Beim aktuellen Kampf gegen Krankheitsausbrüche wie Polio in Gaza und Mpox in zahlreichen afrikanischen Ländern darf eins nicht vergessen werden: Frauen sind ein wesentlicher Teil der Lösung. Das ist eine der wichtigsten Lektionen im Bereich der globalen Gesundheit.
Sichtbar wird das zum Beispiel bei der Kinderlähmung: Diese hoch ansteckende vom Poliovirus ausgelöste Krankheit verursacht Lähmungen und kann sogar zum Tod führen. Meist liegt es in der Verantwortung der Frauen, dass die Kinder geimpft werden. Doch häufig sind sie mit geschlechtsspezifischen Barrieren konfrontiert. Durch die vielen verschiedenen Aufgaben und Rollen, die Frauen übernehmen, müssen sie zwischen zahlreichen Prioritäten abwägen. Oft haben sie nur begrenzte Mittel für Transportkosten und unzureichenden Zugang zu Informationen über den Schutz vor Krankheiten. Diese Faktoren müssen bei der Planung und Umsetzung von Impfprogrammen berücksichtigt werden. Damit die Programme schneller wirken und mehr Menschen erreichen. Kurz gesagt: Wenn wir das Ziel, Polio auszurotten, erreichen wollen, dann müssen wir Möglichkeiten finden, die geschlechtsspezifischen Hürden auszuräumen.
Überwindung von Polio durch Überwindung der Barrieren für Frauen
Ein erfolgreiches Beispiel findet sich in Malawi. Im Februar 2022 – gerade einmal zwei Jahre, nachdem der afrikanische Kontinent für poliofrei erklärt worden war – entdeckten die Behörden Fälle von Wildpolio in der Hauptstadt Lilongwe. In den folgenden Monaten wurden in Malawi und vier Nachbarstaaten im südlichen Afrika über 50 Millionen Kinder geimpft. Zugleich wurden die medizinische Überwachung und die Informationsarbeit auf lokaler Ebene hochgefahren. Innerhalb von 26 Monaten konnte der Ausbruch beendet werden. Was war der Grund für den Erfolg? Die Antwort ist einfach: Man hatte die Frauen mitgedacht. Bei der Gestaltung der Maßnahmen wurde auf die Rollen, Einstellungen und Überzeugungen der betroffenen Frauen und Mütter geachtet.
Die Gesundheitsfachkräfte konnten die geschlechtsspezifischen Hürden für das Impfen überwinden, indem sie die Impfteams paritätisch mit Männern und Frauen besetzten. So konnten sie die betroffenen Menschen vor Ort auf dem Markt, in der Schule und in den örtlichen Gesundheitseinrichtungen erreichen und den Dialog mit Männern wie auch Frauen fördern. Damit wurde sichergestellt, dass alle über die Impfkampagnen Bescheid wussten und zur Teilnahme ermutigt wurden. Zudem erhoben die Fachkräfte aufgeschlüsselte Daten, um zu sehen, ob Mädchen und Jungen bei den Impfungen ungleich erfasst wurden, und konnten entsprechend reagieren. Letztendlich verbesserte sich so der Zugang zu Impfungen und die Nutzung der Impfangebote. Afrika ist heute weiterhin frei von Wildpolio.
Durch solche geschlechtergerechten Ansätze wird die endgültige Ausrottung von Polio möglich – auch in den letzten zwei Ländern, wo die Krankheit noch endemisch ist. So gibt es in Pakistan bereits eine Reihe von Programmen mit auf Frauen ausgerichteten Ansätzen. Die Genderperspektive muss aber noch stärker durchgängig verankert werden. Und es braucht mehr Frauen, die führend an der Planung von Impfkampagnen beteiligt sind.
HPV: Kreative Ansätze bei Impfkampagnen
Ein anderes Beispiel ist die Bekämpfung des humanen Papillomvirus (HPV). Es ruft Gebärmutterhalskrebs hervor. Daran sterben jährlich über 350.000 Frauen – vorwiegend in Ländern mit niedrigem Einkommen, wo es unzureichenden Zugang zu Screeningprogrammen und Behandlung gibt. Um die Impfraten zu erhöhen, muss vielerorts erst daran gearbeitet werden, die Vorurteile zu überwinden, die gegen die Immunisierung existieren – das Virus überträgt sich beispielsweise durch Sexualkontakte. Hier haben verschiedene Programme schon kreative Ansätze entwickelt.
So wendet sich die von Frauen geführte Nichtregierungsorganisation "Girl effect" in Ostafrika an ganze Gemeinschaften. In einigen Bundesstaaten von Nigeria wird der Einfluss der First Ladies genutzt, um die Impfung populärer zu machen. In Kombination mit erleichtertem Zugang zu den Impfungen – häufig über Schulen und Bildungseinrichtungen – konnten so allein im Jahr 2023 über 14 Millionen Mädchen in 38 Ländern gegen HPV geimpft werden. Das sind mehr als im gesamten vorangegangenen Jahrzehnt.
Globale Gesundheit? Nur mit gesunden Frauen!
Von den Müttern, die über die Zukunft und Gesundheit ihrer Familie entscheiden, bis hin zu den oft unterbezahlten und nicht ausreichend wertgeschätzten weiblichen Gesundheitsfachkräften, die Kinder unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen impfen: Frauen spielen eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der globalen Gesundheitsziele. Genau darum geht es bei der feministischen Entwicklungspolitik: die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu verbessern. Damit sie besseren Zugang zu Bildung gewinnen. Damit sie informierte und verantwortungsbewusste Entscheidungen über ihren Körper und ihre Familienplanung treffen können. Damit sie zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben beitragen können. Von all dem profitiert die gesamte Gesellschaft.
Heute, da wir auf das Jahr 2030 und die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung blicken, müssen die Verantwortlichen weltweit ihren Beitrag zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter leisten. Frauen müssen im Zentrum der Impfprogramme stehen. Die Impfallianz Gavi hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, zwischen 2026 und 2030 mindestens 500 Millionen Kinder zu impfen, darunter auch 125 Millionen Mädchen gegen HPV. Die Globale Initiative zur Ausrottung der Poliomyelitis (Global Polio Eradication Initiative, GPEI) will die Kinderlähmung bis 2029 beenden. Gavi wie auch die GPEI arbeiten mit Hochdruck daran, die bis heute andauernde Ungerechtigkeit zu beenden, dass Millionen Kinder noch nie im Leben eine Impfung erhalten haben. Die Strategie zur Erreichung dieser Ziele ist kein Geheimnis und liegt auf der Hand: Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt zu stellen.
Als Entscheidungsträgerinnen, die sich führend für die globale Gesundheit engagieren, und als "Gender Champions" der GPEI rufen wir deshalb dazu auf, mehr Frauen in Führungsverantwortung zu bringen und dringend benötigte geschlechtergerechte Maßnahmen entschiedener umzusetzen. Zudem ermutigen wir die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus aller Welt, die nun zum "World Health Summit" in Berlin zusammenkommen, die Impfallianz Gavi dabei zu unterstützen, die Geschlechtergleichstellung in der globalen Gesundheit voranzutreiben. Damit wir dafür sorgen, dass die Lektion über die Bedeutung von Frauen für die globale Gesundheit bei uns allen ankommt.
Svenja Schulze ist die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; Sania Nishtar die CEO der globalen Impfallianz Gavi.