Standpunkte Kosten senken, Effizienz steigern, Sicherheit erhalten

Die Idee der Selbstverwaltung sollte wieder stärker gelebt werden, schreibt der Geschäftsführer der Informationstechnischen Servicestelle der Gesetzlichen Krankenversicherung, Stefan Haibach, in seinem Standpunkt. Dazu müsse auch die digitale Souveränität im Gesundheitswesen gestärkt werden. Was braucht es für einen grundlegenden Wandel?
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Jetzt kostenfrei testenDie Zeitenwende macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Digitale Souveränität ist vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen und großer Abhängigkeiten wichtiger denn je. Dabei geht es nicht allein um Fragen der Daten- und Cybersicherheit, sondern zunehmend auch darum, welche Fähigkeiten uns überhaupt verlässlich zur Verfügung stehen, welche Regeln und Standards gelten und ob eine langfristige Finanzierbarkeit sichergestellt werden kann. Deshalb müssen jetzt die Grundlagen dafür gelegt werden, dass wir uns digital souveräner aufstellen können.
Um die digitale Souveränität im Gesundheitswesen zu stärken, braucht es einen grundlegenden Wandel in drei zentralen Bereichen. Erstens ist ein neuer Blick auf die Regulierung im technologischen Bereich notwendig. Wer technologische Souveränität will, muss die heimischen Akteure fördern, nicht immer nur fordern, denn zu oft hemmen Bürokratie und sich überlagernde Zuständigkeiten die digitale Transformation. Statt realitätsferner Dokumentationspflichten muss die Regulierung praktikable Lösungen ermöglichen, die sowohl den Datenschutz als auch eine effiziente IT-Umsetzung gewährleisten. Andernfalls bleiben deutsche Akteure im Gesundheitswesen auf ausländische Anbieter angewiesen – ein Risiko für Zukunftsfähigkeit und Souveränität.
Entschlossenes Zusammenwirken
Personal, Know-how und Fähigkeiten sind nur sehr schwer aufzubauen, aber sehr leicht zu verlieren. Wir brauchen deshalb zweitens eine aktive, auf Souveränität ausgerichtete Industriepolitik im IT-Bereich. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die den Aufbau eigener Infrastrukturen unterstützen und technologische Innovationen in Deutschland halten. Made in Germany, saved in Germany. Ziel muss die Stärkung eines nationalen bzw. europäischen Ökosystems sein, denn nur so lassen sich nachhaltige, sichere und kosteneffiziente Lösungen etablieren, die nicht von außereuropäischen Tech-Konzernen abhängig sind. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Ansatz mittel- und langfristig auch unter kommerziellen Gesichtspunkten auszahlt, da wir so einerseits die teils gewaltigen Adaptionsaufwände zur Anpassung an die speziellen nationalen Prozesse reduzieren und andererseits wettbewerbs- und marktfähige Produkte etablieren können.
Drittens erfordert die Umsetzung einer souveränen IT ein entschlossenes Zusammenwirken aller relevanten Akteure – von BSI und Gematik über die Organe der Selbstverwaltung bis hin zu spezialisierten Dienstleistern wie der Informationstechnischen Servicestelle der Gesetzlichen Krankenversicherung (ITSG). Gerade im Gesundheitswesen, wo hochsensible Daten verarbeitet werden, ist ein gemeinsamer Ansatz essenziell. Eine starke digitale Selbstverwaltung kann die Bedarfe passgenau und effizient erfüllen und Sicherheit, Betreibbarkeit sowie Innovationsfähigkeit stärken.
Technologische Herausforderungen müssen technisch gelöst werden, nicht politisch. Wir brauchen den Staat deshalb nicht als IT-Dienstleister, sondern als Impulsgeber und Ermöglicher. Es ist an der Zeit, die Knoten zu durchschlagen. Die nächste Regierung sollte sich dafür auf die regulatorischen und strategischen Weichenstellungen konzentrieren, um die digitale Selbstverwaltung zu stärken und so ein zukunfts- und leistungsfähiges Gesamtsystem zu gewährleisten.
Expertise und Verlässlichkeit
Wie der Gedanke der Selbstverwaltung im Allgemeinen sind auch IT-Projekte und -Prozesse in den letzten Jahren zunehmend Gegenstand politischer Diskussionen geworden. Damit wurde auch das IT-Ökosystem in Frage gestellt, dass für die fachliche und technische Integration und damit die Umsetzung der politischen Forderungen unerlässlich ist. Im Ergebnis wurde zwar vieles immer teurer, aber nur wenig besser. Die IT-Systeme müssen vor allem nah an den realen Herausforderungen und Nutzerinnen sein, nicht nah an politischen Diskussionen.
Die Bürgerinnen und Bürger bzw. die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler erwarten zurecht, dass wir die Prozesse und auch die Kosten im Griff haben. Weil die Entwicklung und der Betrieb von IT-Systemen dabei aber eben nicht Plug-and-Play funktionieren, wie wir es im Privatleben beispielsweise von den Smartphones gewohnt sind, sind händische Arbeit und spezielles Know-how in der Praxis oft der limitierende Faktor.
Um die Sicherheit und Souveränität unserer Systeme dauerhaft in eigenen Händen zu behalten oder zurückzuholen, sind deshalb Verlässlichkeit und Planbarkeit die wichtigsten Voraussetzungen. Gleiches gilt für den Umgang mit Technologien wie KI oder Know-how im Bereich der Cybersicherheit.
Baustein für eine lebendige und leistungsfähige Demokratie
Die Akteure der Selbstverwaltung und ihre Aufgaben müssen deshalb dringend wieder gestärkt und gesetzlich verankert werden. Die technologische Umsetzung und der Betrieb von politisch induzierten Projekten müssen in der Verantwortung der Selbstverwaltung und ihrer Organisationen bleiben.
Wir müssen die Idee der Selbstverwaltung wieder stärker leben. Sie hat die Mitwirkung im Sinne der Eigenverantwortung zum Ziel. Aufgaben sollen also da gelöst werden, wo sie entstehen – gerade vor dem Hintergrund der speziellen Bedarfe und hohen Ansprüche. Die Selbstverwaltung kennt die Anforderungen der beitragszahlenden Versicherten und Unternehmen am besten und kann deshalb auch die geeigneten Lösungen dafür entwickeln. Sie macht aus Betroffenen Beteiligte und ist deshalb ein wichtiger Baustein für eine lebendige und leistungsfähige Demokratie.
Stefan Haibach ist seit Juli 2022 der Geschäftsführer der ITSG. Der gelernte Krankenkassenfachwirt arbeitet seit über 25 Jahren in der Digitalisierung des Gesundheitswesens.
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