Impfungen sind eine der größten Errungenschaften der Medizin. Mit einem niedrigschwelligeren Impfangebot könnten wir in Deutschland noch mehr daraus machen.
Die Relevanz moderner Impfstoffe konnten wir zuletzt während der Covid-19-Pandemie eindrucksvoll erleben. Doch der Kampf gegen Infektionskrankheiten währt schon viel länger. Seit mehr als 200 Jahren forschen Wissenschaftler:innen für die menschliche Immunisierung. Angetrieben vom technologischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts und der verstärkten Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie konnten sie dabei enorme Fortschritte verzeichnen.
So wird beispielsweise die mRNA genutzt, um dem Körper Baupläne zu übermitteln, die seine Immunabwehr auslösen. Oder Säuglinge werden mithilfe des Prinzips der maternalen Impfung ab dem ersten Atemzug vor Krankheitserregern geschützt – beispielsweise vor dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) oder Keuchhusten. Wir können heute die Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft vor gefährlichen Infektionskrankheiten bewahren.
Nur 43 Prozent der Älteren sind gegen Grippe geimpft
Trotzdem setzen wir in Deutschland noch zu wenig auf Impfungen. Im Jahr 2022 haben sich lediglich rund 43 Prozent der über 60-Jährigen gegen Grippe impfen lassen. Nicht einmal die Hälfte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Europäische Union (EU) empfehlen eine Durchimpfungsrate von 75 Prozent bei Risikogruppen. Andere Länder kommen diesem Wert deutlich näher: In Dänemark ließen sich im selben Jahr 78 Prozent der über 65-Jährigen impfen. In Irland waren es rund 76 Prozent und in Spanien knapp 70 Prozent. Impfungen retten Leben, das lässt sich klar beziffern. Die Europäische Kommission schätzt, dass Impfungen gegen die saisonale Grippe allein in der EU schon heute bis zu 37.000 Todesfälle pro Jahr verhindern.
Aber damit nicht genug. Selbst zur Gesundheit unserer Wirtschaft können Schutzimpfungen beitragen. Ausgeprägte Grippewellen und andere Atemwegserkrankungen haben im letzten Jahr zu einem hohen Krankenstand geführt, der Deutschland 2023 sogar in die Rezession gedrückt hat. Mitte Dezember hatten laut Robert Koch-Institut (RKI) knapp zehn Prozent der Deutschen eine akute Atemwegsinfektion. Das entspricht 7,9 Millionen Krankheitsfällen. Ohne die überdurchschnittlich hohe Anzahl an Krankentagen wäre die deutsche Wirtschaft wohl um knapp 0,5 Prozent gewachsen.
Unkenntnis und bürokratische Hürden
Niedrige Impfquoten liegen nicht daran, dass viele Menschen Impfskeptiker sind. Viel stärker ins Gewicht fällt, dass viele Erwachsene nicht wissen, dass sie einen Anspruch auf bestimmte Impfungen haben, dass sie oder dass Impftermine für sie schwer zu organisieren sind. Hier lohnt es sich, mit mehr niedrigschwelligen Angeboten konkret anzusetzen, etwa durch Impfungen in Apotheken.
Apotheker:innen verfügen über die notwendige Fachkompetenz. Zudem sind Apotheken mit ihren rund 17.500 Standorten gut erreichbar und bieten die Immunisierung häufig auch ohne Termin an. Was in einigen Apotheken schon heute bei Grippe und Covid-19 möglich ist, sollte in Deutschland auf alle Totimpfstoffe ausgeweitet werden. Eine Modellierung zeigt: Wären Impfungen bundesweit in Apotheken möglich, könnten rund 7,5 Millionen Menschen zusätzlich gegen Grippeviren, Pneumokokken und FSME-Viren geimpft werden. Frankreich macht es vor.
Sabine Gilliam ist Country Präsidentin des Arznei- und Impfstoffherstellers Pfizer in Deutschland.