Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung ist so prekär wie schon lange nicht mehr. Der unerwartete Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatte über viele Jahre zu einer relativ komfortablen Finanzsituation geführt. Inzwischen hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jedoch ein Plateau erreicht und ist aktuell sogar rückläufig. Ob es gelingen wird, in den nächsten Jahren durch gesteuerte Zuwanderung einen Ausgleich für das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben zu schaffen, ist mehr als fraglich.
Auf der anderen Seite haben viele gesundheitspolitische Gesetze der letzten 15 Jahre ausgabensteigernd gewirkt. Dies hat zu dem heutigen Defizit geführt, das ohne politische Eingriffe, insbesondere dringend notwendige Strukturreformen, weiter steigen wird. Anders als in der Pflegeversicherung hat die demographische Entwicklung bisher übrigens nur einen geringen Anteil an der Ausgabenentwicklung der GKV.
Mögliche Maßnahmen der kommenden Regierung
Natürlich werden wir sehen, dass die künftige Koalition einen Teil des Defizits durch Umschichtungen im Bundeshaushalt über Steuermittel ausgleichen wird. Das ist nicht nachhaltig, erscheint aber kurzfristig geboten. Darüber hinaus werden wir kurzfristige Kostendämpfungsmaßnahmen sehen, zum Beispiel die Erhöhung des Zwangsrabatts für Arzneimittelhersteller.
Die in Aussicht gestellten Infrastrukturmilliarden, auch für das Gesundheitswesen, kommen in dieser Situation gerade recht. Schon werden von verschiedenen Seiten erste Forderungen laut, die Mittel auch zur Deckung von Defiziten in den Krankenhäusern zu verwenden. Andere wittern die Chance, längst überfällige Erhaltungsinvestitionen in Krankenhäusern zu tätigen, für die eigentlich die Länder aufkommen müssten.
Sondervermögen als Fluch fürs Gesundheitswesen
Selbstverständlich bietet das Sondervermögen eine große Chance, dringend notwendige Investitionen in Krankenhäuser und ambulante Strukturen endlich im erforderlichen Umfang zu tätigen. Gleichzeitig besteht aber die große Gefahr, dass die Mittel mit der Gießkanne überwiegend in Erhaltungsinvestitionen fließen und damit im Grunde überkommene Strukturen im deutschen Gesundheitswesen zementiert und zukünftige Strukturreformen sogar erschwert werden.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollte sich die künftige Koalition darauf verständigen, die Mittel nur für Veränderungsinvestitionen auszugeben, die aufgrund von Strukturreformen notwendig sind. Dies lässt sich am besten an der seit zehn Jahren diskutierten notwendigen Reform der Notfallversorgung verdeutlichen. Hauptziel der nächsten Jahre sollte es sein, die im internationalen Vergleich extrem hohen Belegungstage in der stationären Versorgung zu senken und damit auch den Druck auf immer mehr Fachkräfte zu reduzieren.
Was die Reform der Notfallversorgung bewirken könnte
Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege, der das Bundesgesundheitsministerium und die Parlamente berät, hat in den letzten Jahren berechnet, dass eine Reform der Notfallversorgung den mit Abstand größten Effekt aller Reformen auf die Belegungstage hätte. So könnte durch diese Reform ein Viertel aller Belegungstage in deutschen Krankenhäusern reduziert werden. Das hieße nicht nur, dass mehr Personal für schwere Fälle zur Verfügung stünde, sondern auch, dass viele Abteilungen und ganze Krankenhäuser nicht mehr oder anders gebraucht würden.
Genau hier käme das Sondervermögen ins Spiel, denn es werden Mittel benötigt, um Notaufnahmen in Krankenhäusern so umzubauen, dass dort auch der kassenärztliche Bereitschaftsdienst untergebracht werden kann. Aber auch der Umbau nicht mehr benötigter Fachabteilungen und Krankenhäuser könnte so finanziert werden. Gleichzeitig würde die Bereitstellung der Mittel die Akteure ermutigen, die notwendigen Veränderungen im Sinne der Patientinnen und Patienten anzugehen. Würden wir jedoch im Status-quo ohne Reform der Notfallversorgung sofort investieren, bestünde die Gefahr, dass wir Milliarden in Krankenhäuser oder einzelne Abteilungen investierten, die wir eigentlich in der Form nicht mehr benötigen.
Sondervermögen an Strukturreformen koppeln
Eine ähnliche Problematik kann für eine Reihe von anstehenden Strukturreformen aufgezeigt werden. Die Mittel aus dem Sondervermögen sollten daher an Strukturreformen gekoppelt werden und nur für Veränderungsinvestitionen ausgegeben werden.
Wenn dieser Grundsatz beherzigt wird, könnten die Mittel aus dem Sondervermögen in Verbindung mit Strukturreformen einen erheblichen positiven Effekt auf die Ausgabenentwicklung in der GKV haben. Letztlich ist dies auch der einzige Weg, den Finanzhaushalt der GKV nachhaltig zu sanieren.
Prof. Dr. Jonas Schreyögg, ist wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics an der Universität Hamburg und stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege.