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Standpunkte „Pflexit“ oft hausgemacht

Foto: Kai Abresch

Die Pflegebranche darf, geht es um den Fachkräftemangel, nicht reflexhaft nach der Politik rufen, sondern habe es selbst in der Hand, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dabei gehe es nicht allein um Geld, sagt der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus.

von Andreas Westerfellhaus

veröffentlicht am 31.01.2020

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Der Pflegeberuf ist attraktiv und erfüllend wie nur wenig andere – wenn die Rahmenbedingungen es denn zulassen. Viele Pflegekräfte arbeiten aber am Limit. Immer häufiger berichten mir Pflegekräfte, dass ihnen die Zeit fehlt für eine gute Pflege und Zuwendung. Sie sind unzufrieden und fordern: mehr Kollegen, mehr Zeit, mehr Anerkennung. Ihre Abstimmung mit den Füßen den Beruf zu verlassen – der Pflexit – verstärkt weiter den Teufelskreis, den wir in der Pflege erleben. Mittlerweile müssen die meisten Pflegeeinrichtungen regelmäßig anfragende Pflegebedürftige mangels Personal ablehnen.

Die gute Nachricht ist: Dass wir in einer Branche mit Fachkräftemangel überhaupt über staatliche Maßnahmen für bessere Arbeitsbedingungen reden müssen, liegt nicht am Pflegeberuf selbst. Pflegekräfte genießen aus gutem Grund bei den meisten Menschen so viel Respekt wie sonst nur Feuerwehr und Polizei. Diese Anerkennung müssen Pflegekräfte jetzt aber auch bei der Arbeit deutlicher spüren. Denn der Fachkräftemangel in der Pflege ist zu oft hausgemacht. Schlechte Arbeitsbedingungen sind aber nicht in Stein gemeißelt, sondern veränderbar – auch in der Pflegebranche. Während etwa im Chemiesektor Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam und ganz selbstverständlich für Tarifentlohnung sorgen, Demographiefonds anlegen und innovative Arbeitszeiten anbieten, wird in der Pflegebranche erstmal laut nach der Politik gerufen.  

Sicherlich ist die sozialversicherungsfinanzierte Versorgung von Pflegebedürftigen etwas anderes als die Herstellung von Chemikalien. Gleichwohl sollte auch in der Pflegebranche jeder Unternehmer ein eigenes Interesse daran haben, ausreichend viele und vor allem zufriedene Beschäftigte zu haben, um seine die Patienten und Pflegebedürftigen angemessen versorgen zu können. Und jeder Kostenträger in der Pflege muss endlich auch bereit sein, beim Personal genug ausgeben, um seinen gesetzlichen Sicherstellungsauftrag gerecht zu werden. 

Wenig Licht und viel Schatten

Hier gibt es leider eher wenig Licht aber viel Schatten. Beispielsweise sind stabile Dienstpläne kein Hexenwerk, auch nicht bei einem Pflegedienst. Selbstverständlich sollte auch sein, wenn die Pflegebranche im Wettbewerb mit anderen Branchen um Nachwuchskräfte mithalten möchte, dass fair entlohnt wird – sowohl im Krankenhaus als auch in der  Pflegeeinrichtung oder beim ambulanten Pflegedienst.  

Der Ruf der Pflegebranche nach der Politik wird gehört. Nie gab es mehr Gesetze und Maßnahmen für die Pflege und gegen den Fachkräftemangel. Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr und hat die Rahmenbedingungen gesetzt für faire Löhne, eine bessere Personalausstattung im Krankenhaus und Pflegeheim, modernere Ausbildung etcetera. Weitere Schritte müssen und werden folgen, zum Beispiel müssen ambulante Pflegedienste mehr Geld von den Pflegekassen für ihre Leistungen bekommen und nicht mehr mit hunderten Krankenkassen verhandeln müssen, damit sie ihren Beschäftigten faire Löhne zahlen können. Außerdem werden wir die Aufgabenverteilung zwischen Ärzten, Pflegekräften und anderen Gesundheitsfachberufen unter die Lupe nehmen. Denn Pflegefachkräfte brauchen attraktive Aufgaben gemäß ihrer hohen Qualifikation und müssen gleichzeitig von Hilfstätigkeiten entlastet werden. 

Neben all den Bemühungen der Bundesregierung muss eines aber klar bleiben: Gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne sind nicht die originäre Aufgabe der Politik, sondern Sache der Sozialpartner. Nur Arbeitgeber und Kostenträger werden es gemeinsam schaffen, das angekratzte Image der Pflegebranche aufzupolieren durch mehr Kolleginnen und Kollegen, mehr Zeit und mehr Anerkennung. Die Träger von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben in der Konzertierten Aktion Pflege zugesagt, konkret beschriebene Stellschrauben zu drehen. Dazu gehören Rückgewinnungsprogramme für Pflegekräfte, die den Beruf verlassen haben, Aufstockerprogramme für Teilzeitkräfte, die mehr arbeiten wollen, sowie flexible und mitarbeiterorientierte Arbeitszeitmodelle. Ob Rückgewinnung, Teilzeitaufstockung oder Anwerbung aus dem Ausland – Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg aller Bemühungen sind vernünftige Arbeitsbedingungen. Daher ist eine konsequente Umsetzung der Konzertierten Aktion so entscheidend. Ob wir künftig genügend Pflegekräfte finden werden, hängt jetzt von der Entschlossenheit der Akteure ab. Das gilt auch für die Verhandlung von Tarifverträgen. 

Die Branche ist am Zug

Eine Ausrede werde ich nicht gelten lassen: den Hinweis auf steigende Eigenanteile und das Finanzierungssystem der Pflegeversicherung. Bundesminister Spahn hat bereits angekündigt, bis Mitte nächsten Jahres eine Reform der Pflegefinanzierung vorzulegen. Für mich ist klar, dass die Kosten für mehr Personal und höhere Löhne in der Pflege nicht allein bei den Pflegebedürftigen landen dürfen. Außerdem: Es gibt schon heute Pflegeeinrichtungen, die zeigen, dass es geht. In einem Projekt werde ich demnächst Pflegeeinrichtungen dabei unterstützen, erfolgreiche Praxisbeispiele für vernünftige Arbeitsbedingungen bei sich umzusetzen. 

Jetzt ist die Pflegebranche am Zug. Ich werde genau hinschauen, ob die Akteure der Konzertierten Aktion ihre Versprechen tatsächlich erfüllen und werde Ross und Reiter nennen, wenn vereinbarte Maßnahmen ausgesessen werden. „Pflexit hausgemacht“ – sollte schnell der Vergangenheit angehören. 

Andreas Westerfellhaus ist als Pflegebevollmächtigter dem Bundesgesundheitsministerium zugeordnet. Dort hat er den Posten eines Staatssekretärs inne. Westerfellhaus ist ausgebildeter Krankenpfleger und leitete die Krankenpflegeschule der Westfälischen Kliniken in Gütersloh.


 

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