Die ambulante Versorgung in Deutschland steht vor einem Umbruch: Fehlende Nachfolgerinnen und Nachfolger, die geänderten Erwartungen an den Beruf der Ärztin beziehungsweise des Arztes, der medizinisch-technische Fortschritt, steigende Ansprüche auf Seiten der Patientinnen und Patienten, sowie steigende Investitionsbedarfe und Kostendruck. Die damit einhergehenden Entwicklungen erfordern neue Antworten und angepasste Strukturen. Im Zentrum der nötigen Weiterentwicklung der ambulanten Strukturen müssen die medizinische Qualität, das Patientenwohl und die Bedürfnisse des medizinischen Personals stehen.
In der aktuellen Diskussion wird aber so getan, als stammten die Probleme in der ambulanten Versorgung aus einer bestimmten Träger- oder Inhaberschaft. Diesen Gedanken halte ich für absurd. Ein „gutes“ MVZ macht sich nicht an den Gesellschaftern fest, sondern an den dort tätigen Ärztinnen und Ärzten. Es macht sich fest an gut ausgebildetem medizinischem Fachpersonal, moderner Medizintechnik, effizienten Strukturen und Prozesse, Compliance-Regeln und einem etablierten Qualitätsmanagement.
Strukturelle Fragen im Vordergrund
Die öffentliche Diskussion der letzten Monate und Jahre krankt an eben dieser Fixierung auf die Träger- und Inhaberschaft, statt sich auf die eigentlichen strukturellen Fragen zu konzentrieren, die für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der vertragsärztlichen Versorgung relevant sind:
Wie stellen wir auch in Zukunft die Versorgung, bei einer absehbaren Pensionswelle in der haus- und fachärztlichen Versorgung und bei einer gleichzeitigen immer weiter sinkenden Bereitschaft der selbstständigen Niederlassung sicher?
Welche Strukturen und Arbeitsmodelle müssen wir vorhalten, damit wir den Ansprüchen der jüngeren Ärztinnen- und Ärztegeneration gerecht werden?
Wie können wir die Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen, Ärzten und medizinischem Fachpersonal auch in ambulanten Strukturen stärken und ausbauen, um die notwendigen Fachkräfte für morgen auszubilden?
Wie soll der wachsende Finanzierungsbedarf gestemmt werden, den eine moderne und qualitativ hochwertige Praxis benötigt?
Und wer soll – beziehungsweise wer will und darf heute noch – das unternehmerische und finanzielle Risiko tragen?
Eine Antwort auf all diese Fragen, wenn auch mit Sicherheit nicht die einzige, sind MVZ-Gruppen. Das Bündeln von Ressourcen, die Vernetzung und Kooperation unter Ärztinnen und Ärzten, die Arbeitsteilung innerhalb des MVZ zwischen verschiedenen Berufsgruppen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht es, flexibler und adäquat auf die gewandelte Notwendigkeit zu reagieren.
Investitionsmittel sind schnell verfügbar
Die Gruppenbildung ist auch kein Phänomen, dass rein investorengetrieben ist, sondern findet sich auch in anderen Träger- und Inhaberschaften wieder. Der Vorteil bei der Zusammenarbeit mit Fremdkapitalgeber ist jedoch, dass die notwendige Anpassung von Versorgungsstrukturen schnell und umfassend die notwendigen Investitionsmittel erhält.
Ein regulatorischer Eingriff, der das Engagement von Kapitalgebern de facto verhindern würde, ändert nichts an den Notwendigkeiten. Vielmehr würde sie Lücken in die haus- und fachärztliche Versorgung reißen und dazu führen, dass die begonnene Transformation hin zu zukunftsfähigen Versorgungsstrukturen abgewürgt wird. Davon abgesehen, dass sich bei weiteren Einschränkungen auf Träger- oder Inhaberschaft bereits die Frage der Verfassungskonformität stellt.
Eine zielführende Diskussion wird nur gelingen, wenn der Realität ins Auge geschaut wird: Wir sind in der Situation, in der wir jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer in der vertragsärztlichen Versorgung benötigen. Ein Bekenntnis von Politik und vor allem der Selbstverwaltung ist überfällig und der erste Schritt für einen Plan zur Erfüllung des Sicherstellungsauftrages. Dann kann in einem zweiten Schritt über die wichtigen Punkte der fairen und ausgeglichenen Wettbewerbsbedingungen für alle, die bestmögliche Qualität der ambulanten Versorgung, ohne Leistungseinengungen und vor allem die Sicherstellung der ärztlichen Unabhängigkeit, diskutiert werden.
Klare Rechtslage
Gerade Letzteres ist ein häufig genannter Punkt, was ich gut nachvollziehen kann. Allerdings haben wir heute schon eine klare Rechtslage zum Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit, wie auch das MVZ-Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit bestätigt.
Die gesetzlichen, berufs- und arbeitsrechtlichen Vorgaben sind klar und gewähren bereits heute angestellten Ärztinnen und Ärzten als Angehörige eines freien Berufs vollständige Weisungsfreiheit in medizinischen Fragen. Zudem würden Ärzte – allzumal wo sie sich den Arbeitgeber in der aktuellen Lage frei aussuchen können – eine Bevormundung schlicht nicht akzeptieren.
Man möge bitte überlegen welche Diskussion geführt würde, wenn Ärzte in den letzten Jahrzehnten in der Regel auch in der ambulanten Versorgung angestellt gewesen wären und nun einige sich selbstständig machen würden und eins-zu-eins am Gewinn ihrer Praxis profitieren würden. Bei diesem Gedankenexperiment wird deutlich, dass die Trägerschaft einer ambulanten Gesundheitseinrichtung nicht mit der Redlichkeit der dort tätigen Ärzte korreliert.
Man muss aber bedauerlicherweise feststellen, dass prominente Vertreter der (noch) überwiegend selbstständig tätigen Ärzte genau diesen Eindruck vermitteln wollen. Wer die Prognosen – insbesondere die der Kassenärztlichen Vereinigungen – liest, muss zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns eine Begrenzung der ambulanten Anbieterstrukturen nicht leisten können.
Dr. med. Kaweh Schayan-Araghi, Stellv. Vorsitzender BBMV – Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren und Gründer, Ärztlicher Direktor und Gesellschafter Artemis Augenkliniken und MVZ