Was das konkret bedeutet ist noch unklar, könnte aber dahingehend präzisiert werden, dass auf den Zweck der geplanten Weiternutzung abzustellen ist.

Dient die Nutzung nachweisbar der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, liegt darin ein gesamtgesellschaftlicher Mehrwert, der mit einem Zugang zu Daten aus dem Sozialversicherungssystem vereinbar wäre. Verfolgt die Nutzung primär ökonomische Zwecke mit unklarer Versorgungsrelevanz, sollte in pflichtgemäßem Ermessen darüber entschieden werden, ob Zugang und Nutzung verwehrt werden. In Mischkonstellationen, bei denen ökonomische Interessen neben einem gesellschaftlichen Mehrwert bestehen, wären in dieser Logik Zugang und Nutzung zu gestatten. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich mit der Erweiterung der Zugriffsberechtigung und der nunmehr klarer werdenden Ökonomisierung auch die Bedeutung des Datenpools ändert. Die Gesundheitsdaten der Versicherten bekommen eine Wertigkeit, die der eines Rohstoffs gleicht.

Zudem finanzieren sie mit ihren Beitragssätzen mittelbar die Umsetzung des Datentransparenzverfahrens und damit die Infrastruktur, die den Datenschatz zugänglich macht. Das ist nur dann legitim, wenn sie sich bewusst dafür entscheiden und rechtfertigt einen Anspruch der Beitragszahler, an der Nutzung durch einen zweckgebundenen monetären Ausgleich zur Verringerung ihrer Beitragssätze zu partizipieren. Bezüglich der Höhe dieser Zahlungen könnte dabei nach rechtssicheren Kriterien – wie zum Beispiel der Qualität der Daten – differenziert werden.

Im Einzelnen ergeben sich folgende Vorteile und Potenziale:

• Mittel zur Systemfinanzierung für die Erfüllung der staatlichen Finanzierungsverantwortung durch eine zusätzliche und nachhaltige, von der Haushaltslage unabhängige wertschöpfungsorientierte Mittelzirkulation

• Verhinderung von Leistungskürzungen und Finanzierungsmodellen mit Selbstbehalt, Sonderabgaben oder Anpassungen der Beitragsbemessungs- bzw. Geringfügigkeitsgrenze

• Versorgungsverbesserung durch die Ermöglichung eines erweiterten Leistungsspektrums

• Starke Krankenkassen, die ihren Beitragszahlern durch eine selbstbestimmte, sichere und transparente Verwendung/Nutzung ihrer Daten Zugang zu einer hochwertigen Versorgung mit sozialverträglichen Beitragssätzen gewähren

• Stärkung der Bürgerrechte durch eine transparente, eigenverantwortliche und nachhaltige Beteiligung an der Wertschöpfungskette des Gesundheitssystems

• Vertrauen der Bürger, dass die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nicht durch die kostenfreie Nutzung von Gesundheitsdaten maßgeblich von den Beitragszahlern mit- und refinanziert wird

• Aufwertung des Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch zeitgemäße Nutzungsbedingungen für Gesundheitsdaten

• Transparente Übersicht zu laufenden Forschungsprojekten und Forschungskooperationen, auch im privatwirtschaftlichen Bereich

• Präventionsdaten als gemeinsame Schnittmenge der Kranken- und Pflegeversicherung

Eine Frage der Sicherheit

Um diese Vorteile bei den Menschen ankommen zu lassen, benötigen wir andere Sicherheiten als bisher. Ausgehend von der Annahme, dass die Versicherten transparent informiert selbst darüber entscheiden, wofür, wann, gegenüber wem und in welchem Umfang sie ihre Daten zur Verfügung stellen, wird ein normativer Rahmen für eine einheitliche und datenschutzkonforme Verarbeitung und Nutzung der Gesundheitsdaten gebraucht. Nicht nur im Verhältnis zu den behandelnden Ärzten und Leistungserbringern, sondern auch in Bezug auf die Verwendung in der Wissenschaft und Forschung.

Dabei ist es auch eine Frage der Sicherheit, im Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten zu gewährleisten, dass es bei Untersuchungen und Behandlungen überhaupt erst einmal zu einem ordentlich ausgewerteten und austauschfähigen Datensatz kommt. Benötigt wird ein DSGVO konformes Datenschutz- und -nutzenkonzept, das unter anderem Rahmenvorgaben für einheitlich definierte international anerkannte technische Standards, Normen, Terminologien und Interoperabilitätsprofile enthält. Auch für KI-basierte Datenanalysen, um die notwendige Datenqualität für deren Anwendung und zugleich vor allem auch den notwendigen Schutz bei Haftungs- und Sicherheitsfragen zu gewährleisten.

Wem gehören die Daten?

Ausgehend vom Kern einer menschenzentrierten Versorgung stellt sich dabei vor allem eine Frage: Wem gehören die Daten? Denkbar wäre es, die konkrete Frage des Eigentums an personenbezogenen Gesundheitsdaten in Anlehnung an beziehungsweise mittels Integration in die Systematik des Sachenrechts zu lösen. Allerdings sind Daten nicht eigentumsfähig. Sie können es aber werden, wenn wir ihnen diese Eigenschaft kraft Gesetzes durch eine entsprechende Anwendung der für Sachen geltenden Vorschriften zuweisen.

Viele aktuelle Fragen ließen sich leichter lösen, wenn man diesen Weg ginge. Gesundheitsdaten wären als eigentumsgleiche Rechtsgüter ein Teil des Schutzbereichs der grundrechtlich geschützten Eigentumsgarantie und Gegenstand eines Freiheitsraums im vermögensrechtlichen Bereich. Mit einem solchen Grundrechtsschutz ließe sich über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auch eine bundesweite Harmonisierung der Rechtslage zum Gesundheitsdatenschutz und dem Gesundheitsdatennutzen auf Basis der DSGVO erreichen.

Bei alldem stellt sich auch die Frage, ob Solidarität im Zeitalter der digitalen Transformation bedeutet, Gesundheitsdaten eigenverantwortlich und bewusst zu teilen, um mit ihnen einen transparenten individuellen und kollektiven Mehrwert zu generieren? In unserer Entscheidung darüber sind wir frei! Eine entsprechende „Bürgerpflicht“ gibt es nicht. Wir sollten aber im Blick behalten, dass es in der Natur der Sache liegt, Daten im Rahmen digitaler Transformationsprozesse nutzbar zu machen und damit auch einen Wert zu generieren. Es liegt an uns zu fordern, entsprechend darüber zu entscheiden und daran zu partizipieren.

Dr. iur. Silvia Woskowski, LL.M. ist Rechtsanwältin in Berlin. Im Fokus ihrer beruflichen Tätigkeiten stehen insbesondere gesellschaftspolitische und rechtliche Systemfragestellungen der Präzisionsmedizin und der Digitalisierung des Gesundheitswesens im nationalen und europäischen Kontext. Erwin Rüddel ist Bundestagsabgeordneter der CDU und seit 2022 Berichterstatter der Unionsfraktion für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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